Bonn. Es sind Diskussionen, Anfeindungen aber auch Liebeserklärungen, die auf Türen und Wänden öffentlicher Toiletten verewigt werden. Dieses Gekritzel fasziniert die Bonner Studentin Katrin Fischer. Deshalb hat sie ihre Abschlussarbeit über Sprache der Klo-Graffiti geschrieben.

Die Sprüche und das Gekritzel auf Türen und Wänden von öffentlichen Toiletten haben Katrin Fischer schon immer fasziniert. Fast jeder lese schließlich die Diskussionen, Anfeindungen oder Liebeserklärungen, sagt die 31-Jährige aus Bonn, die gerade ihr Examen im Studienfach Sprachwissenschaften gemacht hat. Der Aufbau und die Nutzung von Sprache seien stets ihr Steckenpferd gewesen. «Als ich dann auf der Suche nach einem Thema für meine Magisterarbeit war, hat es Klick gemacht», sagt sie.

Sprachliche Besonderheiten

Sechs Merkmale von Klo-Graffiti

1) Viele der Klo-Graffiti beziehen sich inhaltlich auf die Toilettenzelle als solche. So werden Leserinnen angewiesen, dort Ordnung zu halten. Auf der neugestrichenen Toilettentür beschwert sich eine Schreiberin über die «Leere» auf der Wand. Oder es wird ein Bezug zwischen Toilettenraum und Universität hergestellt. So heißt es an einer Stelle beispielsweise: «Latein verkackt».

2) Oftmals geht es bei den Diskussionen aber auch um weltanschauliche Themen wie Veganismus, Religion oder Liebe.

3) Neben umgangssprachlichen Formulierungen und Ausrufen, die normalerweise eher in der gesprochenen Sprache verwendet werden («Hey!») bedienen sich die Schreiberinnen teilweise auch sehr altmodischer Formulierungen. So werden Beiträge mit «gezeichnet xy» unterschrieben.

4) Oftmals werden Grammatik- und Rechtschreibfehler anderer Schreiberinnen korrigiert und deren fehlende Sprachkenntnisse negativ kommentiert.

5) An einigen Wänden entzünden sich Diskussionen zu bestimmten Themen, die dann ausschließlich an dieser Stelle geführt werden. Manche Schreiberin widmet eine Wand einem bestimmten Thema, die anderen halten sich daran.

6) Mit Pfeilen wird für den Leser der Fortgang einer Kommunikation sichtbar und deutlich gemacht. (ddp)

Für die wissenschaftliche Abschlussarbeit analysierte Fischer Aufbau, Einflussfaktoren und die sprachliche Funktion der Klo-Graffiti in den Damentoiletten im Bonner Universitätshauptgebäude. Acht Monate hat sie für diese linguistische Betrachtung gebraucht, deren Ergebnisse derzeit auf mehreren Postern in einer vielbeachteten kleinen Ausstellung im Gebäude des Instituts für Kommunikationswissenschaften zu sehen sind.

Zwei Typen von anonymen, weiblichen Autorinnen

Zunächst fotografierte Fischer für die Arbeit nach eigenen Angaben rund 700 Schriftzüge in den Damentoiletten. Später analysierte sie die Aussagekräftigsten nach Aspekten wie «Einfluss der Anonymität«, »Macht« oder »Geschlechtsidentität«. So fand sie zum Beispiel heraus, dass es zwei Typen von anonymen weiblichen Autorinnen auf Toiletten gibt. »Die einen sind sehr sachlich und höflich, lassen auch andere Meinungen zu, die anderen sind eher affektiv, vulgär und dominant«, sagt Fischer.

Für Blödeleien und fingierte Kontaktanzeigen auf der Klotür nehmen Schreiberinnen auch mal eine männliche Identität an, hat die 31-Jährige herausgefunden. Durch demonstratives Einkreisen der eigenen Nachrichten oder auch das Durchstreichen von Kommentaren anderer würden zudem auf der Klotür Macht und Zensur ausgeübt.

Zeitloses Phänomen

Die Klo-Kritzeleien sind laut Fischer ein zeitloses Phänomen. »Die Toilette ist der einzige öffentliche Raum, in dem man dennoch seine Privatsphäre hat. Kritzeleien fallen da auf, sie werden gelesen und beantwortet. Manchmal entfaltet sich eine Diskussion über die gesamte Toilettenwand«, erklärt sie. Die absolute Anonymität bringe die Toilettenbesucher dazu, niederzuschreiben, was ihnen gerade in den Sinn kommt. »Wo hat man das sonst? Selbst im Internet kann man inzwischen den Urheber einer Nachricht nachvollziehen«, sagt Fischer.

Schon die alten Römer haben der Sprachwissenschaftlerin zufolge ihre Latrinen mit Sprüchen bemalt. «Die waren ganz schön derb in ihren Aussagen», sagt Fischer zwinkernd. Seit vielen Jahrhunderten finde somit ein Diskurs auf dem Stillen Örtchen statt - doch Forschungsarbeiten gebe es auf dem Gebiet bislang kaum. Ihre Professorin habe dem ungewöhnlichen wissenschaftlichen Vorhaben daher sofort zugestimmt, erzählt Fischer.

"Definitiv Sachbeschädigung"

Trotz aller Faszination sei ihr Verhältnis zu den Klo-Kritzeleien «zwiespältig», betont Fischer. Es handele sich nun einmal »definitiv um Sachbeschädigung«. Dennoch sei sie ein wenig traurig gewesen, als die Universitätsleitung im vergangenen Sommer die Graffitis überstreichen ließ, sagt die Sprachwissenschaftlerin. «Ich hatte Glück, dass ich schon alles fotografiert hatte».

Eine Frage interessiert die 31-Jährige, die vor ihrem Studium als Schauspielerin gearbeitet hat, auch nach der Abgabe ihrer mehr als 120 Seiten starken Arbeit: Inwieweit unterscheiden sich die Klo-Graffiti auf den Damen- und Herrentoiletten? «Ich würde mal tippen, die Frauen diskutieren ausführlicher über ein Thema», sagt Fischer. Eine Geschlechteranalyse habe sie wegen der Komplexität des Themas in ihrer Untersuchung nicht durchgeführt.

Inzwischen kann die Sprachwissenschaftlerin wieder entspannter auf die Universitätstoilette gehen. «Vor der Abgabe hab ich immer wieder neue Sprüche entdeckt, die ich dann noch in die Arbeit aufnehmen wollte», sagt Fischer bei einem erneuten Rundgang durch die Klos. Ein neues Graffiti ist in den vergangenen Tagen hinzugekommen, wie die 31-Jährige sagt: «Ich will auch in eine Magisterarbeit», steht da klein und ordentlich auf einer weißen Klotür geschrieben.