Ruhrgebiet. . Sie haben den Islam abgelehnt, im Iran droht ihnen nun der Tod. Im Ruhrgbiet hat die Familie Zuflucht gefunden.

Petrus S. sitzt in einem Haus der Kirche, mit dem Rücken zur Tür, und wenn er hört, dass jemand sie öffnet, dann hört er auf zu reden, dreht sich halb nach hinten und wartet – wer da? Links neben ihm sitzt seine Frau, Mariam, und rechter Hand der Sohn, Johannes. Petrus, Johannes, Mariam sind weiß Gott ihre echten Namen, die neuen zumindest, die christlichen; die echten iranischen werden Sie hier nicht finden.

Die Familie fürchtet nämlich um Verwandte im Iran. Sie ruft sie auch nicht an, mag sein, da hört jemand mit. Und die ganze, schwierige Wahrheit ist: Sie wissen noch nicht einmal, was die Verwandten im Iran heute über sie denken. „Vielleicht sehen sie uns auch wie Dreck.“

Der Grund für Flucht, Gefahr und Ungewissheit steht in den Anhörungsbogen zum Asylverfahren der drei. Standardfrage 21: „Waren Sie schon früher einmal in der Bundesrepublik Deutschland?“ Antwort: „Im Jahre 2009 war ich zur Taufe in Deutschland.“ Die drei sind aus dem Mittleren Osten geflohene Christen, wie so viele in dieser Zeit; aber lebensbedrohlich war ihre Situation, weil sie übergetretene Moslems sind. Im Iran ist das seit einigen Jahren verboten und belegt mit der Todesstrafe.

Frage 25, Nachfrage 3: „Warum haben Sie sich überhaupt entschlossen, den Islam zu verlassen?“ Es antwortet die Mutter, im Kern politisch: „In meiner Arbeit (als Lehrer­in) habe ich immer mit den Widersprüchen zwischen der Regierung und dem Islam leben müssen . . . Wie sie die Schülerinnen zwingen, sich zu kleiden, . . . und nur in einer Richtung zu beten.“

Sie ist es, die ihren Mann über Jahre beeinflusst. Er erzählt später mit einer Frömmigkeit, die vielen Europäern fremd geworden ist, von Träumen und Visionen und einem Erlebnis: Bei einer Fahrt durch den Schneematsch von Nord-Iran sei er in die Gegenspur geschleudert, Laster kamen auf ihn zu, „da rief ich: ,Jesus Christus hilf!“ – und sein Auto kam unbeschadet auf dem Seitenstreifen zu stehen.

Wie durch ein Wunder, würde man in Deutschland sagen. Petrus S. sagt: durch ein Wunder.

Ein Jahr später wechselt die Familie den Glauben. Es folgen rund fünf Jahre heimlichen Christentums: Die wenigen Kirchen in Teheran, die die Regierung duldet für die eingeborenen Christen, die können sie ja nicht aufsuchen, Apostaten, die sie sind, also Überläufer, Abtrünnige. Und dabei im Staatsdienst! Im Herbst 2009 lassen sie sich in Hannover taufen.

Frage 25, Nachfrage 8: „Warum sind Sie dann wieder in den Iran zurückgekehrt?“ Der Vater: „Wie ich bereits sagte, war meine Frau ja als Lehrerin angestellt, mein Sohn war noch nicht mit seinem Studium fertig . . . Wir hatten unser ganzes Leben im Iran, auch unser Haus war dort. Es lag nicht in unserer Absicht, unseren Glauben öffentlich zu machen.“

Unterwegs mit
falschen Papieren

Das Halbjahr ist geprägt von Demonstrationen gegen die umstrittene Wiederwahl von Präsident Mahmud Ahmadinedschad. So auch am 27. Dezember 2009. Asylanhörung, Frage 25, Vermerk 1: „Der Antragsteller wird gebeten, sich auf das Wesentliche zu beschränken.“ Es spricht der Vater: „Als mein Sohn nach Hause kam, war er unter sehr großer Angst, er zitterte am ganzen Körper und sagte, dass sein Cousin . . . festgenommen worden sei. Ich war nun jahrelang dabei und weiß über die Mechanismen Bescheid. Wenn sie einen festgenommen haben, dann wollen sie ihm auch etwas anhängen . . . Ich weiß, welche Folter- und Zwangsmethoden sie anwenden . . . Ich wusste, dass (der Cousin) unsere Hauskirche erwähnen würde . . . Noch am selben Abend haben wir beschlossen, zu gehen.“

Sie fahren zu Verwandten und tun so, als hätten sie ganz normal Urlaub. Frühere Nachbarn sagen am Telefon: „Die Sicherheit war da und hat Sachen mitgenommen.“ Sie fahren weiter in eine Stadt, die ein Schmugglernest ist und in der Petrus S. Kontakte hat. Er findet zu Schleppern. Er überlässt unter einem Vorwand seiner Schwester das halbe Haus und lässt sich auszahlen. Mit falschen Papieren reist die Familie im Bus in die Türkei, dann Mitte September, im Flugzeug nach Düsseldorf.

Anhörungsbogen, Frage 25, Antwort vier: „Ich wollte dem Schlepper nicht alles auf einmal bezahlen. 10 000 Euro hat er im Iran bekommen und 10 000 in der Türkei. Den Rest (18 000 Euro) habe ich dann im Flughafen hier in Düsseldorf bezahlt . . .“

Sie leben im Ruhrgebiet. Sie sind als Flüchtlinge anerkannt. Bald beginnt der Deutschkurs!