Hiobsbotschaft für die Stadt Essen: Die Messe braucht dringend 200 Millionen Euro für Schuldentilgung und Investitionen, sonst steht das Unternehmen vor der Pleite. Kommunalpolitiker reagieren entsetzt.

Es klingt wie bittere Ironie: Während derzeit Experten aus aller Welt auf der „E-World energy & water“-Messe über intelligente Formen der Energiegewinnung diskutieren, droht dem Veranstalter die Lebensenergie flöten zu gehen: Die Messe Essen braucht dringend frisches Geld, und zwar viel. 200 Millionen Euro soll die Stadt mindestens zuschießen, sonst gehen an der Norbertstraße bald die Lichter aus. Das erfuhren die - je nach Vorkenntnis - mehr oder weniger entsetzten Politiker am Dienstagabend bei einer Sitzung des Aufsichtsrats.

Angesichts der finanziellen Dimension beließen man es nach der Hiobsbotschaft bei einer dünnen Pressemitteilung, die dennoch Bände spricht. Das Kontrollgremium bekenne sich „nachdrücklich zum Messestandort Essen und zur Messe Essen“, was nicht anderes heißt als: Die Lage ist ernst. Sehr ernst. Und die Zeit drängt. Schon im Sommer könnte das Eigenkapital aufgezehrt sein.

Trotz schwerer Verluste - zwölf Millionen Euro waren es in 2009 - will die Stadt ihre Tochter nicht einfach fallen lassen. „Im Aufsichtsrat war das kein Thema, sieht man von den Linken ab“, berichtete ein Teilnehmer der Sitzung. Auch OB Reinhard Paß, der den Vorsitz führt, hat dem Vernehmen nach ein Bekenntnis zum Messe-Erhalt abgegeben.

Bis zu 3500 Jobs hängen in Essen an der Messe

Kein Wunder, es steht einiges auf dem Spiel: 220 Arbeitsplätze allein bei der Messe. Hotels, Gastronomie, Taxifahrer - viele Branchen profitieren vom Ausstellungsgeschäft, allein in Essen sollen bis zu 3500 Jobs indirekt daran hängen. Hinzu kommt: In den letzten zwei Jahrzehnten hat die Messe sich in Teilen bereits für viel Geld runderneuert. „Wir haben den Zeitpunkt verpasst, an dem wir hätten aussteigen können“, sagte ein Kommunalpolitiker.

Allerdings: Die Messe weiter am Leben zu halten, und sei es auf Dauer am Tropf der Stadt, wäre ein Kraftakt. 100 Millionen Euro sind nötig, um das gewaltige Schuldenloch zu stopfen. Mindestens die gleiche Summe benötigt Geschäftsführer Frank Thorwirt, um die Messe für den Wettbewerb zu „ertüchtigen“.

Doppelstockhalle ersetzen

So hatte schon Thorwirts Vorgänger Joachim Henneke argumentiert, als er seine Pläne für den Messeausbau auf Kosten einer allerdings recht kleinen Gruga-Fläche präsentierte. Die wirtschaftlich unattraktiven Doppelstockhallen - von der Messe als Wettbewerbsnachteil identifiziert - sollten ersetzt werden. Weil politisch nicht durchsetzbar, verschwanden die Pläne 2008 in der Schublade. Nun scheint man sich ihrer zu erinnern. Gedankenspiele gehen sogar darüber hinaus - und wieder soll die Gruga aushelfen.

Stadtkämmerer Lars Martin Klieve steht erst einmal vor der Frage, woher er das Geld nehmen soll. Diskutiert wird ein jährlicher Zuschuss wie ihn zum Beispiel die Evag kassiert. Die Alternative wäre eine Direktinvestition, verteilt wohl über Jahre. Das Okay der Bezirksregierung wäre so licht nicht zu bekommen.

Wäre Ausstieg eine Alternative? 2001 hat die Stadt die Messe per „Cross Border Leasing“ an amerikanische Investoren „vermietet“ und über den Steuervorteil rund 20 Millionen Euro kassiert. Im Jahr 2032 läuft dieser Vertrag aus. Sich freikaufen, wenn überhaupt möglich, dürfte teuer werden. Ein Aufsichtsratsmitglied formulierte es so: „Wir haben die Wahl zwischen Erschießen und Erhängen.“