Essen.

Der Werkzeugmacher und Hobbyröster Alex Kunkel forscht zur Geschichte des Kaffees. Und die ist aufs Engste mit dem Ruhrgebiet verknüpft ...

Essen im 18. Jahrhundert: „Durch das Limbecker Tor kamen die Planwagen herein, die am Weseler Stapel die aus Holland kommenden Schiffsladungen eingefrachtet hatten: Kaffee, Zucker, Tabak ...“, schreibt der Essener Historiker Adolf Lappenbusch. Und beschreibt, wie der holländische Kaffee aus Java den Grundstock bildete für das Krupp-Imperium. Wie die ölfarbene Flüssigkeit zum Zaubertrank des Maschinenzeitalters wurde. Wie der Kaffee aufs Engste mit der Geschichte des Ruhrgebiets verknüpft ist.

Der Werkzeugmacher Alex Kunkel aus Essen findet diese Idee so faszinierend, dass er ihr in seiner Freizeit nachspürt. Als „der Röster“ hat Kunkel sich einen Namen als Bildungsbotschafter in Sachen Kaffee gemacht. Im Kaffeegarten des Essener Grugaparks gibt er Seminare; und die Gepa, die seit 30 Jahren mit fairem Kaffee handelt, hat den 57-Jährigen engagiert, um ihre Mitarbeiter bundesweit zu schulen. Kunkel sagt: „Kaffee ist ein eigener Kosmos, er führt mich zu immer neuen Interessenfeldern.“ Nun interessiert ihn der Kaffee als Schmiermittel der Industrialisierung.

Schnell stieß Kunkel auf die Kolonialwarenhändlerin Helene Amalie Krupp, die ein kleines Vermögen anhäufte vor allem mit den damals so genannten „Profitbohnen“. Mit dem Kaffeegeld ersteigerte sie im Jahr 1800 die Eisenhütte „Gute Hoffnung“ in Sterkrade – und setzte den Anfangsimpuls für das Krupp-Imperium; auch wenn Enkel Friedrich die Hütte später so herunterwirtschaftete, dass sie an Haniel verkauft werden musste. Doch ein zweiter Start wurde wieder durch den Kaffee möglich. Napoleon verfügte 1806 die Kontinentalsperre, und Helene Amalie machte ein zweites Vermögen mit dem Kaffeeschmuggel.

Kanonen für Bohnen

Und ist das nicht eine Ironie der Geschichte? Dass der Kaffeehandel den Grundstock legte für die Krupps, und dass einige Jahrzehnte später die Kruppschen Kanonen vor der Kaffee-Küste Ostafrikas auftauchten. Und natürlich ist es nur eine komische Koinzidenz, dass gerade der Berufsstand der Büchsenmacher sich hervortat in dem neuen Geschäftsfeld: mit der Herstellung von Kaffeemühlen.

Über die Maschinen ist auch Kunkel zum Kaffee gekommen. bis vor zehn Jahren trank er noch „literweise labbrigen Filterkaffee“. Und erst als ihm eine Bekannte Röstmaschinen aus dem Geschäft ihres verstorbenen Vaters anbot, erwischte ihn der Kaffee-Kult.

In den Kaffeehäusern fand die große Ausnüchterung Europas statt, lernte Kunkel: Kaffee ist Kommunikation. Habermas nannte die Cafés „Brutstätten politischer Unrast“. Balzac starb an einer Koffeinvergiftung. Aus den großen Cafés, Treffpunkten von Geschäftsleuten, gingen Börsen und Versicherungskonzerne wie Lloyd’s hervor. Noch heute ist der Kaffee verknüpft mit geistigen Hochleistungen: Die erste Webcam zeigte ab 1991 eine Kaffeemaschine an der Uni Cambridge.

Doch als Werkzeugmacher interessiert Kunkel besonders der Einfluss des Kaffees auf die Industriegeschichte. „Der mittelalterliche Alkoholrausch mit Biersuppe bereits am Morgen war unvereinbar mit den sich herausbildenden indus-triellen Strukturen“, schreibt Kunkel. „Konzentration und Wachheit waren gefragt und dabei war Kaffee unschlagbar im Vorteil. Von den Osmanen als medizinische Droge in die Welt gebracht, wurde er das Schmiermittel industrieller Arbeit.“

Schmiere für Arbeiter

Der Hygieniker Pettenkoffer verglich 1873 Kaffee „mit der Anwendung der richtigen Schmiere bei Bewegungsmaschinen“. Und Heinrich Eduard Jacob schrieb 1934: „Kaffee ist ein für den Arbeitsprozess des Volkes unentbehrliches ... Energetikum. Er wurde eine Voraussetzung für Fabriken und Werkstätten.“ Thomas Leeb führt in „Kaffee, das magische Elixier“ aus: „Die Zahl der Verletzungen und Todesfälle durch Übermüdung nahm ein derart bedrohliches Maß an, dass man in den Fabriken den teuren Kaffee verabreichte, um Unfällen vorzubeugen – dies rechnete sich besser, als Friedhöfe neben den Fabriken anzulegen und Witwen- und Waisenrenten zu bezahlen.“

Kaffee – die dunkle Seite der Macht?

Alex Kunkel ist sich nicht sicher, inwieweit der Konsum von Kaffee speziell im Ruhrgebiet von Krupp & Co. gefördert wurde. Er hat Hinweise gefunden, dass etwa ein wichtiger Betriebsarzt in Dortmund „Kaffeegegner“ war und wohl eher Tee propagierte. Das Feld ist wenig erforscht: Wo gab es Kaffeeküchen? Wurde Kaffee im Kruppschen Konsum besonders günstig abgegeben? Wann und wo wurden Kaffeeautomaten in den Betrieben eingeführt?

Kunkels Recherchen laufen noch, auch zum Kapitel Nachkriegsschmuggel aus Belgien. Denn dort war der Kaffee dreimal so günstig wie im Revier, und so konnte man auch damals über Nacht ein kleines Vermögen verdienen. Jedenfalls mehr als ein normaler Arbeiter in einem Monat.