Ruhrgebiet. . Kinderlärm gleich Zukunftsmusik? In Deutschland wohl eher nicht. Denn immer öfter liegen sich Anwohner mit Kindergärten oder Schulen wegen lautstark spielender Kinder in den Haaren. Es mussten Kitas schließen, um die Friedhofsruhe nicht zu stören.

Mit einem markerschütternden Wiehern trabt das dunkelhaarige Mädchen durch den Flur, ein braun-weißes Steckenpferd fest im Griff. Ein blonder Junge neben ihr lässt die Waggons seiner Eisenbahn gegeneinander rumpeln. Kinder machen Krach.

So auch im Dortmunder Matthäus-Kindergarten. Er liegt in einer Seitenstraße, die von ordentlichen Reihenhäusern gesäumt ist. Hier lebt man ruhig und beschaulich, von Ferne ist nur die Klingel der Uhlandschule zu hören. Im Sommer reagierten ein paar Anwohner verärgert über ein neues Klettergerüst auf dem Außengelände. Zu nah an der Grundstücksgrenze, zu viel Lärm durch turnende und schreiende Kinder; und Sand, der in Kaffeetassen geweht wird: So lauteten die Vorwürfe. Das Gerüst sollte weg, und zwar schnell. Dabei war es doch gerade erst im Zuge einer notwendigen Umgestaltung der Außenanlage gebaut worden. Böse Wortwechsel am Gartenzaun verängstigten schließlich sogar die Kinder. „Es war eine sehr unschöne Situation“, sagt Kindergartenleiterin Lilo Jankewitz.

Studien gibt es nicht

Lärm. Die Mutter aller Nachbarschaftsstreitigkeiten. Sie richtet sich in den letzten Jahren zusehends gegen Kindergärten, Bolz- und Spielplätze. Es gibt keine Studien. Aber es sagen alle. „Bis vor zehn Jahren gab es überhaupt keine Lärmbeschwerden bei uns“, weiß man im Kinderbüro Oberhausen. Und Peter Wenzel bestätigt: „Das Beschwerdeverhalten ist gestiegen. Manche Erzieherinnen erzählen Dinge, da schüttelt’s ei­nen“, sagt der Geschäftsführer des Kita-Zweckverbandes im Bistum Essen: „Es gibt aber auch viele schöne Beispiele, da besuchen sich Kindergarten und Altenheim“ – ganz schön schlau, bevor sozusagen das Kind in den Brunnen fällt.

Aber wehe, es schreie dann! „Kinderlärm ist Zukunftsmusik“ steht am Donnerstag in ungezählten Stellungnahmen zum Polit-Radau um den Lärm von Kitas; aber die Wahrheit ist, dass in diesem Land Zukunftsmusik unter das Immissionsschutzgesetz fällt.

Wegen Wippe vor Gericht

Der verschärfte Streit ist kein Massenphänomen, er kommt aber regelmäßig vor – und das ausgerechnet in einem im internationalen Vergleich ex­trem stillen Land. In Deutschland: kommt es vor, dass Kitas schließen müssen, um die nachbarschaftliche Friedhofsruhe nicht zu stören. Kommt es vor, dass da, wo Kinder Fangen spielten, ein Nachbar Stacheldraht spannt. Dass ein Anwohner wegen einer Wippe vor Gericht zieht: Nicht die Wippe störte ihn, sondern das Quietschen der Kinder, wohlgemerkt.

„Auf der Wiese vor dem Mehrfamilienhaus dürfen zwar die Hunde ihr Geschäft verrichten, Kinderspielen ist jedoch untersagt. Auch auf dem Spielplatz werden die Kleinen schon gemaßregelt“, sagt die Kindergartenleiterin Stephanie Rö­sen in Bochum-Wattenscheid. Und eine Kollegin andernorts weiß zu berichten, dass er­wachsene Menschen systematisch alle Bälle kaputt machen, die vom Kita-Terrain fliegen.

Aktion des Ruhr-Bistums

Wissenschaftlich betrachtet, ist der Vergleich von Kindern mit Presslufthämmern jedenfalls vergleichsweise unsinnig. „Menschliche Laute, selbst wenn sie leiser sind, erregen mehr Aufmerksamkeit als tierische, und die mehr als Motoren. Wir müssen da hinhören. Das ist genetisch und dann keine leichte Situation für jemanden, der mit Kindern nichts am Hut hat“, sagt der Lärmforscher Rainer Guski von der Ruhr-Uni Bochum. Psychologe ist Guski freilich auch, daher weiß er: „Lärm sind immer die anderen, ich selbst mache nur Geräusche.“

Der Kita-Zweckverband startet nun eine Kampagne im ganzen Ruhr-Bistum. Plakate, Aktionen unter dem Motto „Mensch ärgere dich nicht“ sollen die Akzeptanz von Kindern erhöhen. Die Zeit sei reif, meint Geschäftsführer Wenzel, „weil wir auf eine Gesellschaft zugehen, die spielende Kinder nur noch aus dem Fernsehen kennt. Und den kann man leiser machen.“

Büsche als Schallschutz

Im Dortmunder Matthäus-Kindergarten ist mittlerweile Ruhe eingekehrt. Jochen Schade-Hohmann, Leiter des Fachbereichs Jugend und Erziehung bei den Vereinigten Kirchenkreisen Dortmund und Lünen, hat einen Kompromiss erreicht. Zwischen Gerüst und Grundstücksgrenze werden, wie früher, Büsche als Schallschutz gepflanzt. Und die Kinder sind dankbar, dass ihr neues Spielgerät nicht abgerissen wird. Das Mädchen mit der Hello Kitty-Haarspange strubbelt die Mähne ihres Steckenpferdes und sagt mit breitem Grinsen: „Ich liebe das neue Gerüst und ganz besonders, ach eigentlich alles.“