Essen/Berlin. .
Experten warnen: Zeckenbisse werden unterschätzt und verharmlost. Patientenorganisation „Borreliose und FSME Bund Deutschland“ kritisiert Ärzte und Krankenkassen.
In Deutschland ist die Zahl der Borreliose-Infektionen sprunghaft gestiegen. Gleichwohl sind Erforschung und Behandlung der Krankheit, die der Mensch durch Zeckenbisse bekommt, angeblich unzureichend. Diesen Vorwurf hat die Patientenorganisation „Borreliose und FSME Bund Deutschland“ am Donnerstag gegen Ärzte, Krankenkassen und die Pharmabranche erhoben.
Rund eine Million Menschen leiden nach Einschätzung von Fachleuten inzwischen an der Krankheit, die oft chronisch verläuft und verschiedene Organe befällt. Allein in NRW gab es nach Hochrechnungen der Borreliose-Vereinigung 2009 rund 110 000 Betroffene. 2008 waren es noch 10 000 Menschen weniger. „Borreliose ist eine der Krankheiten, die am meisten unterschätzt und verharmlost werden“, sagte der Patientenbeauftragte der Bundesregierung, Wolfgang Zöller und forderte eine Meldepflicht für die Bundesländer.
Warnung vor zu später Therapie
Die Vorsitzende der Borreliose-Vereinigung, Ute Fischer verwies darauf, dass im Frühstadium der Krankheit 90 Prozent der Betroffenen geheilt werden könnten. Sie warf den Ärzten vor, zu spät mit der Therapie zu beginnen. Der Leiter des Nationalen Referenzzentrums Borrelien, Volker Fingerle, warnte hingegen vor vorschnellem Antibiotika-Einsatz.
Sowohl Fingerle als auch Fischer stellten die Treffsicherheit von Borreliose-Tests in Frage. Fischer griff auch die Kassenärztlichen Vereinigungen an. Diese würden die Ärzte anweisen, keine weiteren Laboruntersuchungen anzustellen, wenn ein erster Test negativ ausfalle. Ein Sprecher der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe sagte, ihm sei von einer Weisung an die Ärzte nichts bekannt.
Was ist eine Borreliose?
Es ist eine bakterielle Infektion, die der Mensch durch einen Zeckenbiss bekommen kann.
Welche Symptome habe ich bei einer Borreliose?
Die Borreliose verläuft bei jedem Menschen anders. Nach Angaben der Patientenorganisation „Borreliose und FSME Bund Deutschland“ bekommt nur jeder zweite Betroffene rote Stellen am Körper. Das Nationale Referenzzentrum Borreliose spricht mit Blick auf zwei Studien von 75 beziehungsweise 90 Prozent. Nach Angaben des Borreliose Bundes ist dies ein sicheres Indiz für eine Infektion. Einen Labortest hält er in diesem Fall nicht mehr für nötig. Weitere Symptome sind permanente Erschöpfung, grippeartige Kopf-, Muskel- und Nervenschmerzen, Gelenkentzündungen am ganzen Körper bis hin zu Lähmungen. Es kann auch zu demenzähnlichen Zuständen und Persönlichkeitsveränderungen kommen.
Was muss ich machen, wenn mich eine Zecke gebissen hat?
„Nach einem Zeckenbiss muss man nicht automatisch zum Arzt“, sagt der Leiter des Nationalen Referenzzentrums für Borreliose (NRZ), Volker Fingerle. Wenn um den Zeckenbiss herum aber rote Stellen auftreten, die mindestens vier bis fünf Zentimeter groß sind, dann sei ein Arztbesuch notwendig. Ratsam ist er auch bei den bereits erwähnten Symptomen.
Wie kann man eine Borreliose behandeln?
Durch Antibiotika. Wird die Borreliose frühzeitig erkannt, liegt die Heilungschance angeblich bei 90 Prozent. Diagnose und Therapie kosten dann etwa 120 Euro. Wird die Krankheit zu spät erkannt, ist eine langwierige Behandlung nötig. Dauerhafte Schäden sind dann nicht auszuschließen.
Wie sicher sind die Antikörper-Tests?
Derzeit gibt es rund 30 sogenannte Elisa-Tests. Sie sollen anzeigen, ob der Betroffene erkrankt ist und Antikörper entwickelt hat. Dies lässt sich aber erst vier bis sechs Wochen nach der Erkrankung feststellen. Nach Angaben des Borreliose Bundes sind die meisten Elisa-Tests – „miserabel“. Oftmals sollen sie fälschlicherweise ein negatives Ergebnis anzeigen.
Volker Fingerle sieht das differenzierter. Es gebe gute und schlechte Tests. „Einige Tests sind aber nicht von unabhängiger Seite geprüft, daher weiß man nicht, was sie leisten“, sagt Fingerle. Die Patienten sollten daher nachfragen, welche Institution den Test auf seine Wirksamkeit hin geprüft hat.
Wie viele Menschen sind in NRW an Borreliose erkrankt?
Da es keine Meldepflicht in Nordrhein-Westfalen gibt und die Borreliose oftmals nicht erkannt wird, liegen keine abschließenden Zahlen vor. Alle bekannten Werte weisen aber einen deutlichen Anstieg auf. Einige Fachleute sprechen sogar von einer Million Erkrankten in ganz Deutschland.
Nach Hochrechnungen der Techniker Krankenkasse (TK) litten 2009 nahezu 800 000 Personen an Borreliose, davon knapp 110 000 in NRW. Das waren zehn Prozent mehr als im Jahr zuvor.