Münster/Wenden. .

Die Gefriertruhe steht nicht mehr im Keller des Hauses der Familie H. Nichts soll mehr an den Moment erinnern, in dem der jüngste Sohn im Jahre 2008 durch Zufall einen toten Säugling darin fand. Fakt ist: Die Mutter, Monika H., hatte nicht nur ein totes Baby jahrelang darin versteckt, sondern drei. „Warum ausgerechnet in einer Gefriertruhe?“, fragt sie der Richter beim gestrigen Auftakt des Revisionsprozesses vor dem Landgericht in Münster. Die Angeklagte antwortet unter Tränen: „Ich wollte die Kinder bei mir haben.“

Als die 46-jährige Frau aus dem sauerländischen Wenden den Gerichtssaal betritt, verbirgt sie ihr Gesicht vor den Kameras. Sie trägt eine verspiegelte Sonnenbrille. Ihre linke Hand umkrampft die beiden Enden eines dunklen Schals, den sie sich tief ins Gesicht zieht. Die Bilder ­erinnern an den ersten Prozess vor dem Landgericht Siegen, bei dem Monika H. wegen zwei­facher Kindstötung zu vier Jahren und drei Monaten Haft verurteilt wurde. Die Staats­anwaltschaft hatte da­ge­gen vor dem Bundesgerichtshof erfolgreich Revision eingelegt.

Fahrlässig oder vorsätzlich?

Der Tod des ersten Säuglings im Jahr 1986 war zu Beginn der Ermittlungen bereits verjährt, für den Tod der beiden 1988 und 2004 geborenen Babys hatten die Richter die Angeklagte dagegen für voll schuldfähig erklärt. Alle drei Babys waren laut Gutachten nach der Geburt lebensfähig.

Für die Karlsruher Richter stand der Tod des Neugeborenen aus dem Jahre 2008 im Vordergrund. Nach Aussage der Mutter ist ihr das Baby bei der Geburt zu Boden gefallen. Anschließend habe sie es so stark an sich gepresst, dass es erstickt sei.

Nach Überzeugung der Siegener Richter habe die Mutter hierbei nur fahrlässig gehandelt, doch mit diesem Schuldspruch war der Bundesgerichtshof nicht einverstanden. Die Revision wurde zugelassen, um zu klären, ob die Angeklagte den Tod nicht vielmehr vorsätzlich herbeigeführt habe.

„Wir haben wohl nicht viel mitgekriegt“

Diese Frage stellt Richter Michael Skawran der Angeklagten gestern nicht. Er fragt sie aber, wie es möglich gewesen sei, dass ihr Ehemann drei ihrer sechs Schwangerschaften nicht bemerkte. „Ich habe ihm gesagt, dass ich dick geworden bin. Er hat auch nicht viel gefragt – mein Mann ist viel beschäftigt“, antwortet die Angeklagte. Damit drückt sie aus, was an diesem ersten Prozesstag immer wieder deutlich wird: Das Leben dieser Familie, die Nachbarn stets als unauffällig beschrieben haben, war von einer unfassbaren Sprachlosigkeit geprägt.

„Wir Kinder haben nie verstanden, warum ihr alles egal war und warum sie sich so gehen lässt, aber wir konnten immer zu ihr kommen, wenn wir Probleme hatten“, sagt ihre heute 26-jährige Tochter Stefanie vor Gericht aus. Auf die Frage, ob denn auch mal über die Probleme der Mutter gesprochen wurde, über ihre Ängste und Sorgen, antwortet sie: „Eigentlich nicht. Wir haben wohl wirklich nicht viel mitgekriegt.“

Stefanie H. war es, die dabei war, als ihr sechs Jahre jüngerer Bruder Johannes auf dem Boden der Tiefkühltruhe eine Tüte fand, die ihm merkwürdig vorkam. Er rief seine Schwester zu sich und öffnete sie. „Ich wickelte ein größeres ­Handtuch auf und ein kleineres, das blutverschmiert war. Als ich das öffnete, sahen wir einen Babykopf und ein Ärmchen.“

Ehemann schweigt

Johannes und seine Schwester bestätigen vor Gericht, dass niemand in der Familie die drei Schwangerschaften bemerkt habe. Stefanie H. sagt: „Die Gewichtsschwankungen waren immer da – meine Mutter hat häufig extrem abgenommen und wieder zugenommen. Sie hat wochenlang Kohlsuppe gegessen oder so Slim-Fast-Produkte getrunken - und dann kam ganz schnell der Jo-Jo-Effekt.“

Das dritte Kind der Angeklagten, der 24-jährige Sebastian H. und der Ehemann Thomas H., erscheinen zwar vor Gericht, nutzen aber ihr Zeugnisverweigerungsrecht.

Monika H. weint, als der Richter spricht, sie weint, als die Staatsanwältin die Anklage verliest, und sie weint auch, als ihre Kinder und ihr Mann den Gerichtssaal betreten. Doch nur bei ihrer Familie sucht die Angeklagte den Blickkontakt. Sie sucht ihn fast flehentlich. Ihr Mann erwidert ihn erst direkt vor der Ausgangstür. Ihr Sohn Sebastian ignoriert seine Mutter. Die beiden anderen Kinder schauen sie nur flüchtig an.

Arbeit in Köln

Dabei hatte Monika H. zuvor ausgesagt, dass sie nahezu jedes Wochenende mit ihrer Familie in ihrem Haus in Wenden verbringe. „Ich kann nicht ganz nach Hause – wegen der Leute. Wenn ich dort bin, gehe ich von Freitagabend bis Sonntag nicht vor die Tür.“ Den Rest der Woche lebt Monika H. in einer kleinen Wohnung in Köln, die ihr Mann finanziert. Sie arbeitet in einem Altenheim, wird psychologisch behandelt und behauptet, seit Mitte des letzten Jahres ihre Alkoholsucht unter Kontrolle zu haben.

Die Frage nach dem „Warum“ beantwortet Monika H. mit Andeutungen eines sexuellen Missbrauchs in ihrer Jugend. „Ich bin traumatisiert“, sagt sie. Sie habe panische Angst vor gynäkologischen Untersuchungen und habe die drei Schwangerschaften deshalb vor ihrer Familie verheimlicht.

Dass die trotz dieser unfassbaren Taten alles andere als zerrüttet ist, zeigt sich nach dem Prozess: Monika H. verlässt das Gericht heimlich - gemeinsam mit ihrer Familie. Sie steigt zu ihrem Mann und ihren beiden Söhnen ins Auto und fährt davon.

Mit einem Urteil wird für den 3. September gerechnet.