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Der Mann wird 107! Johannes Heesters feiert diesen seltenen Geburtstag nicht zu Hause in Bayern, sondern im Erfurter Kaisersaal. Dort dürfen ihn Journalisten fotografieren, aber nicht interviewen. Zu anstrengend.
Am Erfurter Kaisersaal ist der Name „Kaisersaal“ zwar ein klitzekleiner Etikettenschwindel, einiges gesehen hat er aber schon. Clara Schumann etwa war hier, Liszt – oder auch August Bebel, wenigstens der Arbeiterkaiser: Hier gab sich die SPD endgültig den Namen „Sozialdemokratische Partei Deutschlands“, und das war 1891.
Da war es nicht mehr allzulang hin bis zur Geburt jenes Künstlers, der am Sonntag in diesem Kaisersaal Geburtstag feiert: Johannes Heesters. Jahrgang 1903. Nicht zu fassen! Wie Theo Lingen, Konrad Lorenz, Willi Forst – und die wurden auch schon alt. Aber Heesters lebt. Auf seine Art: ein fliegender Holländer. Einer also, der Gott und den Naturgesetzen trotzt und dazu verdammt scheint, weiterzumachen und weiterzumachen.
Am Sonntag, an seinem 107. Geburtstag, steht der blinde und schwerhörige Mann in diesem Kaisersaal eine halbe Stunde Journalisten für Fotos zur Verfügung, aber nicht für Gespräche, das schafft er nicht; am Dienstagabend dann folgt eine Gala mit mehreren Künstlern. „Jopie. Die 107. Revue.“ Und Heesters soll singen. „Lolo, Dodo, Joujou / Clocio, Margot, Froufrou . . .“ Da geh ich ins Maxim. Verdammt.
Aber man muss glauben, dass Heesters tatsächlich noch Spaß hat an der Sache: der älteste Schauspieler und Sänger auf dem Planeten zu sein, der noch auftritt. In einem Gespräch mit der österreichischen Zeitung „Der Standard“ sagt der 106-Jährige: „Hätte ich die ganzen Jahre nur missmutig im Lehnstuhl gesessen, hätten wohl auch Kilos von Knoblauch nichts genutzt.“
Jopies Lebenseinstellung
Die Wahrheit ist natürlich: Hätte er nur missmutig im Lehnstuhl gesessen, wäre er schon längst nicht mehr da. Und das mit dem Knoblauch ist eine Anspielung darauf, dass ein 106-Jähriger gelegentlich schon mal gefragt wird, wie man bloß so alt wird. Empfindsame Seelen sollten vielleicht jetzt die Stelle hinter dem Doppelpunkt überspringen: Heesters empfiehlt nämlich, Knoblauch in Genever zu schnibbeln, vier Wochen in der Sonne stehen zu lassen und dann zu trinken. Man darf ja nicht heikel sein im Alter.
Dem alten Mann, das steht mal fest, fliegen Sympathien zu; anders als vielen seiner Kollegen, die man eines Tages nicht mehr sehen kann. Das dürfte daher kommen, dass Heesters immer selbstironisch mit seinem Alter kokettierte. Mit über 90: „Ich glaube, ich werde alt.“ Mit 105: „Ich habe Angst, dass Simone vor mir geht“ – Simone Rethel, seine Frau, ist 61. Und natürlich der wunderbare Witz, wie der Tod schellt, Johannes Heesters die Tür öffnet und über die Schulter ruft: „Simone, für Dich!“
„Es zeigt Jopies Lebenseinstellung. Er beschäftigt sich nicht mit dem Tod“, sagt Simone Rethel im „Standard“. Dass er alle paar Jahre verkündet, aus Gesundheitsgründen mit dem Rauchen aufzuhören, gehört auch in dieses Kapitel Selbstironie. Dass die Klatschpresse dies ihren Lesern jedes Jahr als Neuigkeit verkauft, ist ziemlich dreist.
Vier, fünf Lieder vielleicht
Heesters, geboren in Amersfoort in Holland in eine Kaufmannsfamilie hinein, wurde schon in den 20er-Jahren Schauspieler. Seine Karriere hob ab, als er 1936 nach Deutschland ging und ein großer Star der Ufa-Revuen und -Operetten wurde. Nach dem Krieg konnte er seine schäkernde Laufbahn in der Bundesrepublik fortsetzen, und die Kritik verblasste langsam, als unpolitischer Unterhaltungskünstler habe er indirekt die Nazi-Herrschaft gestützt – das war der Vorwurf, der Zarah Leander zu Fall brachte. Selbst Heesters Heimat Holland verzieh dem als singendem Kollaborateur Gescholtenen, 2008 trat er erstmals wieder dort auf, zu Hause in Amersfoort. Draußen standen Demonstranten, drinnen rauschte der Saal.
Dienstag also soll er wieder singen. Vier, fünf Lieder vielleicht. Eines bestimmt: „Da geh ich ins Maxim.“ Aus der „Lustigen Witwe.“ Komischer Name, in dem Zusammenhang.