Essen/Düsseldorf.
Ein Kleinkind stirbt nach einer Stammzellentherapie. Die Behandlungsmethode ist höchst umstritten.
Für viele Menschen mit unheilbaren Krankheiten ist es die letzte Hoffnung: eine Stammzellentherapie. Das Düsseldorfer Unternehmen XCell bietet diese nach eigener Darstellung „erfolgversprechende” und „sichere” Methode an. Doch sie kann fatale Folgen haben. Ein Kleinkind starb, bei zwei weiteren gab es lebensgefährliche Komplikationen. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen des Verdachts auf fahrlässige Tötung und Körperverletzung. Für Stammzellforscher wurden damit die schlimmsten Befürchtungen traurige Realität.
Seit drei Jahren rankt sich das Geschäftsmodell von XCell ausschließlich um die Stammzellentherapie, mehr als 3000 Menschen sollen behandelt worden sein.
Die Erwartungen an Stammzellen sind hoch, sie können sich selbst erneuern, sich zu spezialisierten Zellen entwickeln und eine bestimmte Aufgabe übernehmen. Und ihnen wird ein großes Potenzial für die Entwicklung von Zellersatztherapien bescheinigt, bei denen erkrankte oder abgestorbene Zellen durch neue ersetzt werden könnten.
Aber: Klinisch erprobte Behandlungen gibt es kaum. Störungen des Blut- und Immunsystems gehören in einigen Fällen dazu. Trotzdem nennt XCell unter anderem ALS, Schlaganfall, Parkinson, Multiple Sklerose, Arthrose und Alzheimer als behandelte Krankheiten. Auch Hilfe bei Erektionsstörungen werden in Aussicht gestellt. Die Kosten erreichen schnell 9000 Euro und können in einigen Fällen auf bis zu 18 000 Euro hoch schießen. Risiken? Dazu nennt XCell mögliche Komplikationen bei der Wundheilung oder Schmerzen nach dem Eingriff. In seltenen Fällen könnten Blutungen auftreten.
Doch am 12. August endete eine der Behandlungen tödlich. Einem zweieinhalbjährigen, schwer behinderten Jungen aus Italien waren Stammzellen aus dem Hüftknochen entnommen und ins Gehirn gespritzt worden. Dabei erlitt das Kind starke Blutungen und verstarb wenig später in einer Krefelder Klinik.
Es war nicht der erste Eingriff, der mit lebensgefährlichen Komplikationen endete. Schon am 1. April löste eine Injektion eine Hirnblutung aus. „Der neunjährige Junge aus Aserbaidschan schwebte in akuter Lebensgefahr und konnte nur mit Glück im Düsseldorfer Uni-Klinikum gerettet werden”, teilte Staatsanwalt Christoph Kumpa auf Anfrage dieser Zeitung mit.
Kumpas Ermittlungen beschränken sich derzeit auf die Ärztin, die für beide Eingriffe verantwortlich war. Gegen XCell kann er nicht vorgehen – weil ihm die rechtliche Handhabe fehlt. Und das, obwohl das Paul-Ehrlich-Institut im Zuge der Ermittlungen ein Gutachten verfasste, in dem es heißt, dass der Gebrauch von Stammzellpräparaten durch XCell nach derzeitigem Stand der Wissenschaft schädliche Wirkungen hat, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft über ein vertretbares Maß erheblich hinausgehen. Klartext: XCell betreibt ein Hochrisikogeschäft.
Möglich wird dies durch eine rechtliche Grauzone. In Deutschland gibt es kein Verbot, Stammzellen aus dem eigenen Körper in einer Therapie einzusetzen. Erst ab 2012 braucht XCell eine Zulassung der Europäischen Arzneimittelagentur. Bis zu diesem Zeitpunkt könnte sich die Firma in der juristischen Lücke bewegen. Ob das Düsseldorfer Unternehmen die Zulassung erhält, ist momentan offen.
Nachweis der
Wirksamkeit fehlt
Wissenschaftler schauen bereits seit einiger Zeit mit einer gehörigen Portion Argwohn auf XCell. Noch im Februar hatte sich das Kompetenznetzwerk Stammzellforschung NRW, in dem alle Unikliniken des Landes vertreten sind, „tief beunruhigt” darüber geäußert, dass XCell Therapien anbietet, deren Wirkung nicht bewiesen ist. Es fehle der wissenschaftlich begründete Nachweis der Wirksamkeit, vielmehr seien die Behandlungen als experimentell einzustufen. Durch den Tod wurde die Beunruhigung auf tragische Weise bestätigt.
Die Forscher warnen gebetsmühlenartig vor dem Geschäft mit den vermeintlichen Wunderzellen. „Die kommerzielle Entwicklung hat die wissenschaftliche Forschung klar überholt“, klagte bereits vor zwei Jahren Prof. Peter Horn vom Institut für Transfusionsmedizin am Uniklinikum Essen. Viele Therapien seien wissenschaftlich nicht hinreichend erforscht, würden aber aggressiv beworben.
XCell hat inzwischen reagiert. Die beschuldigte Ärztin wurde entlassen, die Hirn-Injektion wird bis auf Weiteres nicht mehr durchgeführt.