Düsseldorf. .
Beschneidungen bei jungen Mädchen finden nicht nur im afrikanischen Wüstenzelt, sondern auch im Ruhrgebiet statt. Eine neues Beratungstelefon will Betroffenen helfen.
Genitalverstümmelung ist erstens ein Tabuthema, und zweitens wähnen wir es ganz weit weg. In Somalia, Sudan oder sonst wo in Afrika. Aber das ist nicht ganz richtig. Frauen und Mädchen werden nicht nur an Orten wie Dschibuti oder Khartum beschnitten, sondern auch in Bochum, Bottrop oder Köln. Heimlich, still und leise, damit kein Nachbar was davon mitkriegt. Der Schmerz bleibt indes derselbe, ob im Wüstenzelt oder in einem Mietshaus im Ruhrgebiet.
Jawahir Cumar kennt den Schmerz. Die 32-Jährige kam in Somalia zur Welt, wo noch heute 99 Prozent der Frauen beschnitten sind. Cumar war fünf, als es passierte. Der Vater war dagegen, der Rest der Familie aber für die alte Tradition. Was damals mit ihr geschah, tut Cumar jetzt noch weh. „Es ist, als wäre es gestern geschehen. So etwas vergisst man nie.“ Nicht das Blut, nicht die Qual und auch die vielen Folgen nicht.
Denn wie soll zum Beispiel jemand Wasser lassen, wenn er unten praktisch zugenäht ist? „Bei manchen Frauen dauert das eine halbe Stunde“, erzählt Jawahir Cumar. Sie kennt diese Frauen, sie melden sich in ihrer Beratungsstelle „Stop Mutilation“ (Schluss mit der Beschneidung), der einzigen Einrichtung dieser Art in NRW. Manchmal kommen auch Geschwister, klopfen schüchtern an und sagen: „Meine kleine Schwester ist in Gefahr.“
Zehn Anfragen am Tag gehen bei „Stop Mutilation“ ein, Tendenz: steigend. Da ist die Afrikanerin, die in einer Ruhrgebiets-Klinik ein Kind zur Welt bringen will und vor schier fassungslosen Ärzten liegt. „So etwas“ haben die Mediziner und Hebammen noch nie gesehen. Sie wollen helfen, sind schockiert, aber auch neugierig. „In diesem Fall wurden nacheinander alle Ärzte und Pfleger der Abteilung ans Bett gerufen“, sagt Cumar.
Sie selbst nahm sich im Jahr 1996 fest vor, Frauen vor der Beschneidung zu retten. Cumar weilte damals in Somalia, in dem Dorf, aus dem sie stammt. Ein Mädchen war gestorben, acht Jahre jung, verblutet bei der Beschneidung. „Schicksal“, sagten die Verwandten. „Traurig, aber Gott hat’s so gewollt.“
Die Beraterinnen von „Stop Mutilation“ wissen: „Schicksal ist auch eine beliebte Vokabel der Beschneiderinnen. Die kommen aus Großbritannien, aus Frankreich oder Ostafrika und reisen in NRW herum, um für guten Lohn schlechte Dienste anzubieten. „1500 bis 2000 Euro pro Beschneidung, das ist der übliche Preis. Oft werden vier oder fünf Mädchen nacheinander verstümmelt“, sagt Cumar. Geschnitten wird also auch hier, mitten in Europa, nicht selten mit Scheren, Rasierklingen oder Scherben.
Günter Haverkamp leitet den Verein „Aktion Weißes Friedensband“, der seit 2007 einen Runden Tisch gegen die Beschneidung in NRW organisiert. Haverkamp hat erfahren, dass viele Männer aus „Beschneidungs-Ländern“ zwar für diese Prozedur seien, aber selbst überhaupt keine Ahnung davon hätten. „Sie wissen nicht, was da geschieht, dass jede Regelblutung für diese Frauen ein Risiko und jede Schwangerschaft lebensgefährlich ist.“
Die neue Beratungs-Hotline für NRW soll aufklären: Mädchen, die Fragen zum Thema haben, aber auch Eltern, Onkel, Erzieher. Alle, die mit dem Thema in Berührung kommen, aber eigentlich nichts darüber wissen. Die Nummern: 0211/985 957 89 (deutsch), 0211/248 666 25 (englisch), 0211/248 690 39 (französisch), 0211/980 775 58 (arabisch), 0211 983 979 15 (kiswahili) und 0211 983 979 11 (somalisch). Weitere Infos unter www.kutairi.de.