Bochum. .

In Bochum helfen Ehrenamtliche schwachen Schülern beim Lesen-Lernen. „Mentor“ heißt der Verein, der auch in anderen Städten aktiv ist. Das hat mit Pisa zu tun und bitteren Erkenntnissen wie diesen: Deutsche Kinder haben große Lücken in der Lese-, Schreib- und Sprachkompetenz.

Neulich hat Toni aus Blaubeerkompott ein Bett gemacht. Das war nicht ganz leicht, er hatte zwar ein großes B und auch zwei T, die schon zusammenklebten. Nur, dass er ein E brauchte, muss man erst einmal wissen. Und dann noch finden im Buchstabensalat. Als er es aber hatte, war es ganz einfach, das „Bett” zu bauen und mit dem R hinten an der Blaubeere gleich noch ein „Brett“.

Dabei hätte dieser Toni vor einigen Monaten die Buchstaben vielleicht gar nicht erkannt und neue kleine Wörter aus großen langen gar nicht basteln können: weil er ihre Bedeutung nicht kannte. Seit den Herbstferien aber hat der Achtjährige eine Leselernhelferin, eine „Lehrerin ganz für mich alleine“, die mit ihm diese lästigen Lettern zusammensetzt, einmal in der Woche. Sein Rekord beim „Wörtersuchen“ liegt jetzt bei 15.

Tonis Wortschatz reichte nicht einmal zum Kamel

„Mentor“ nennt sich der Bochumer Verein, der Ehrenamtliche in die Grundschulen schickt, um mit Kindern zu lesen. Er heißt auch in anderen Städten so, in Hannover haben sie ihn vor Jahren erfunden. Das hat mit Pisa zu tun und bitteren Erkenntnissen wie diesen: Deutsche Kinder haben große Lücken in der Lese-, Schreib- und Sprachkompetenz. Oder: „61 Prozent aller 15-jährigen Jungs haben noch nie aus eigenem Antrieb ein Buch gelesen.“ Lesen aber, so steht es in einem Aufruf der Leselernhelfer aus Bochum, „ist der Schlüssel für die Aneignung von Wissen“. Knapper gesagt: „Man kann nur so weit denken, wie der Wortschatz reicht.“

Tonis Wortschatz reichte nicht einmal bis zum Kamel. Manche Dinge, die in den Büchern stehen, kennt er einfach nicht, dieser Zweitklässler, dessen Mutter eine fremde Sprache spricht und dessen Vater gar nicht viel, weil er meist auf Montage ist. „Wenn du den Weg nicht weißt“, fragt ihn Ulrike Britscho, „was sagst du denn da?“ – „Ähm“, sagt Toni, und wenn er „ähm“ sagt, folgt häufig nicht viel mehr als eine, ja: Wissenslücke. „Hallo?“, fragt er dann, dabei weiß er es doch besser: Er liest Janosch mit Frau Britscho, und gerade ist er mit ihr, der Tigerente und dem kleinen Bären unterwegs nach. . . „Wo geht’s hier nach Panama?“ Toni lächelt, als es ihm wieder einfällt, Panama ist da, „wo es nach Bananen riecht, das sind ihre Träume“!

Und wie hieß nochmal das Schild, auf dem steht, wo’s langgeht: „Weltreise? Wegweiser!“ Im Gesicht des Jungen geht die Sonne auf, unter dem Tisch faltet er die Füße zu einem gemütlichen Knoten. Während im alten Elternsprechzimmer der Südfeldmarkschule der kleine Toni einen Hasen trifft und eine Kuh, fliegen draußen Tornister durchs Treppenhaus. Jedenfalls hört sich das so an: Die anderen Kinder haben jetzt frei, Toni lernt noch. Er findet das gut: „Ich kann das hier viel besser. Ganz alleine!“

Frau Britscho hat das „Heft mit dem Hund“

Manchmal nämlich kneifen sie ihn in der Klasse, wenn die Lehrerin nicht hinsieht, Ulrike Britscho macht das natürlich nicht. Die stubst ihn nur freundschaftlich, lacht ganz viel mit ihm, kann Wortschlangen und hat das „Heft mit dem Hund“. Und weil sie selbst gelernte Lehrerin ist, wenn auch für Große, kann sie schöne Arbeitsblätter zeichnen, die Toni ausmalen darf.

Heute ist der kleine Tiger drauf, der müde auf einem Sofa liegt; „Sofer“, schreibt Toni, aber dann spricht es die Mentorin noch einmal vor. „Ach so“, sagt Toni, radiert das „-ER“ weg und malt ein „A“ hin. Er lernt mit diesem Bild auch, was Flicken sind und Fransen, er hat diese Wörter noch nie gehört, und „Fransen“ findet er komisch. Der Tiger hat welche an der Couch, Erika Walter, die „Mentor“-Vorsitzende am Schal, Toni lächelt, als er seine neue Entdeckung notiert. Blockbuchstaben, ganz langsam und mit Links.

Für die meisten Kinder, die in Bochum Lesehilfe bekommen, ist Deutsch nicht die Muttersprache; es gibt aber auch die, die einfach nicht reden mögen oder um die sich daheim keiner kümmert. Wo der Fernseher ein schlechter Vorleser ist. Viele haben deshalb auch einen „emotionalen Bedarf“, sagt Ulrike Britscho, die selbst einfach nur weitergeben will, „was für die eigenen Kinder selbstverständlich war“. Vereinsvorsitzende Erika Walter hätte am liebsten noch viel mehr Mentoren als ihre derzeitigen 170, damit sie ihnen „alle Sorgenkinder in die Hand drücken“ kann.

„Schon“ und „schön“ ist nicht dasselbe

Toni hat wohl Glück gehabt: Er wurde ausgewählt von seiner Klassenlehrerin, die Frau Britscho manchmal Arbeitsblätter mitgibt, die andere Kinder während der Stunde schaffen. Aus ihnen liest der Achtjährige jetzt vom „Kenie“, aus dem erst nach längerem Zungenbrechen ein „Knie“ wird, er versucht, „schon“ von „schön“ zu unterscheiden und ist eben schon wieder einer Unbekannten mit sechs Buchstaben begegnet: „Fabrik“. Wird notiert und erklärt, aber Toni hört schon gar nicht mehr zu. „Du sollst nicht weiterlesen!“, ruft Ulrike Britscho. Es klingt ein bisschen nach Schimpfen, aber eigentlich ist es doch so: Mehr Erfolg geht nicht.