Gelsenkirchen. In der JVA Gelsenkirchen brodelt es. Gefangene kritisieren die schlechten Haftbedingungen – Drogen, Schlägereien, Demütigungen. Ein Mitarbeiter soll Pornovideos von weiblichen Gefangenen gedreht haben.
Bei Insidern heißt sie nur „Psycho-Knast”. Die Justizvollzugsanstalt Gelsenkirchen ist mit ihrem modernen Bau eine der jüngsten und komfortabelsten unter den rund 40 Einrichtungen in NRW – doch hinter den Mauern brodelt es. Nicht erst, seitdem im Januar der mutmaßliche Missbrauch eines Häftlings durch seine beiden Zellengenossen öffentlich hoch gekocht ist, ist die Stimmung unter Insassen wie Bediensteten offenbar mehr als schlecht.
Noch im November 2008 beklagte Anstaltsleiter Volker Wingerter den extrem hohen Krankenstand von 30 Prozent in seiner sowieso schon reduzierten Mitarbeiterschaft. Die Folge seien eingeschränkte Besuchszeiten und Freizeitangebote für die rund 800 Häftlinge, immer wieder Doppelschichten für die Mitarbeiter. „Die Situation ist angespannt”, gab Wingerter damals zu.
Angeblich regelmäßige Schlägereien
Und offenbar nicht nur das: „Regelmäßige Schlägereien, mehrmals täglich, unter der Dusche, bei den Freigängen, sind gang und gäbe”, berichtet ein Ex-Häftling (Name der Red. bekannt). Seit drei Monaten ist der 38-Jährige in Freiheit. „Da drin sind mehr Drogen im Umlauf als auf jeder Rotlichtmeile.” Wie das detailliert aussieht, schildert ein Beschwerdebrief der Gefangenenmitverantwortung der JVA, der am 14. Januar 2007 an das Justizministerium NRW gegangen ist, und der der WAZ vorliegt. „Mittlerweile haben wir hier Preise, die selbst unter denen in der Freiheit liegen. So wird ein Gramm Heroin für unter 50 Euro angeboten. (...) Selbst eine Menge von 15 bis 20 Gramm ist kurzfristig zu beschaffen”, besagt das Schreiben. Auch ein Mitarbeiter, der Angst hat, seinen Namen öffentlich zu nennen, weil er mit Konsequenzen für seinen Job rechnet, bestätigt: „Drogen gehören in der JVA Gelsenkirchen zum Alltag.”
Ebenfalls an der Tagesordnung sind offenbar Demütigungen und psychische Einschüchterung von Inhaftierten. „Für einige Küchenbedienstete ist ,Drecksvieh' oder ,Faule Sau' als Anrede für einen Gefangenen eine durchaus gebräuchliche Wendung. In der Küche züchtet und dressiert man devote Gefangene. Es ist üblich, Gefangene den ganzen Tag im Kühlhaus (bei konstanten -21 Grad Celsius) nur mit einem Bundeswehrparka arbeiten zu lassen. (...) Auch das Reinigen des Fußbodens mittels Zahnbürsten gehört zum Repertoire”, schrieb die Gefangenenvertretung im Januar 2007 an die Justizministerin.
„Dass in Gefängnissen mit Drogen gehandelt wird, ist ja leider üblich”, kommentiert der Gelsenkirchener Stadtverordnete Günther Brückner (CDU), Mitglied im Anstaltsbeirat, die Aussagen. Gegen die schlechte Stimmung in der JVA Gelsenkirchen müsse man gemeinsam etwas unternehmen. „Was im Moment passiert, ist nicht gut, das sieht man ja an dem jüngsten Missbrauchsfall.” Erst kürzlich hätten zwei Beiratsmitglieder ob der aktuellen Lage das Justizministerium aufgesucht. „Dort wurde uns versprochen, dass Vertreter des Ministeriums an der nächsten Beiratssitzung im März teilnehmen”, sagt Brückner.
Inwischen kamen weitere unappetitliche Details ans Licht: So soll erst vor wenigen Wochen ein Mitarbeiter entlassen worden sein, weil er pornographische Videos von weiblichen Gefangenen gedreht und ins Internet gestellt habe. „Es ist ein Beamter suspendiert worden, gegen den jetzt ein Disziplinarverfahren anhängig ist”, bestätigt Anstaltsleiter Volker Wingerter.
Gefängnisleitung gibt sich zurückhaltend
Zu den Anschuldigungen gegen den Betreffenden wolle er aber nichts sagen. „Das Verfahren läuft ja noch.” Die vermeintlichen Schlägereien in der JVA kommentierte der Anstaltsleiter: „Vorfälle von körperlicher Gewalt sind von uns in 2009 offiziell zwei zur Anzeige gebracht worden.”
Das Justizministerium bestätigt den Eingang des Briefes der Gefangenenvertretung. „Wir haben damals sofort umfangreiche Maßnahmen eingeleitet”, erklärt Sprecherin Andrea Bögge. Warum Drogen im Gelsenkirchener Gefängnis nach wie vor in erheblichem Umfang üblich seien, ebenso wie gewalttätige Übergriffe? „Wir führen alle vorschriftsmäßigen Kontrollen durch. Aber ganz werden sich Drogen in Justizvollzugsanstalten nie verhindern lassen”, so die Sprecherin.