Essen. .

Es gibt Statistiken und Auswertungen. Ob es schlimmer geworden ist mit der Jugendkriminalität oder nicht, wird unterschiedlich gesehen. Jugendrichter interessiert das eher am Rande. Ihnen geht es um den Einzelfall. Um den Heranwachsenden, dem sie die kriminelle Karriere verbauen wollen.

Auch Christian Fischbach, Abteilungsleiter der Jugendrichter am Essener Amtsgericht, argumentiert vor allem vom Gefühl her, weil es keine echten Zahlen zur Ge­waltintensität gibt. Raub, das kann das Handy-Abziehen auf dem Schulhof ebenso sein wie die üble Attacke auf eine ältere Frau auf dem Gehweg. Der 39-Jährige: „Ich bin seit meiner Jugend beim BVB und in der Heavy Metal-Szene, da geht es hoch her. Meine Beobachtung: Früher hat man irgendwann gestoppt, heute wird bei Schlägen weitergemacht.“

Vorurteile sind des Richters Feind

Ansonsten glaubt auch er, dass man die Entwicklung der Jugendkriminalität differenziert sehen muss. Stehen Ausländer hinter den Gewaltdelikten oder die soziale Unterschicht quer durch die nationale Herkunft? „Beides“, sagt Fischbach, so pauschal könne es aber nicht gesehen werden. Das „Libanesen-Problem“? „Das fängt schon bei den libanesischen Familienclans an, von denen wir wissen, dass sie nicht aus dem Libanon kommen, sondern aus den Kurdengebieten.“ Und es gäbe genug Libanesen in einer Stadt wie Essen, die ordentlich ihr Geld verdienten. Andererseits kenne man deutsche Familien, „die seit fünfzig Jahren von der Kriminalität leben“.

Rund 600 Eingänge hat ein Essener Jugendrichter pro Jahr zu bearbeiten. „Da geht es aber auch um den geklauten Lippenstift im Drogeriemarkt“, relativiert Jugendrichterin Melanie Krauß (35). Intensivtäter, die in der Öffentlichkeit Angst und Schrecken hervorrufen, sind auch da­runter. Aber da, sagt Fischbach, gibt es in Essen und anderen Städten ein gutes Instrumentarium.

Po­lizei, Ju­gendamt, Jugendgerichtshilfe, Staatsanwaltschaft und Schulen sind vernetzt. Auch wer unter 14 ist und schon mehrere Straftaten auf dem Buckel hat, wird erfasst. In Fallkonferenzen erarbeiten Experten Lösungen. „Das läuft gut“, sagt Fischbach. Die Institutionen könnten früh aktiv werden. Polizisten gehen in die Familien, führen „Gefährderansprachen“, Schulen gehen of­fensiv mit Problemfällen um. Fischbach: „Und die Jugendlichen merken, dass man ihnen auf den Füßen steht.“

Was Knast bedeutet

Viel individueller als bei Erwachsenen können die Jugendrichter reagieren. Melanie Krauß: „Über Weisungen schaffen wir fast alles.“ Da kann man den Jugendlichen aufgeben, einen Entschuldigungsbrief zu schreiben, ein Jahr lang nicht mehr ins Stadion zu gehen oder sich Arbeit zu suchen. Folgen die Jugendlichen nicht, dann gibt es bis zu vier Wochen Beugearrest.

Wünsche haben die Jugendrichter auch, allerdings sind die politisch umstritten. Etwa der „Warnschuss-Arrest“. Da­mit der Verurteilte, der Bewährung bekommt, nicht meint, das Gericht habe ihn nicht bestraft, finden sie einen kurzen Arrest sinnvoll: „Damit sie merken, was Knast bedeutet.“