Hagen. .

In Hagen steht ein 48-Jähriger vor Gericht, der zwei Morde auf dem Gewissen haben soll. Die Taten sind schon vier bzw. elf Jahre her.

Justizia hat zuweilen einen langen Atem und das Gesetz einen langen Arm. Elfeinhalb Jahre nach dem Tod der 79-jährigen Hildegard Sch. aus Altena steht nun ihr mutmaßlicher Mörder vor Gericht. Und nicht nur für diese Tat: Auch Umberto S., einen Kölner Pizzabäcker, soll der 48-Jährige erschossen haben – das war 2006. „Kommissar Zufall“, heißt es am Hagener Landgericht, habe Michael P. nach all den Jahren überführt. Tatsächlich aber war es seine geschiedene Frau.

Wobei man P. hätte kennen können, nur eben nicht als den „Muckebeutel-Mörder“ (nach dem ersten Tatort). Dressman ist er gewesen; es gibt noch Model-Fotos von ihm mit Miami-Vice-Frisur. Kleine Filmrollen hatte er, und fernsehtauglich war auch sein früheres Leben: 1983 schwamm der Matrose aus der DDR vom Schiff aus durch den Nord-Ostsee-Kanal in die Freiheit. Allzu viel dieser Freiheit hat er im Westen allerdings nicht genossen. Mehrere Jahre saß er in Haft, unter anderem nach bewaffneten Banküberfällen.

Eine „feindliche Übernahme“

Im Knast lernte er Kumpel W. kennen – und, wieder draußen, dessen Frau. „Feindliche Übernahme“ nennt ein Kripo-Mann, was dann geschah: Für P. verließ Andrea W. ihren dauer-delinquenten Gatten, heiratete den Neuen, bekam einen Sohn von ihm. Als auch diese Ehe in die Brüche ging, nahm die ehemalige Frau P. allerdings Täterwissen mit – und offenbarte es nun der Polizei. Anlass war eigentlich eine Vernehmung in Sachen des Ex-Ex-Manns. Auch der sagt nun gegen seinen alten Freund und Nebenbuhler aus.

Eine verwirrende Geschichte, nach Meinung der Ermittler aber schlüssig: „Ein ganz schöner Hammer.“ Denn trotz Sauerland und Rheinland, Rentnerin und Wirt sowie auch noch zwei verschiedenen Waffen entdeckten sie nun Verbindungen beider Todesfälle mit Michael P.: In Köln, wo der Täter in der Pizzeria nach einem Tresor fragte und Umberto S. mit fünf Schüssen niederstreckte, soll er unmittelbar nach der Tat telefoniert haben. Und in Altena, wo die alte Dame im Bad an einem Brustdurchschuss starb, fand man statt ihres Sparbuchs Spuren seines Erbguts.

Angeklagter zieht Erklärung zurück

Letzteres allerdings ist neu für den Angeklagten: Seine 32-seitige Erklärung, in der er den Vorwurf des zweifachen Mordes aus Habgier „natürlich“ bestreiten wollte, verliest er kurzfristig doch nicht. „Es muss jetzt alles neu überdacht werden“, erklärt Verteidiger Andreas Trode. Eine gewisse Anspannung ist seinem Mandanten ohnehin anzusehen: Das markante Gesicht, eingerahmt von Ziegenbärtchen und topmodischem, jugendlichen Haarschnitt, wirkt wie weiß geschminkt; unter dem einen Knopf zu weit geöffneten Hemd pulsiert eine Ader. Ein schöner Mann, könnte man denken, wenigstens ein schicker – wären da nicht der finstere Blick und der ständig Kaugummi mahlende Kiefer.

Ihm gegenüber sitzt als Nebenklägerin eine der Töchter des italienischen Opfers. Vier Jahre lang hat diese Frau „im Dunkeln getappt“, warum ihr Vater sterben musste. Man munkelte von Feinden im unmittelbaren Umfeld, nun will die Familie die Wahrheit wissen. „Wir hatten die Hoffnung aufgegeben“, sagt Rechtsanwalt Bernd Neunzig, „dass man den Täter jemals findet.“ Für Hildegard Sch. ist niemand im Saal.

Schwerer Schritt

Und Andrea W. betritt ihn an diesem ersten Prozesstag nur kurz. Eine große, blonde Frau, die dem Blick ihres leicht amüsiert wirkenden Ex-Gatten angestrengt ausweicht. Sie ist die Hauptbelastungszeugin, müsste aber nichts sagen. Dass sie es trotzdem bereits getan hat, sei ein „sehr, sehr schwerer Schritt für sie“, so der Kripo-Beamte, dem sie als erstem erzählte, was ihr Mann ihr über die Morde anvertraut habe. Das Wissen habe sie „über Jahre belastet“, sie habe Angst gehabt um sich und ihre Kinder. Dass Andrea W. nun redet, „ist eine Art Befreiung“.