Essen.

Stau, Stau Stau. Warum sich das Ruhrgebiet in diesem Herbst festfährt. Mehr Verkehr gibt es nur noch in Paris und London.

Donnerstagnachmittag, 16.40 Uhr, Auffahrt Essen-Mitte in Fahrtrichtung Dortmund. Rush-Hour auf der A40. Von Duisburg her kommen sie dicht an dicht, aber immerhin flüssig. Wer redet eigentlich vom großen Stau-Herbst?

„Durch Ausbau der vierstreifigen Strecken und notwendige Sanierung gibt es keine baustellenfreien Autobahnen“, warnt Winfried Pudenz, Chef von straßen.nrw., vor zu schnellen Schlüssen.

16.45 Uhr, Kreuz Essen-Ost. Pudenz hat Recht. Ein Meer von blinkenden, blitzenden Autoleuchten liegt vor uns. Tempo 60 schreiben die elektronischen Tafeln vor. Gefahren wird: Tempo 0. Willkommen im Stau. Dem bei Huttrop.

Vielleicht wird Huttrop mal Wort des Jahres im Ruhrgebiet. Huttrop, stellt der Scorecard-Report von Inrix fest, steht in der Liste der Top Ten der „schlimmsten Verkehrsengpässe in Deutschland“ auf Platz 10, im Revier auf Platz1. Inrix bietet weltweit Verkehrsinformationsdienste an und hat jetzt Europa untersucht. Ergebnis: Paris ist der staureichste Ballungsraum auf dem Kontinent. Es folgt London. Dann das Ruhrgebiet. Statistisch steht jeder seiner 5,302 Millionen Einwohner 51 Stunden pro Jahr Stoßstange an Stoßstange. Freitags ist die Rhein-Ruhr-Region von 15 bis 16 Uhr völlig dicht.

Jetzt aber ist Donnerstag, 16.55 Uhr. Und auch Stau. Wir lassen den blauen BMW-Kombi mit Düsseldorfer Kennzeichen rein. Ein Akt des Mitleids, weil er wohl schon lange warten musste. In Huttrop kommen sie aus der Landeshauptstadt über die A 52 und vom rheinischen Revier über die A 40 und kurz dahinter werden aus drei Spuren nur noch zwei, weil straßen.nrw („Wir bauen für Sie“) von hier bis Bochum-Hamme bis 2013 erweitern muss. Eine von 30 Dauerbaustellen in NRW, dem Nadelöhr der Nation.

Vor allem ist es das im November. Frank Schewe von der WDR-Verkehrsredaktion zieht Bilanz: „Was die Stauzahlen angeht, rechnen wir 2010 mit dem schlimmsten Herbst seit Beginn der Archive vor zehn Jahren.“

Und diese Woche ist die schlimmste in diesem schlimmen Herbst gewesen. Dienstag, 8.45 Uhr: 64 Staus, 314 Kilometer Gesamtlänge. Mittwoch, 8.29 Uhr: 53 Staus auf 150 Kilometer. Donnerstag, 8.55 Uhr: 46 Staus auf 167 Kilometer. Normal wären zur Morgenstunde um die 30 Staumeldungen mit Längen zwischen 80 und 100 Kilometern. Nur die Autobahnpolizei at­met durch. Sie meldet weniger Unfälle als im letzten Jahr - und mehr leichtere.

Verzicht auf DüBoDo

Straßen.NRW gilt als flexibles Unternehmen mit fortschrittlichem Baustellenmanagement, mit Nachtarbeit. Warum geht dann nichts voran? WDR-Mann Schewe zählt auf: Der November ist immer der staureichste Monat, weil keine Ferien sind, kaum jemand im Urlaub ist. Es gibt viele Baustellen, auch wegen der Konjunkturprogramme. Die Konjunktur selbst brummt. Mehr Lkw als noch 2009 sind unterwegs.

„Wir vergleichen seit Jahren die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt mit den Stauzahlen“, sagt Schewe. „Wenig Konsum und weniger Fahrten von und zur Arbeitsstätte ergeben weniger Staus. In Zeiten niedriger Arbeitslosigkeit tritt das Gegenteil ein.“

Der ADAC hat noch einen Verdacht: „NRW hat zu spät angefangen, die dritten Spuren zu bauen“, sagt Roman Suthold. Der Verkehrsexperte sieht Fehler der Politik – und einen kapitalen, der in den 80er-Jahren gemacht wurde: Damals verzichtete das Land auf die DüBoDo. „Die durchgehende A 44 zwischen Düsseldorf und Dortmund wäre die Entlastungsstrecke für das Ruhrgebiet gewesen.“ Jetzt mahnt er: Auch wenn die Landesregierung vor allem in den Unterhalt investieren wolle, sei Ausbau dringend. Zum Beispiel „zehnspurig an den Kreuzen Heumar und Kaiserberg“.

Nach 17 Uhr. Wir haben auf der Fahrt auf der A 40 Wattenscheid-West passiert. Für we­nige, aber wichtige Aufhol-Kilometer geht es flotter voran. Vor DO dann Stop and Go. Es gibt einen Kalauer. „Fährt ein Holländer nach Polen und steht vor einer roten Ampel. Wo ist er? In Dortmund“.