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Nach mehreren Betrugsfällen in der Biolandwirtschaft will NRW die Kontrollen auf Öko- Höfen verschärfen. Künftig sollen Bio-Betriebe ab einer bestimmten Größe nicht mehr durch private Institute überprüft werden, sondern staatlicher Aufsicht unterliegen. Die Branche fürchtet um ihre Glaubwürdigkeit.

Schöne heile Bio-Welt? Ende vergangenen Jahres sperrte das nordrhein-westfälische Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz (LANUV) den Ökohof Franzsander im ostwestfälischen Delbrück. Tausende Puten, Hühner und Küken hatte der Unternehmer über Jahre hinweg mit Bio-Siegel verkauft. Er lieferte die „Bio-Hendl“ gar zum Münchner Oktoberfest. Doch die Tiere soll er mit über 900 Tonnen konventionellem Futter gemästet haben, was einem ökologisch wirtschaftenden Betrieb strikt verboten ist. Franzsander bestreitet die Betrugsabsicht, der Staatsanwalt beziffert den Schaden auf 1,3 Millionen Euro.

Etikettenschwindel in Velbert? Im März entzog das Landesamt dem Bio-Hühnerpark Hennenberg das Ökosiegel. 20000 Hennen leben dort – offiziell in Bio-Haltung, also mit vier Quadratmeter Auslauffläche pro Huhn. Doch in Wirklichkeit sei das Geflügel überwiegend in Ställen gehalten worden, lautet der Vorwurf. Die Hennenberger Ökoeier, doppelt so teuer wie die konventionellen, hätten dieses Prädikat nicht verdient, argumentiert das Amt.

Alles Schweinerei? Am Montag verurteilte das Bielefelder Landgericht zwei Schweinemäster aus dem ostwestfälischen Espelkamp zu Bewährungsstrafen. Laut Richter haben der Landwirt und seine Tochter zwei Jahre lang falsche Bioschweine verkauft. Die Tiere wurden mit konventionellem Futter aufgezogen und zu Bio-Preisen an Zwischenhändler verkauft. 340 000 Euro Schaden seien so entstanden. Härtere Strafen, so der Richter, seien nicht notwendig gewesen. Schließlich hätten die Endverbraucher den Schaden kaum bemerkt.

Verlust der Glaubwürdigkeit

Schöne heile Bio-Welt? „Wir sollten uns hüten, zu glauben, in der Biobranche gebe es nur Gutmenschen“, sagt Heinrich Bottermann, der Präsident des LANUV. Er sieht keine Anzeichen eines flächendeckenden Betrugs, wohl aber einen Glaubwürdigkeitsverlust der Biobranche. Das Anliegen, ökologisch zu wirtschaften, sei richtig und wichtig, sagt Bottermann. Nur dürfe man sich davon nicht leiten lassen, ergänzt Adalbert Fricke, Bottermanns Mitarbeiter im Außendienst Futtermittel und Ökokontrolle: „Die Branche ist nicht schlechter, sie ist aber auch nicht besser.“

Die drei bislang größten Öko-Betrugsfälle in Deutschland flogen allesamt in NRW auf. In allen drei Fällen hatten die Mitarbeiter privater Kontrollstellen zuvor auf den Höfen nichts gefunden. Teilweise half Kommissar Zufall.

An anderer Stelle flog der Schwindel deswegen auf, weil Mitarbeiter die Warenströme der Ökohöfe akribisch abglichen. Doch die beziehen ihre Futtermittel inzwischen aus der ganzen Welt und nicht von nebenan: Bei aktuellen Ermittlungen wegen der bundesweiten Dioxinfunde in Bio-Eiern kam heraus, dass sich der Biohof den Futtermais aus der Ukraine liefern ließ.

Tatsächlich steckt das System der EU-Ökokontrolle voller Widersprüche und hat offenbar Schlupflöcher, wie selbst das Landesamt eingesteht. Ein Betrieb, der ein Biosiegel führt, wird lediglich einmal pro Jahr kontrolliert, durch private Institute. Der Staat überwacht die Nachforschungen, kann aber nur stichprobenartig mithelfen.

Der Bio-Unternehmer hingegen darf sich seinen Prüfer unter 21 privaten Kontrollinstitute nicht nur aussuchen, er lässt sich die Kontrolle auf seinem Hof auch zeitig ankündigen. Bezahlt wird der Kontrolleur durch den Kontrollierten - und nicht durch die Organisation, die das Bio-Zertifikat verleiht. „Wir sind nicht auf gleicher Augenhöhe“, klagt Bottermann.

Kontrolleure werden eingeschüchtert

Dass es auch auf Öko-Höfen rustikal zugehen kann, ist in der Branche der Lebensmittelkontrolleure mittlerweile ein offenes Geheimnis. Von teilweise massiven Einschüchterungsversuchen berichten Mitarbeiter. Davon, dass es heute keine Seltenheit mehr sei, wenn ihnen bei Kontrollen von Öko-Landwirten in Streitfällen mit einer Dienstaufsichtsbeschwerde gedroht werde.

„Ihre Karriere ist zu Ende – den Satz bekommen wir zu hören“, sagt Bottermann. Seine Behörde und auch das Land wurden unlängst auf Schadenersatz verklagt. Bottermann sieht sich im Recht: „Das macht mir keine Angst.“

Mit einer Initiative im Bundesrat will NRW eine Gesetzesänderung erreichen und die Bio-Kontrollen deutlich verschärfen. Die Details:

Künftig sollen Öko-Betriebe ab einer bestimmten Größe nicht mehr durch private Kontrollinstitute überprüft werden, sondern staatlicher Aufsicht unterliegen, schlägt das Landesamt für Umwelt, Natur und Verbraucherschutz (LANUV) vor.

Daten austauschen

Generell sollen Kontrolleure im Außendienst mehr Kompetenzen erhalten. Wo private Kontrollen bestehen bleiben, soll die Zusammenarbeit mit staatlichen Stellen verbessert werden. Daten über Warenströme und Bezugsquellen sollen schneller übermittelt werden. „Wir wollen die Öko-Branche nicht diskreditieren, sondern die Glaubwürdigkeit des Biosiegels wieder herstellen“, sagt LANUV-Präsident Heinrich Bottermann. „Wir müssen neu justieren.“

Der Dachverband der Öko-Kontrollstellen sieht den NRW-Vorstoß mit gemischten Gefühlen: „Es wird immer Betrug geben, das ist nicht zu vermeiden. Wir wissen, dass wir es nicht nur mit Engeln zu tun haben“, sagte Sprecher Friedrich Lettenmeier, Vorstand der Öko-Kontrollstelle ABCERT.

Einerseits müssten Kontrollen hinreichenden Druck schaffen, um die Zahl der Betrugsfälle zu vermindern. Auf der anderen Seite müsse man abwägen und aufpassen, dass nicht ein Zuviel an Kon-trollen und Vorschriften der Bio-Branche die Luft abwürge, so Lettenmeier. „Wir haben auf die Betrugsfälle reagiert und sind auf der Höhe der Zeit, doch wir werden unsere Instrumente weiter schärfen. Ich würde mir wünschen, wenn die staatlichen Behörden dabei weiter hinter uns stehen.“