Dortmund. Jedes Jahr im November, wenn die neue Ausgabe der Gastro-Bibel Guide Michelin erscheint, zittern Deutschlands Spitzenköche. Wer steigt in die Riege der Sterneköche auf? Wer steigt ab? Für das Revier gibt es keine guten Nachrichten: Magere vier Sterne leuchten am Himmel über der Ruhr.
Wer im Ruhrgebiet stern-prämiertes Essen genießen möchte, hat die Wahl zwischen drei Restaurants: In Essen kocht Berthold Bühler in der „Résidence“ auf Zwei-Sterne-Niveau, in Dorsten gibt es gleich zwei Restaurants mit Stern. Im „Goldenen Anker“ kocht Björn Freitag, während Frank Rosin in seinem Lokal „Rosin“ kulinarische Feinheiten bietet. Drei Restaurants, vier Sterne – das war’s. Zwar gibt es im Umland, etwa in Köln oder Kerpen und natürlich in Düsseldorf, zahlreiche Alternativen. Doch selbst in Großstädten wie Duisburg oder Dortmund bleibt auch im Jahr 2009 die Gastro-Szene sternlos.
"Verschwindend geringe Zahl"
Mario Kalweit, der in Dortmund das Restaurant „La Cuisine d’Art Manger“ betreibt, bedauert den leeren Sternenhimmel über der Ruhr: „Das ist eine verschwindend geringe Zahl.“ Kalweit selbst durfte sich von 2001 bis 2004 mit einem Michelin-Stern schmücken. Dann übernahm er ein insolventes Haus. Das, so Kalweits Theorie, hat ihn seinen Stern gekostet. Jetzt versucht er, den Stern zurückzubekommen. „Der Michelin ist ein sehr solider Führer. Er lobt nicht so schnell, man verliert aber auch nicht so schnell, wenn man sich nichts zu Schulden kommen lässt“, so Kalweit. Sein Dorstener Kollege Frank Rosin habe zwölf Jahre auf seinen Michelin-Stern warten müssen. „Dabei betreibt er eines der besten Häuser in Deutschland“, lobt Kalweit. Der Stern lasse lange auf sich warten. „Du machst auf, machst es gut, kriegst sofort einen Stern – so ist das nicht“, erklärt der 40-Jährige.
Über den Dächern von Dortmund kocht Dennis Rother auf höchstem Niveau. 137 Meter über dem Boden hofft der gebürtige Recklinghäuser bald zu Michelin-Ehren zu kommen, obwohl er erst seit 1. April 2008 im Dortmunder Fernsehturm kocht. Doch auch er weiß: „Das braucht seine Zeit, ein bis zwei Jahre werde ich noch warten müssen.“ Darum wundert es Rother nicht, dass er im Michelin 2009 noch nicht zu finden ist. Rother setzt in seinem Restaurant auf bodenständige Gerichte, denen er neue Seiten verleiht. Sein Schweinefilet stammt von Milchferkeln, seinen Sauerbraten brät er medium und serviert ihn mit Rotkohl, der mit kräftigem Rotwein veredelt wird. „Ich biete Gerichte aus der Region mit Zutaten aus der Region“, erläutert Rother sein Sterne-Rezept. Auch ohne Michelin-Stern ist seine Kochkunst bei Prominenten bekannt. Wenn Weltstars oder Politiker in den Westfalenhallen gastieren, speisen sie oft im Turmrestaurant und kommen dort in den Genuss von Rothers Kreationen.
Optimistisch, den Stern zu bekommen
Mario Kalweit war optimistisch, seinen Stern im Michelin 2009 zurück zu bekommen. „2008 war unser bestes Kochjahr“, urteilt der Koch. Wie die Tester des Michelin die Häuser bewerten, weiß der gebürtige Münsteraner allerdings nicht. „Sterne kriegen ist wie Lotto spielen“, sagt er und meint damit nicht, dass seine prämierten Kollegen ihre Sterne nicht verdient hätten. Vielmehr reiche es, an einem schlechten Tag getestet zu werden, um die gute Arbeit eines ganzen Jahres schlecht bewertet zu sehen. Kalweit: „Die Tester kommen höchstens dreimal im Jahr, wenn man dann an dem Tag Fieber hat, hat man Pech gehabt. Man muss eben 365 Tage im Jahr Topleistung bringen.“
Der Standort eines Restaurants ist nach Kalweits Ansicht nicht ganz unwichtig. Auch wenn „La Cuisine d’Art Manger“ in der noblen Dortmunder Gartenstadt gelegen ist, so glaubt der Chef, dass er es woanders leichter hätte, einen Stern zu bekommen: „Das Ruhrgebiet ist ja im Prinzip eine große Stadt. Wenn man das dann mit anderen großen Städten vergleicht, fällt schon auf, dass es hier wenig Sterne gibt.“ Als Beispiel führt Kalweit Tokio an, das weltweit über die meisten Sterne-Restaurants verfügt. „Dort gibt es acht Drei-Sterne-Häuser, 22 Zwei-Sterne-Häuser und 145 Ein-Sterne-Häuser. Das sind so viel Sterne, wie fast ganz Deutschland hat“, vergleicht der Koch. Der Standort Ruhrgebiet sei schwierig: „Da denken viele immer noch an Kohle und Bier, aber nicht an gutes Essen.“ Dabei kommen Kalweits Gäste hauptsächlich aus dem Umland, nicht aus Dortmund, Bochum oder Essen. „Von der Stadt alleine können wir nicht leben. Wenn man einen Stern hat, wird das Einzugsgebiet aber automatisch größer“, erklärt der ehemalige Sternekoch, „aber es gibt immer nur so viele Top-Häuser, wie die Region ernähren kann.“
"Molekularküche hätte in Westfalen keine Chance"
Das Erfolgsrezept für hochwertige Küche in Westfalen sieht Kalweit in der Einfachheit. „Wir kochen auf hohem Niveau, aber die Speisen müssen nachvollziehbar sein. Molekularküche hätte in Westfalen keine Chance“, ist sich Kalweit sicher. So kommen Froschschenkel ebenso wenig auf den Tisch wie lebende Glasaale oder andere Feinheiten aus der französischen Küche. Auch die Mini-Portionen, die aus der Nouvelle Cuisine bekannt sind, gibt es nicht. „Da bekam man einen Flusskrebsschwanz mit ein paar Kaiserschoten. Das hängt bei den Leuten noch fest. Die sagen: ‚Was soll ich zum Kalweit gehen? Da werde ich nicht satt.’ Dabei waren die noch gar nicht hier.“ Der Koch verspricht, wer bei ihm esse, bezahle ausschließlich für die Qualität des Essens: „Wir verwenden nur beste Zutaten, das macht den Preis aus.“ So kostet das teuerste Gericht auf der Karte – der Steinbutt – 38 Euro. Kalweit: „Das würde der auch mit Stern kosten. Ein Stern heißt ja nicht, dass ich teurer sein muss. Die Qualität bestimmt den Preis. Ein ambitioniertes Restaurant muss teuer sein. Wer einen Stern haben will, muss alles geben.“ Kallweit spricht da aus Erfahrung: „Ich kann ja vergleichen, wie es ohne und mit Stern ist“.