Bochum. .

Als Elena Fiendeisen 2006 für ein Jahr nach Paraguay ging, ahnte sie nicht, wie extrem die kulturellen Unterschiede zwischen den beiden Ländern sein würden. Die Unterbringung in der ersten Gastfamilie scheiterte schon nach nur wenigen Wochen. „Es hat überhaupt nicht gepasst“, erinnert sich die Bochumerin. „Meine Gastmutter war total streng, für mich als Sechzehnjährige galten die gleichen Regeln wie für meine neun- und zwölfjährigen Gastschwestern.“ Auch ein Gespräch mit einem Vermittler ihrer Schüleraustauschorganisation AFS brachte nichts.

Ein ganzes oder ein halbes Jahr im Ausland zu leben, dort zur Schule zu gehen und dabei ganz alleine klar zu kommen, das ist eine Erfahrung, die fürs Leben prägt. Und das Geschäft boomt, besonders in NRW. In keinem anderen Bundesland gehen so viele Schüler ins Ausland. 6894 waren es im Schuljahr 2010/11 laut Bildungsberatungsdienst Wegweiser. Zum Vergleich: In Baden-Württemberg waren es im gleichen Zeitraum 1964.

Durch die Fülle der Austauschorganisationen ist der Markt jedoch sehr unübersichtlich geworden. Und bei der Betreuung vor Ort oder der Auswahl der Gastfamilien gibt es große Unterschiede. Wer nicht will, dass das Jahr im Ausland zum Desaster wird, sollte sich gründlich informieren – zumal so ein Jahr mindestens 7000 Euro kostet, wenn man kein Stipendium hat.

Was eine seriöse Organisation ausmacht

Zu diesem Zweck hat die Verbraucherschutzorganisation „Aktion Bildungsinformation“ (ABI) einen Leitfaden herausgegeben. ABI beobachtet den Markt der Sprachreiseveranstalter seit Jahren. In ihren Broschüren erklären sie, woran man seriöse Organisationen erkennt. Barbara Engler ist die Autorin der ABI-Broschüren „Schüleraustausch in den USA“ und „Schüleraustausch weltweit“. Darin hat Engler die wichtigsten Kriterien zusammengestellt, auf die Eltern bei der Suche nach der passenden Organisation achten sollten. „Das Wichtigste ist, dass die Organisation mit den Schülern eine sorgfältige Eignungsprüfung durchführt und sie dann gründlich über Land und Leute aufklärt, um so den Schüler optimal vorzubereiten“, sagt Engler.

Wie wichtig eine solche Prüfung ist, weiß auch Karl-Heinz Kalender. Er arbeitet als ehrenamtlicher Berater für die Schüleraustauschorganisation AFS (ursprünglich: American Field Service). Er bemängelt, dass viele der kommerziell arbeitenden Organisationen aus Profitgier die Bewerber nicht auf Eignung testen und jeden nehmen würden. Barbara Engler ist da anderer Meinung. „Ob gemeinnützig oder privat ist nicht entscheidend.“ Letztendlich helfe nur eine sorgfältige Prüfung aller Leistungen, Preise und der Qualität. Ein nationales Gütesiegel á la Stiftung Warentest gibt es jedoch nicht. In den ABI-Broschüren sind dafür nur die Anbieter aufgeführt, die die ABI-Prüfkriterien zur Aufnahme erfüllen.

Gasteltern verstanden nur chinesisch

Zu diesen Kriterien gehört, dass die Organisation auf mehrere Jahre Erfahrung zurückblicken kann. Und dass sie die Schüler sorgfältig auswählen und vor Ort gut betreut. Ein großes Problem, denn die Qualität der Betreuung variiert oft stark. Die einen helfen dem Schüler bei Problemen, die anderen drohen: „Entweder du parierst oder du fliegst aus dem Programm.“ Expertin Engler rät: „Fragen Sie nach, wie die Betreuer vor Ort geschult sind und was im Fall eines Konflikts getan wird.“ Elena fand nach nur einer Woche Zwischenstopp bei ihrer Betreuerin eine neue Familie. Diese war weitaus ärmer, dafür umso herzlicher. „Diese Art von Familienzusammenhalt zu erleben, war letztendlich die schönste Erfahrung für mich“, sagt die Schülerin.

Mit ganz anderen Problemen hatte der 17-jährige Max Westerheide zu kämpfen. Mit wenig mehr als ein paar Brocken chinesisch im Gepäck kam der Bochumer in der Vier-Millionen-Stadt Lanzhou an. Seine Gasteltern verstanden nur chinesisch, sein Gastbruder sprach gebrochen englisch. „Der Anfang war sehr hart, da auch der gesamte Schulunterricht auf chinesisch war“, gibt Max zu. Doch bereut der inzwischen 18-Jährige seine Entscheidung keineswegs. „Ich habe jetzt einen ganz anderen Blick auf Deutschland. Die chinesischen Medien sind wirklich total abgeschottet, man kriegt viele wichtige Dinge einfach nicht mit.“ Tagtäglich zu erleben, wie stark der Zugang zu Informationen beschränkt werde, sei eine „krasse“ Erfahrung gewesen. „Deutschland fühlt sich für mich jetzt anders an“, erzählt Max. „Ich denke, ich weiß es jetzt zu schätzen, dass ich mich äußern kann, wie ich will.“

Nur mit einem Vorurteil will Max unbedingt aufräumen: „Dass die Chinesen andauernd Hund essen, ist völliger Quatsch.“ Er schmunzelt. Hund sei eine Delikatesse, teuer und komme daher nur selten auf den Tisch.