Essen. .

Herzspezialisten sind so leicht nicht zu erschüttern. Rauchen ist nicht gut fürs Herz – solche Routine bringt sie nicht aus der Ruhe. Dass die Köpfe der Experten in Münster wie in Essen dennoch qualmen, liegt daran, dass es noch Überraschungen gibt.

Schauen wir zuerst zu Prof. Holger Reinecke nach Münster. Er hat, genau wie Kollegen der Herzklinik aus Oeynhausen, bemerkt, dass die Herzinfarkte dank des Rauchverbots von 2008 weniger wurden. „Ich habe mir die Fallzahlen angeguckt. Und war erstaunt, dass die Zahl der Herzinfarkte plötzlich abnahm.“ Von 541 Fällen im Jahr 2007 auf 457 Fälle im Jahr 2008. „Und im letzten Jahr waren es nur noch 359 Patienten mit Herzinfarkt. Das ist ein Rückgang von 33,3 Prozent“, so Reinecke.

Münster und Oeynhausen liegen damit im internationalen Trend, aufgeschrieben in einer Studie der Amerikanischen Herzgesellschaft AHA, veröffentlicht im Fachblatt Circulation. Hier fiel die Zahl der Infarkte ein Jahr nach Einführung von Rauchverboten zunächst um 17 Prozent. Nach drei Jahren lag der Rückgang schon bei mehr als einem Drittel (36 Prozent). Eine andere Studie aus dem Journal of the American College of Cardiology bezifferte den Rückgang auf mehr als ein Viertel.

Und nun schauen wir vor die Haustür: verkehrte Welt in Essen. Weil es hier in Sachen Erfolg durchs Rauchverbot anders ist als in den USA, Italien oder in den Zentralkliniken NRWs, ist auch Prof. Raimund Erbel, Chef des Westdeutschen Herzzentrums an der Uniklinik Es­sen, ein wenig aus dem Häuschen.

Rauchverbot soll zu weniger Infarkten führen? Schön wär’s. Doch das kann er nicht sehen. Es gab einen Rückgang, um etwa hundert auf 490 Fälle im Essener Herzinfarkt Verbund, aber der war schon im Jahr 2004. Diese Zahl gelte in etwa bis heute. Erbel sieht noch keinen Nutzen des Rauchverbots im Ruhrgebiet. „Weil hier im Re­vier doch noch viel geraucht wird.“ Es gebe jede Menge Aus­nahmen von der Nichtraucher-Regelung. „Man kann doch in Essen mit einer Schwangeren oder einem Herzkranken kaum noch was essen oder etwas trinken ge­hen, ohne vollgequalmt zu werden.“ Alles voller Sonderregelungen, Raucherclubs, ge­schlossenen Gesellschaften.

Der Doktor kann sich richtig aufregen, ob das gut ist? Halb so schlimm, denn all die anderen Dinge – wie Bluthochdruck, Feinstaub oder Cholesterin – seien im Vergleich zum Glimmstängel kleine Fische. „40 Prozent der Infarktpatienten rauchen.“ Vor allem jüngere Frauen habe er gesichtet. Es deckt sich mit der offiziellen Statistik.

Wunder von Münster

Auch Reinecke kann sich ereifern. Über den Vorwurf, seine Zahlen seien doch gar nicht stichhaltig. Das Wunder von Münster ! So formulieren es böse Zungen. Weil es sich ja allein um die Zahlen einer einzigen Klinik handelt. Was aber, wenn die Pa­tienten mit Herzinfarkt einfach in andere Spitäler gingen?

Reinecke: „Erstens sind wir eine zentrale Anlaufstelle. Zweitens liegen unsere Zahlen im weltweilten Trend.“ Und diese weltweiten Daten basierten auf profunden, verlässlichen Studien, so Reinecke. „Es gibt riesengroße Veröffentlichungen in den USA, in Ir­land, in Italien, wo sehr eindeutig bewiesen wird, dass das Infarktrisiko nach drei Jahren Rauchverbot um bis zu vierzig Prozent sank.“

Die Zahlen hält auch Erbel für belastbar. „Wir in Deutschland können solche Ergebnisse zentral nicht vorweisen, weil bei uns Herzinfarkt keine Meldepflicht ist.“ Es sei schon schwierig, verlässliche Zahlen aus Städten zu bekommen. Das sei in Essen möglich, weil man hier über den einzigartigen Herzinfarkt Verbund verfüge. Hier würden die Infarkte einer ganzen Stadt und nicht nur die einer Klinik registriert.

Bis man über besseres Zahlenmaterial verfüge, sollte eine Zahl reichen: „Würde niemand mehr rauchen, hätten wir weit über 30 Prozent weniger Herzinfarkte“, so Er­bel.