Ruhrgebiet. . Kim. F. ist schon mehrmals von zuhause ausgerissen. Doch diesmal sucht ihr Vater sie per Facebook und hat damit eine Welle der Anteilnahme ausgelöst. Für die Polizei eine zu große Welle. Am Dienstag wurde das Mädchen aufgegriffen.

Der Vermisstenfall hatte eine riesige Lawine im Internet ausgelöst, gestern Abend fand er ein glückliches Ende: Die 15-jährige Kim F. aus Morsbach im Oberbergischen Kreis und ihre 14-jährige Freundin wurden in Braunschweig aufgegriffen. „Die jungen Damen sind dort wohlbehalten eingetroffen“, meldete die Polizei mit ironischem Unterton. Sie würden nun die Nacht dort in einem Jugendheim verbringen, am Mittwoch werde sich das Jugendamt weiter mit dem Fall befassen.

Die Polizei fühlte sich in diesem Fall ohnehin überfordert. „Nicht mehr anrufen!“ beginnt gestern Morgen eine Pressemitteilung zum Fall Kim, was schon ziemlich einzigartig sein dürfte; und wenn es darin um einen Vermisstenfall geht und die Vermisste bis dahin keineswegs zurückgekehrt ist, wirkt das geradezu bizarr. „Nicht mehr anrufen!“ also steht am Dienstagvormittag unter der Überschrift „Vermisstenfall Kim F.“, doch eigentlich ist der Appell des Polizeipräsidiums in Gummersbach ein etwas schroff geratener Hilferuf. Denn am Vortag sind hier die Telefonleitungen zusammengebrochen, die Polizei war nicht mehr zu erreichen: „Behindernd“ nennt das Sprecherin Siegrid Röhrig in ihrer zurückhaltenden Art. Und der Grund ist: Das Internet hat die Welle gemacht.

Mehrfach von zuhause ausgerissen

Doch von vorn: Seit Freitag letzter Woche war Kim F. verschwunden. Mit ihr verschwand ihre 14-jährige Freundin, „beide sind zusammen schon mehrfach von zuhause ausgerissen“, so die Polizei: Es bestehe kein Hinweis, dass sie Opfer einer Straftat sein könnten. Ein Dutzendfall also, durfte man hoffen; über 50 000 Kinder und Jugendliche werden jedes Jahr in Deutschland als vermisst gemeldet, fast alle sind Ausreißer, und fast alle kommen mit heiler Haut nach Hause.

Doch in Sachen Kim nimmt der Fall eine besondere Wendung: Denn ihr Vater stellt eine eigene Vermissten-Anzeige bei Facebook ein und löst damit „eine Web-Welle von gewaltigem Ausmaß und ganz eigener Dynamik“ aus, „die sich nicht mehr kontrollieren lässt“, so der Branchendienst Meedia. Bei Facebook springt die Vermisstenanzeige von Nutzer zu Nutzer, alles kommentiert und zwitschert vom Tausendsten ins Zehntausendste, Blogger äußern sich – und wie bei jeder stillen Post, verzerrt sich die Sache zusehends.

Besorgte und Berührte wollen helfen

Ist Kim nicht nur ein Scherz?, wird da gefragt, und: Bestimmt gibt es einen Zusammenhang mit dem ermordeten Mirco? Kim kriegt falsche Profile, sie wird verlinkt mit Ab­surdistan, und in der ganzen Verwirrung rufen schließlich so viele Menschen die Polizei an und wollen wissen, was denn nun eigentlich ist – dass die zum Erliegen kommt.

Da haben schon Tausende im Internet das Foto des Mädchens verbreitet, einer freundlich lächelnden Jugendlichen mit lila Halstuch. Es sind die Besorgten und Berührten, sind die, die helfen wollen, die 15-Jährige zu finden: Schaut nach ihr! Doch auch die dunkle Seite des Netzes ist immer da: „Ab einem gewissen Zeitpunkt sind nicht nur freundlich gesonnene Menschen dabei, sondern auch Spacken, die zu allem und jedem einen dummen Spruch loslassen müssen, und Gehirnamputierte, die direkt mit Fake-Profilen aufwarten“, schreibt ein Blogger.

Ja, auch das beliebte anonyme Pöbeln kommt in Gang, und das Netz-Gericht tagt über die arme Familie: „Eine Jugendliche was ausreisst da haben Eltern oft was falsch gemacht . . . Klar kann dann was passieren“, lautet so eine frei schwebende Meinung.

Hilfreich oder hinderlich, die im Netz massenhaft vermehrte Vermisstenanzeige, „das lässt sich schwer bestimmen“, schreibt Meedia. Fest steht: Es ist bei weitem nicht das erste Mal, dass eine derartige Welle alles überrollt. Erst vor gut einem halben Jahr hat die Polizei in Ratzeburg dasselbe erlebt im Fall der verschwundenen Anne H..

„Wenn die Telefonleitungen zusammenbrechen, ist das fatal für die Polizei und andere Bürger“, sagt die Ratzeburger Polizeisprecherin Sonja Kurz. Sie rät von künftigen Fällen betroffenen Familien, „nichts ohne Absprache mit der Polizei ins Netz zu stellen. Sonst macht man vielleicht polizeiliche Maßnahmen kaputt.“ Es nimmt nicht immer so ein glimpfliches Ende wie bei Kim F.