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Carsten Winkel aus Dorsten bekam seine erste neue Niere mit elf. Vom Vater. Seine zweite mit 28 von der Mutter. Was Frank-Walter Steinmeier für seine Frau tun will, geschieht aus Liebe. Denn eine Ehe retten kann die Organspende nicht.

Carsten Winkel aus Dorsten bekam seine erste neue Niere mit elf. Vom Vater. Seine zweite mit 28 von der Mutter. „Die Frage war nicht, ob wir ihm helfen. Sondern wer es kann“, sagt Werner Winkel. Vor sechs Jahren konnte auch Ingrid Winkel: Endlich erlaubte der medizinische Fortschritt Lebendspenden auch bei unterschiedlichen Blutgruppen. Ihr Sohn hing damals schon wieder Jahre an der Dialyse.

Eine gemeinsame Entscheidung

Und trotzdem: „Er muss uns nicht dankbar sein“, sagt Werner Winkel, „wir sind dankbar!“ Dass die Eltern gesundheitlich in der Lage waren, ihrem Kind zu helfen, dass sie seine Entwicklung erleben durften. „Ein unbeschreibliches Gefühl.“ Sätze wie „Denk daran, was wir für dich getan haben“ hält Winkel für „typisch“, aber „verkehrt“. Und auch Sohn Carsten, heute 34 und selbst Familienvater, sagt ja: „Natürlich bin ich äußerst dankbar. Aber ich muss mich nicht erkenntlich zeigen. Ich bin nicht verantwortlicher, als ich mich ohnehin fühle.” Die Lebendspende ist für Winkels, „das, was Eltern eben für ihr Kind tun“.

Wie aber ist das bei (Ehe-)Partnern? „Es ist eine gemeinsame Entscheidung“, sagt die Medizinethikerin Sabine Wöhlke von der Universität Göttingen. Der Spender dürfe sie nicht für den erkrankten Partner treffen. Neben dem Überleben sichere man auch gemeinsame Lebensqualität abseits von Krankheit und Dialyseterminen. „Wenn ein Partner akut erkrankt ist“, wie im Fall Steinmeier, „kann durch eine Lebendspende oft wieder eine Balance auf der Beziehungsebene hergestellt werden.“

Keine Organspende in „instabilen Partnerschaften“

Allerdings: „Die Organspende eignet sich nicht zur Lösung eines Partnerschaftskonflikts“, warnt die Stiftung Lebendspende. „In instabilen Partnerschaften sollte sie nicht stattfinden“, sagt auch Sabine Wöhlke. In der Tat spielt „der psychologische Aspekt eine sehr große Rolle“, so Karolin Herion-Gürtler, Internistin am Nierenzentrum des Essener Krupp-Krankenhauses. „Je­mand gibt, und der Ausgang bleibt unsicher. Das muss aus freien Stücken geschehen, ohne das Gefühl der Verpflichtung.“ Und auf der anderen Seite auch ohne das Gefühl, dankbar sein zu müssen. Die Spende, so Sabine Wöhlke, dürfe „nicht als Geschenk gesehen werden“. Daraus entstehe der Wunsch, etwas zurückzugeben. „Die Empfänger müssen lernen, mit der Dankbarkeit umzugehen, ohne dass daraus Schuldgefühle entstehen.“

Aber was ist denn, fragt eine Betroffene, „wenn die Beziehung kaputt geht”? Wie gut kann der Satz dem gleichberechtigten Miteinander tun: „Ich habe dir das Leben gerettet“? Um solche Fallen zu umgehen und die Spender-Empfänger-Beziehung auf ihre Belastbarkeit zu überprüfen, sieht der Gesetzgeber an den deutschen Transplantationszentren eigene Ethikkommissionen vor, in denen Psychologen die Beteiligten begutachten und gegebenenfalls von einer Spende lieber abraten. Denn auch deren guter Ausgang ist keinesfalls gewiss. Immerhin wird einem organgesunden Menschen ein Körperteil entnommen. „Ein großer Schritt“, sagt Medizinethikerin Wöhlke, „dass ein gesunder Körper verletzt wird.“ Und das Operations-Risiko bleibt. Hinzu kommt, dass es keine Garantie gibt, dass die Niere nicht abgestoßen wird oder der Spender selbst nierenkrank wird.

Viele prominente Beispiele

Schon deshalb gibt es natürlich auch Kritiker. Zwar vermutet etwa Wolfgang Ludwig, der in Münster dem Nierenkranken-Verein „TransDia“ vorsteht, zumindest bei Ehepartnern „lautere Motive“ und kennt auch gute Beispiele dafür. Zumal: „Bei langen Partnerschaften entstehen keine neuen Abhängigkeiten mehr.“ Aber Ludwig hat auch anderes erlebt: den Fall unter Geschwistern, bei denen der Spender unter Druck der Familie seine Niere hergab, gesundheitlich aber schwer an den Folgen leidet – die Beziehung der Geschwister zerbrach. Oder die Geschichte einer Familie mit nierenkrankem Kind: Sollten die Eltern ihre eigene Gesundheit aufs Spiel setzen, wo sie noch Verantwortung trugen für zwei weitere Kinder? „Eine Ethikkommission kann das doch gar nicht beurteilen!“ Ludwig selbst würde im Falle des Falles kein Organ seiner Gattin annehmen: „Das Risiko ist zu groß; am Ende verlieren unsere Kinder beide Elternteile.“

Winkels aus Dorsten hatten Glück: Weder Vater noch Mutter behielten gesundheitliche Beeinträchtigungen zurück. Solcher Beispiele sind viele, auch prominente: Erst im letzten Jahr erhielt Daniel Westling, frischgebackener Ehemann von Schwedens Kronprinzessin Victoria, eine Niere von seinem Vater. Oder Rennfahrer Niki Lauda: Er bekam Nieren von Frau und Bruder. In einer Schweizer Studie äußerten 98 Prozent der Spender auch nach Jahren, ihre Entscheidung nicht bereut zu haben. Meist hatten die Beziehungen an Stabilität und Innigkeit sogar zugenommen.