Sie kannten weder die Fakten noch die Akten. Das sagen Xella-Vorstandchef Jan Buck-Emden und Finanzchef Heiko Karschti im WAZ-Interview zum Bröselstein-Skandal. Sie entschuldigen sich bei ihren Kunden, räumen Kommunikationsfehler ein und versichern: Verjährung ist kein Thema.

Die Firma Xella verwaltet Haniels Bröselstein-Erbe. Sie wickelt die Schäden ab. Ein Gespräch mit Vorstandschef Jan Buck-Emden und Finanzchef Heiko Karschti.

Seit wann wissen Sie von den Bröselsteinen?

Jan Buck-Emden: Seit Ende 2001. Ich bin seit Juni 2001 bei Xella. Den Chefposten habe ich im April 2007 übernommen. Ich habe in meiner damaligen Tätigkeit Ende 2001 auf einer Baustelle einen Schaden gesehen. Ich dachte, es läge an einer defekten Kellerabdichtung. Heute bin ich schlauer.

Aber die Geschichte war doch aktenkundig?

Buck-Emden: Das mag so sein, aber ich hatte bis dahin keinen Zugriff auf diese Akten. Ich habe erst Jahre später den Gesamtzusammenhang erkannt.

Wann?

Buck-Emden: Ich weiß es nicht mehr genau; vermutlich 2004.

Dimension wurde erst 2006 deutlich

Heiko Karschti: 2002 bis 2004 wurden 9 neue Schadensfälle bekannt, 2005 etwa 25. Erst 2006, bei rund 80 neuen Fällen, wurde die mögliche Dimension deutlich. Da haben wir auch das rechtliche Gutachten in Auftrag gegeben.

Wie ging es weiter?

Buck-Emden: Im Mai 2007 hat sich erstmals die Presse interessiert und berichtet. Daraufhin haben auch wir eine Pressemitteilung veröffentlicht. Als Haniel das Unternehmen 2008 verkaufte, wurde das Thema diskutiert – mit dem Ergebnis, dass Haniel das wirtschaftliche Risiko behält und Xella die Schäden bearbeitet. Unter dieser Maßgabe haben die beiden neuen Eigentümer, Goldmann Sachs und PAI Partners, Xella gekauft.

Es gibt große Schäden.

Es wird nicht zusammenbrechen

Buck-Emden: Und es gibt eine sehr individuelle Wahrnehmung. Selbst wenn das bekannte Schadensbild da ist und der Stein bröselt, hat das Mauerwerk immer noch eine gewaltige Tragfähigkeit. Es wird nicht zusammenbrechen. Das ist sicher, das belegen uns die Sachverständigen. Und darauf verlassen wir uns.

Die drohende Verjährung zum 31. Dezember 2011…

Buck-Emden: …war für mich erst ein Thema, als Ihre Zeitung die Sorgen der Leute ans Licht gebracht hat. Wir nehmen Schäden auf und sanieren. Über Verjährung haben wir uns bei den bekannten Schadensfällen nie Gedanken gemacht. Darin sind wir uns auch mit Haniel einig: Die Schadensfälle, die jetzt erst entdeckt werden, werden wir genauso bearbeiten wie bisher. Unabhängig davon, ob eine Frist abläuft oder nicht.

Neue Situation nach letzter Instanz?

Karschti: Keinem potenziell Geschädigten, der nicht bis zum 31.12.2011 seine Ansprüche gerichtlich geltend macht, entsteht dadurch ein Nachteil in der Schadensregulierung. Inwiefern möglicherweise später, nach letztinstanzlicher Entscheidung der Gerichte eine neue Situation entsteht, das ist eine andere Geschichte.

Das heißt?

Karschti: Die zusätzliche Forderung nach dem Ausgleich eines merkantilen Minderwertes ist jetzt erstmals gerichtlich anhängig. Merkantiler Minderwert hieße: Das beschädigte Gebäude wäre auch nach erfolgter Sanierung weniger wert als ein nie beschädigtes Objekt. Um diesen Minderwert geht es.

Bisher sanieren Sie nur bei Beschwerden, nicht aus eigenem Antrieb. Warum nicht?

Wir kennen die Endkunden nicht

Buck-Emden: Weil uns dazu die Unterlagen fehlen. Wir wissen nicht, an welche Endkunden die Steine letztlich geliefert wurden. Nahezu alle uns bekannt gewordenen Schäden wurden reguliert.

War die Verbreitung der Steine fahrlässig oder vorsätzlich?

Buck-Emden: Ich bin überzeugt, es war weder fahrlässig noch vorsätzlich. Ich kann nur sagen: Mit unserem heutigen Wissen, würden wir es definitiv nicht noch einmal tun. Das heißt aber nicht, dass die Mängel damals erkennbar gewesen wären.

Wie viele Bröselsteine sind in Umlauf?

Karschti: Das können wir nicht exakt sagen. Erst einmal sind es nur die Formate 2 DF und 3 DF, kleinformatige Steine; von 1988 bis 1995 geschätzte 170 Millionen Stück.

Können auch andere Steinformate bröseln?

Buck-Emden: Wir kennen nur einen solchen Fall.

Wurden nach 1995 keine Bröselsteine mehr hergestellt?

Hochphase von 1991 bis 1993

Karschti: Bis Mai 1996 wurde die Restmenge des Kalksubstituts noch in einem der drei Werke eingesetzt. Nach unseren Informationen danach nicht mehr. Möglicherweise sind über Reste auf den Lagerplätzen oder beim Baustoffhändler 1996 oder Anfang 1997 noch welche verbaut worden. Die Hochphase war von 1991 bis 1993.

Schließen Sie aus, dass die Steine – neben Kalscheuren, Ratingen und Issum – auch aus anderen Werken gekommen sind?

Buck-Emden: Ja, wir für uns können das ausschließen.

Was lief mit dem HDI? In einer internen Xella-Mitteilung wird ein Versicherungsbetrug beschrieben?

Späte offensive Aufklärung

Buck-Emden: Nein, hier liegt kein Betrug vor. Die Mitteilung des Mitarbeiters, die Sie meinen, liest sich tatsächlich sehr seltsam, deshalb haben wir das noch einmal geprüft. Wir sind uns sicher, alles richtig gehandhabt zu haben.

Bitten Sie Kunden um Entschuldigung?

Buck-Emden: Ja, und ich kann ihnen dabei in die Augen sehen. Denn ich bin nicht für die Ursache der Schäden verantwortlich, aber wir können heute den Betroffenen helfen. Wir hätten allerdings die Kommunikation anders aufbauen sollen.

Wie?

Buck-Emden: Mit offensiverer Aufklärung. Das haben wir falsch eingeschätzt. Nehmen Sie die Schadenskarte. Sie gibt den Leuten den Hinweis: In dieser Ecke solltet ihr jetzt mal genauer hingucken, da ist die Wahrscheinlichkeit größer als dort. Das kann Ängste mindern.