Essen. .

Es war die erste Pressekonferenz, die das Bild der Verantwortungslosigkeit prägte. Nur einen Tag, nachdem 21 Menschen bei der Loveparade tödlich verletzt worden waren, saßen auf dem Podium im Duisburger Rathaus: Adolf Sauerland, Oberbürgermeister der Stadt, sowie Veranstalter Rainer Schaller. Und daneben, ein wenig entrückt, Wolfgang Rabe, Leiter des Krisenstabes und Chef des Duisburger Rechtsamtes.

Sie alle versuchten zu erklären, was nicht zu erklären war. Sie baten nicht die Angehörigen der Opfer um Entschuldigung. Nein, sie suchten die Fehler bei den anderen. Und flüchteten sich in Allgemeines: „Dieses Unglück ist so entsetzlich, dass man es nicht fassen kann“, sagte Sauerland. Ansonsten verwies der Oberbürgermeister darauf, dass die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft noch laufen würden und er deshalb keine Antwort auf die Frage nach der Verantwortung geben könne. Einen Tag zuvor hatte Sauerland sogar noch gesagt, dass die Opfer aus eigener Schuld zu Tode gestürzt seien.

Dieses Muster der Verdrängung war nicht auf Sauerland oder die Teilnehmer der ersten Pressekonferenz beschränkt. Wenige Tage nach der Loveparade stellte sich auch noch NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) öffentlich schützend vor seine Polizei. Er sprach eine Art Generalabsolution aus – und sich selbst und seine Polizeiführung damit frei: „Da, wo die Polizei zuständig war, hat es funktioniert. Im Veranstaltungsort hat nur einer die Verantwortung: Der Veranstalter.“ Dessen Ordnersystem sei zusammengebrochen, sagte Jäger. Das sei die Ursache der Katas­trophe. Es habe zu keinem Zeitpunkt an Einsatzkräften der Polizei gemangelt und in deren Zuständigkeitsbereich sei auch niemand verletzt oder gar getötet worden. Erst viel später räumte Jäger ein, dass es vielleicht auch Fehler auf untergeordneter Ebene der Polizei gegeben haben könne.

Schaller hielt sich bislang in der ganzen Debatte um Verantwortung öffentlich zurück. Stattdessen beauftragte er Public-Relations-Spezialisten, damit diese in seinem Sinne die Öffentlichkeit beeinflussen sollten.

Persönliche
Konsequenzen

Immer wieder wurden aus diesem Dunstkreis Informationen lanciert, die in der veröffentlichten Meinung die Schuld an dem Desaster der Polizei zuschoben, weg aus dem Verantwortungsbereich der Loveparade-Macher. Verdrängt werden sollte, dass Schallers Männer zu schlecht geplant hatten. Zum Beispiel hatten sie zu wenige und dann auch die falschen Ordner eingesetzt.

Auf der Loveparade selbst ließen sich alle drei, Sauerland, Jäger und Schaller vor der Öffentlichkeit als die Organisatoren des Festes feiern.

Und heute: Keiner aus den Chefetagen wird juristisch verfolgt. In den Ermittlungsakten der Duisburger Staatsanwaltschaft steht, es gebe bislang keine Akten, aus denen hervorging, dass sich Sauerland persönlich über bestehende Sicherheitsbedenken hinweggesetzt habe. Es gebe derzeit auch keine Beweise, dass der Oberbürgermeister irgendetwas Unrechtes getan habe. Von Innenminister Jäger glaubt das auch niemand. Er war zum Zeitpunkt der Loveparade erst wenige Tage im Dienst, er kann sich juristisch gar nicht belastet haben. Schaller wiederum war nur Kopf im Hintergrund, der Strippenzieher, der das Geld besorgte. Die Details der Organisation haben andere für ihn durchgezogen. Schaller selbst bleibt juristisch bislang sauber.

Andere müssen ihren Kopf hinhalten. In Duisburg die beiden Beigeordneten für Bauen und für Recht und ihre Untergebenen. Sie müssen sich wegen ihrer fahrlässigen Unterschriften und Kontrollen vor der Staatsanwaltschaft verantworten. Der Einsatzleiter der Polizei muss für gebrochene Polizeiketten und zu spät eingetroffene Entlastungskräfte gerade stehen. Und die Angestellten von Schallers Firma haben mit ihren Fehlplanungen zu kämpfen.

Dabei gibt es auch eine Verantwortung jenseits der juristischen Fragen. Muss Oberbürgermeister Sauerland nicht persönliche Konsequenzen ziehen, wenn er sich im Licht der Loveparade auf einer Pressekonferenz als Macher des Festes feiern ließ und wenige Meter weiter die Menschen sterben mussten? Muss er nicht schon deshalb gehen, weil er zunächst die Schuld am Desaster den Opfern zuwies? Aber auch Innenminister Jäger muss sich Fragen nach seiner Verantwortung stellen. Warum hat er sich ohne Not vor seine Polizeiführung geworfen? Warum hat er nicht zunächst nach möglichen Fehlern in den eigenen Reihen gesucht? Und Schaller: Muss er sich nicht als Kopf der Loveparade seiner Schuld stellen?

Die Fragen nach ihrer moralischen Verantwortung in der Causa Loveparade haben die Männer in den Spitzenpositionen noch nicht beantwortet.