Datteln.
Vor gut einer Woche wurde in Datteln der Geflügel-Großhändler Klaus Kandaouroff („Hühner-Klaus“) erschossen. Und noch immer rätselt die Polizei über Motiv und Hintergrund der Tat, die sie an eine Hinrichtung erinnert.
Wer nicht genau hinsieht, dem wird auf diesem Firmengelände, einem Geflügel-Großhandel am ländlichen Ortsrand von Datteln, nichts auffallen. Einzig die vier rot-weißen Klebestreifen, mit denen die Haustür der Walmdach-Villa versiegelt ist, weisen darauf hin, dass hier Furchtbares geschah. Vor einer Woche wurde der Großhändler Klaus Kandaouroff, immerhin schon 80-jährig, erschossen. Hinterrücks, im Dunkel der Nacht. Von Unbekannten geradezu hingerichtet. Seitdem sucht die Polizei bald schon verzweifelt nach einem Motiv, nach den Hintergründen.
„Hühner-Klaus”, so nannten sie ihn, den Mann, der aus kleinen Verhältnissen stammte, der in jungen Jahren als Aushilfsfahrer für die Bauernhöfe der Umgebung arbeitete, Tiere herumfuhr, Milch einsammelte und schließlich selbst begann, Hühner zu mästen. Ein Selfmade-Millionär ist der russischstämmige Klaus Kandaouroff gewesen, wohl auch ein Schlitzohr. Was er anfasste, so sagen sie rund um Datteln, gelang. Zu der Mast, aus der sich der Geflügel-Großhandel entwickelte, kamen Restaurants, Gaststätten und schließlich 1997 – sein größter Coup – der Kauf des damals abgewrackten Hotels Seehof in Haltern. Kandaouroff nahm Millionen in die Hand, verwandelte das Haus in ein exquisites Tagungs- und Wellness-Hotel.
Was sahen die Kameras?
So steil er aufstieg, so dramatisch starb er. Am Samstag vor einer Woche kommt er wie üblich spätabends von seinem Seehof nach Hause. 22.30 Uhr etwa ist es, als er sein silberfarbenes Mercedes-Coupe auf das Firmengelände lenkt, nach links in Richtung seiner münsterländischen Klinker-Villa biegt. Kandaouroff, der noch so gerne jünger wirken will als er ist, steigt aus, kramt nach den Haustür-Schlüsseln. Da fallen die Schüsse. Seine Frau, die zur Tür eilt, findet ihn tot am Boden liegend. Was die auf dem Firmengelände installierten Videokameras aufgenommen haben, darüber schweigt die Polizei aus ermittlungstaktischen Gründen. Doch es heißt, es gebe Zeugen, die zwei Täter gesehen haben wollen.
Kandaouroff, er war in der Region bekannt und auch beliebt. Er sponserte in Haltern den Frauen-Fußball, spendete, katholisch wie er war, eine neue Bleiverglasung für St. Antonius und galt als fairer Arbeitgeber. Um so mehr kursieren nun die Gerüchte, erreichen auch die Polizei diverse Hinweise auf Dunkles. Schnell ist von Rotlicht-Milieu die Rede, von Fleischmafia, auch von Knebelverträgen im osteuropäischen Raum.
Polizei hat keine heiße Spur
Tatsächlich ist das Firmengebilde nur schwer zu durchschauen. Dass Kandaouroff über Mastbetriebe in den Niederlanden verfügt, gilt als bekannt. Ebenso, dass es Geschäfte mit Osteuropa gibt. Doch scheint es, als habe Kandaouroff seine geschäftlichen Aktivitäten nicht sehr offen gehandhabt. So wie es auch kaum Fotos von ihm zu geben scheint.
„Wir haben keine heiße Spur, kein Motiv und durchleuchten das ganze geschäftliche und private Leben des Getöteten”, sagt Andreas Weber, der Sprecher der Recklinghäuser Polizei. Gerade weil Kandaouroff so viele Geschäftsbeziehungen gepflegt habe, in unterschiedlichen Branchen, gestalteten sich die Ermittlungen als „sehr schwierig”.
Zum zweiten Mal innerhalb weniger Tage bat nun die Polizei die Bevölkerung um Mithilfe: Wo und mit wem wurde Kandaouroff gesehen, mit welchen Geschäftspartnern hat er sich getroffen? Wem sind Personen oder Fahrzeuge in seinem Umfeld aufgefallen?
Was da geschah, vor einer Woche auf dem Anwesen Kandaouroffs, gleicht einer Hinrichtung, weckt Assoziationen von Auftragsmord. Lauerten ihm die Täter auf dem Grundstück auf, oder hatten sie ihn bereits auf seinem Heimweg verfolgt?
Kommissare in Zivil
Auf dem weitläufigen Dattelner Firmengelände mit Supermarkt und Kühlhäusern wirkt in diesen Tagen fast alles wie immer. So schön ist das Wetter, dass viele sich bei Kandaouroff mit Fleisch und Würstchen fürs Grillen versorgen und den Kofferraum ihrer Autos füllen. Die Männer und Frauen, die da den Bürotrakt des Geflügel-Großhandels bevölkern, sind jedoch keine Angestellten, Teil der 20-köpfigen Mordkommission bei der Recherche. Als sich eine ältere Frau zielstrebig der Privatvilla Kandaouroffs nähert, eilt eine Polizistin in zivil herbei „Da können Sie nicht hin! Das ist ein Tatort!”