Dortmund.
Bei der Westdeutschen Debattiermeisterschaft in Dortmund spielen Studenten Regierung und Opposition – doch hier zählen noch die Argumente und man geht sehr höflich miteinander um.
Das sind merkwürdige Studenten, hier an der Dortmunder Uni: Sie siezen sich und sagen Sachen wie: „Aber mein Herr ... Sie haben doch gerade ausgeführt … Ist es nicht so … da fehlen mir die Worte …“ Man achte auf ihre rechte Hand, wie sie in bester Merkelscher Redepult-Manier durch die Luft feudelt, also auf und ab wie am Schnürchen, mal energisch, meist weniger. Diese Studenten verdrehen die Augen und stöhnen, wenn ein Gegenredner mal ein besonders durchsichtiges oder auch ein unabweisbar kluges Argument vorbringt. Sie simulieren Politik, sie spielen Parlament: Regierung gegen Opposition.
Und auch an diesem Wochenende geht es in Dortmund um Stimmenfang. An Stelle der Wähler richten Juroren über die Qualität der Argumente, über Auftritt und Überzeugungsleistung. Zur Westdeutschen Debattiermeisterschaft sind 16 Zweierteams von Mainz bis Münster angereist. „Streitkulturhauptstadt“ steht auf den Einladungszetteln, was ein wenig poppig klingen soll, aber es wäre doch falsch, das Debattieren als universitäre Form des Poetry Slam abzutun. Es geht um Inhalte, um Teamarbeit, um Strategie, so dass Mitorganisator Tobias Raschke das Debattieren lieber mit Schach vergleicht: „ein Redesport“.
Der Juror als Mensch
Die Aufgabe für die erste von vier Vorrunden am Samstag lautet: „Dieses Haus fordert: steuerfinanzierte ÖPNV-Nutzung für alle.“ Freie Fahrt mit Bus und Bahn? Jeweils zwei Teams vertreten Pro und Contra und müssen ihre Auftritte so abstimmen, dass immer neue Argumente kommen. Dass
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sie die Gesamtdebatte voranbringen. Dass sie den „Juror als Mensch“ erreichen. Dafür haben sie spärliche 15 Minuten Vorbereitungszeit. Die gegnerische Seite darf Zwischenfragen anmelden, indem sie aufsteht und den Arm reckt, meist winkt der Redner dies beiläufig nieder.
„Man lernt, sich auch in die Gegenseite zu versetzen und auf einer nicht persönlichen Ebene zu debattieren“, erklärt Sebastian Hagemann aus Köln. Der 26-jährige Jurastudent wollte am Anfang seiner Rednerlaufbahn vor allem sein Englisch verbessern – Amtssprache in Deutschlands ältestem Debattierclub „Tilbury House“ (seit 1999). Andere wollen ihre Präsentationstechnik verbessern oder schätzen den Kontakt zu politisch interessierten Menschen.
Heul doch!
Konrad aus Mainz macht den Anfang und führt aus, dass Mobilität ein Grundbedürfnis sei und eine Steuerfinanzierung des ÖPNV deutlich solidarischer. Der zweite Redner, Gerrit aus Wuppertal, kritisiert, dass über Steuern vor allem Nichtnutzer für das System aufkommen müssten. Es geht wie in der großen Politik um die Definitionshoheit über Prinzipien: Was ist Solidarität? Was ist gerecht? Das subtilste Argument bringt Nikolas. Auf seinem T-Shirt steht: „Heul doch!“
Fremd klingt das, wie sie die Phrasen der Großen aufgreifen: „... in unserem schönen Land ...“ Aber es ist ja auch höchst anspruchsvoll, öffentlich zu improvisieren: „Jetzt haben Sie gesagt, dass es gerechter ist, dass es den umsonst gibt, den ÖPNV.“ Zeitdruck ist der natürliche Feind des Satzbaus. Patrick prägt das Wort „personale Preisdiskriminierung“. Und manchmal braucht es nur eine Schleife oder zwei, um den nächsten Gedanken zu greifen: „Denn wir haben Teufelskreise, jede Menge davon, die sich selbst verstärken.“
Doch da sind auch viele brillante Momente wie bei Andrea aus Köln: „Die Serviceverbesserung bei der Bahn seit der Privatisierung muss uns entgangen sein.“ Rhetorisch sind die Redner auf unterschiedlichem Niveau, die Juroren bewerten ohnehin vor allem die Inhalte. So durchzieht eine schöne Ernsthaftigkeit dieses demokratische Spiel. Diese Liebe zum Argument, diese Lust am Reden würde auch dem Bundestag manchmal guttun. Oder vielleicht fehlen ihm nur die Juroren – eine Marktlücke für Phoenix?