Düsseldorf/Essen.

Marihuana hat viel mit Träumen zu tun. Die Konsumenten träumen von der heilen, bekifften Welt, die Produzenten vom großen Reichtum. Längst wächst das Gras nicht mehr ausschließlich unter der heißen Sonne Marokkos, es gedeiht unter 600-Watt-Strahlern in deutschen Dachböden, Scheunen und Kellern.

Eigentlich war sie kaum zu entdecken, wäre da nicht die hohe Stromrechnung oder die illegal angezapfte Stromleitung. Bei einem Vietnamesen in Mönchengladbach müssen die Kabel geglüht haben. Innerhalb eines guten Jahres stahl er 430 000 Kilowattstunden Strom im Wert von 82 000 Euro für seine Cannabis-Plantage. Für die nächsten viereinhalb Jahre bekommt der 53-Jährige den Strom jetzt kostenlos – hinter Gittern. Anfang Mai fiel das Urteil.

Marihuana aus Holland

Die Drogenfahndung ist extrem hellhörig geworden in Nordrhein-Westfalen, seitdem Niederländer Marihuanapflanzen auch jenseits ihrer Grenze gedeihen lassen. „So kann es passieren, dass der deutsche Tourist in einem Amsterdamer Coffeeshop Gras in seine Blättchen einrollt, das aus der Heimat kommt”, erläutert Siegfried Kleine im Landeskriminalamt. Der 55-jährige Erste Kriminalhauptkommissar leitet das Sachgebiet „Auswertung der Rauschgift-Kriminalität” und kennt die verschlungenen Pfade der Droge, von der Herstellung bis zum Rausch, sozusagen.

Nach wie vor gelte, die Nummer eins unter den illegalen Drogen sind Marihuana und dessen Harz Haschisch. Und: „Vierzig Prozent der Konsumenten sind Jugendliche, ein hoher Anteil.” Was aber nicht mehr stimmt: Mal an einem Joint ziehen sorgt lediglich für ein paar alberne Stunden und einen Fressflash. „Das Zeug hat heute die bis zu zehnfache Wirkung wie früher”, warnt Kleine. Die Zahl der Jugendlichen, die mit Psychosen eingeliefert werden, habe sich in den vergangenen Jahren verdoppelt.

Die Marihuana-Farmen züchten oder klonen immer heftigere Sorten mit immer höherem THC-Gehalt. Go East: Auf der Hut vor der Polizei, wandern die Gras-Farmer derzeit gen Osten, in die neuen Bundesländer und weiter nach Tschechien und Polen aus. Die Fäden laufen aber immer wieder in Holland zusammen. Von dort kommt der Stoff entweder per „Ameisenhandel” in kleinen Mengen über die Grenze oder wird – ab einem halben Kilogramm – im Großhandel ins Ruhrgebiet geordert. Bestellung wie beim Pizza-Taxi, manchmal sogar mit.

Jeder dritte Jugendliche hat schon mal Hasch geraucht

Und dann? Der böse Dealer, der mit bleichem Gesicht und dunkler Sonnenbrille auf dem Schulhof den Trip für die Tüte verhökert? „Das ist ein Märchen aus Privatfernsehen und Boulevardpresse”, räumt Johannes Bombeck von der „Suchthilfe direkt” in Essen ein Klischee aus der Welt. Schüler tauschten Haschisch und Marihuana unter sich aus. Von Freund zu Freund, unter guten Bekannten, weiß Bombeck. Manche frischten mit dem Verkauf ihr Taschengeld auf, aber mehr nicht. Das passiere seltener auf dem Schulhof als nachmittags zu Hause oder abends in der Disco. „Erst wer richtig in den Drogensumpf gesackt ist, kauft beim Dealer”, erklärt der Drogenberater und Sozialarbeiter. Und das seien dann meistens die ganz harten Drogen wie Heroin.

Rund 40 Prozent der Jugendlichen haben laut Bombeck und Statistik schon Erfahrung mit Cannabis gemacht: „Die Risikobereitschaft ist groß, auch die Experimentierfreudigkeit.”

Und wie gelangt der „Shit” vom Produzenten/Händler zum Schüler? Schnittstellen seien in der Regel Kuriere, Durchschnittsmenschen, kaum zu erkennen, beschreibt Dieter Stahlke, Komissariatsleiter Rauschgiftkriminalität in Essen. „Das sind oftmals unbescholtene Leute, Rentner, die das für ihre Enkel machen. Die fahren mit einem silbernen Golf über Grenze und stellen ihn mit einer Sporttasche im unabgeschlossenen Kofferraum auf dem Parkplatz des Centro oder des Ruhrparks ab.”

Der Abnehmer teile das Marihuana – einige Kilogramm – in Portionen auf, der nächste Kunde wieder in kleinere und so weiter. Mengen bis zu 50 Gramm würden zum Beispiel in Essen-Altendorf oder an der Steeler Straße gedealt. „Wer dort langsam geht und suchend schaut, wird angesprochen. Brauchst du was?”

Ecstasy im Badezimmer

Obwohl sich die synthetischen Drogen auf dem Rückzug befinden, stehen sie in der Hitliste der Polizei NRW mit 14,7 Prozent aller Rauschgiftdelikte immer noch an zweiter Stelle. Ein dicker Fisch ging der Zollfahndung Essen 2009 ins Netz: ein mobiles Labor mit 629 Kilogramm Grundstoffen zur Amphetaminherstellung . „Weil NRW die größten Chemiestandorte hat, kommen die meisten Grundstoffe von hier”, weiß Kleine.

Ecstasy oder Amphetamine würden in Küchenlaboren oder Badezimmern hergestellt und im lokalen und regionalen Bereich verkauft oder im großen Stil in alten Fabrikhallen und Scheunen produziert. „Die Grundstoffe unterliegen einem Handelsverbot, und die Industrie muss die Polizei bei größeren Verkäufen auf dem Laufenden halten. Über diese Listen bekommen wir Hinweise zu Banden”, so Kleine.

Im Gegensatz zu Cannabis, wo die Niederländer bei der Verfolgung relativ entkrampft vorgingen, würden sie bei Amphetaminen kein Pardon kennen. Auch hier sei der „Markt” aber schwer kontrollierbar, weil Schüler Partydrogen im Kleinsthandel unter sich verteilten – wie Studentenfutter.