Oberhausen/Bottrop. . Kameras scheuen sie nicht, die beiden 15 Monate alten Essener. In Bottrop stehen sie im Scheinwerferlicht einer Kindermodelagentur, die bewusst auf die Region setzt: „Im Ruhrgebiet gibt es auch hübsche Kinder!“

Bottrop hört sich blöd an, haben sie in der Branche gesagt, und „Oberhausen kannst du nicht groß rausbringen“. Nadine Dilly aber blieb stur, wie es die Art ist in dieser Region, und mit ihrer Kindermodel-Agentur zu Hause. „Im Ruhrgebiet gibt es auch hübsche Kinder!“ Tatsächlich stehen heute Paul und Ben aus Essen vor ihrer Kamera, obwohl sie das noch kaum können. So klein sind die – und morgen Models.

Ehrgeizige Eltern

„Mein LilaLaune Kid“, flötet Nadine Dilly Paul ins Ohr. Die 26-Jährige hat für ihre gleichnamige Kartei in wenigen Wochen auch Justin, Kimberly und Chantal gewonnen, was unweigerlich Klischees vors innere Auge drängt. Magere Mädchen, sexy gestylte Kindfrauen, ehrgeizige Eltern. . . Aber da sitzen diese tiefenentspannten Mütter, „mal ausprobieren“, sagen sie und „so lange es Spaß macht“, und sind es nicht gerade die pausbäckigen, drallen Kinder, die in der Werbung jeder gern sieht? „Ich möchte keine gedrillten“, sagt Nadine Dilly.

Ben und Paul jedenfalls, mit ihren 15 Monaten, die eben noch etwas missmutig waren nach abgebrochenem Mittagsschlaf: Bei ihnen geht mit den Scheinwerfern im Foto-Studio das Licht an, wach blicken sie dem Blitz nach, schauen ausgesprochen aufgeräumt aus dem Durcheinander einer Spielzeugkiste. Tränen fließen erst, als Ben über deren Rand stürzt, und da hat der Kleine guten Grund: Mit dem frischen Schmiss auf der Wange ist er kurzfristig nicht vermittelbar. Verletzungspause!

Eltern müssen der Agentur sowas melden: Beulen und Schrammen, neue Frisuren, zusätzliche Pfunde oder Zahnlücken. Was, wenn ein Kunde Lachbilder will, „und dann sind da gerade keine Zähne“?

Schon deshalb muss die Fotografin die Daten dauernd aktualisieren. Konfektionsgröße 80 bei 76 Zentimetern steht auf der Sedcard von Paul, aber das kann sich täglich ändern. Und der Zwilling wächst mit. 14 Jahre zählt das älteste „LilaLaune Kid“, aber aussehen muss es noch wie elf: Nadine Dilly fotografiert ja Kindermode – für große Discounter und kleine Mini-Mode-Labels, für Kaufhaus-Kataloge und Schokoladen-Werbung. Und sie „sammelt“ ihre Modelle gern unter Bekannten. Oder bei McDonald’s.

Dass sie alles macht – ent­dec­ken, vermitteln, produzieren –, muss sich noch herumsprechen in der Branche. Was die indes schon weiß: Das kleine Foto-Studio versteckt sich in einem Bottroper Keller, und eine Ausbildung zur Fotografin hat die Chefin, gelernte Bankkauffrau und Reno-Gehilfin, nie gemacht. „Aber Karl Lagerfeld auch nicht.“ Das Fotografieren hat Nadine Dilly, die der Düsseldorfer Szene bewusst den Rücken kehrte, von Mutter Gabi: Die fing einst an mit Laken vorm Schrank und den eigenen Kindern davor. Später bannte sie anderleuts Nachwuchs im Bild. „Und heute nehmen wir nicht mehr jeden, der fragt.“

Denn natürlich gibt es diese Mütter doch, die ihre Kleinen nach vorn schieben, und dann ist es ein „Durchschnittskind“, wie Nadine Dilly ihnen schonend beibringt. Es muss ja nicht mal hübsch sein, „es geht nicht um Schönheit“, aber Charakter sollte es haben: Sommersprossen, rote Haare, eine süße Zahnlücke. Und die Damen Dilly merken, „ob das Kind will oder nicht“. Ein trauriges Wesen und eine Mutter, die drängt: Los, lach! „Das bringt nichts.“ Und auch ein Kunde hat wenig von einem mucksigen Modellchen.

Annika aus Kempen ist da ganz anders. Die kann zwar vor dem Casting, gleich nach Ben und Paul, noch gar nicht sagen, ob sie ein Model sein will. Denn eigentlich mag die Achtjährige Fotos von sich selbst nicht gern, sie findet, sie sieht darauf „immer so doof aus“. Aber dann steht sie zwischen den Spots, Nadine macht, dass ihre Haare fliegen, Annika dreht sich, hüpft und lacht, und auf ihrer Sedcard findet der Kunde nun 137 Zen­timeter zuckersüßes Mädchen. Übrigens nur der Kunde: Wer einen Blick auf die LilaLaune Kids werfen will, muss erst durch Nadine Dillys engmaschiges Netz, das Missbrauch vermeiden soll.

Nicht ins Fernsehen

Wählen kann er dann aus inzwischen 35 Mini-Models, und wöchentlich kommen bis zu fünf neue hinzu. Wenn Paul, Ben, Kimberly oder Marleen gebucht werden, können sie pro Einsatz 80 bis 120 Euro verdienen – für die Foto-Stunde. Für Filme mehr. Annika aber will Letzteres gar nicht. „Nicht ins Fernsehen“, murmelt sie. Bis zum Topmodel ist der Laufsteg noch lang.