Aachen. .
Im Mordprozess gegen den SS-Mann Heinrich Boere plädierte am Dienstag die Staatsanwaltschaft auf lebenslänglich.
Jahrzehnte lebt er unbehelligt in Eschweiler, arbeitet als Bergmann, genießt später sein Rentnerleben in einer Senioren-Residenz. Und das, obwohl er schon 1949 in Abwesenheit von einem niederländischen Sondergericht zum Tode verurteilt worden ist. Nun neigt sich der vor dem Aachener Landgericht gegen ihn geführte Mordprozess dem Ende zu. Und seit gestern weiß der 88-jährige Heinrich Boere, welches Urteil ihn erwarten könnte. Oberstaatsanwalt Ulrich Maaß fordert lebenslängliche Haft für ihn, den ehemaligen SS-Mann in den Niederlanden.
Er sitzt im Rollstuhl, in sich versunken und doch jedes Wort aufmerksam verfolgend. Einzig seine Hände kann er nicht stillhalten, fahrig bewegen sie sich hin und her. Ein alter Mann, ein hinfälliger noch dazu. Macht es Sinn, einem Greis wie ihm dies noch zuzumuten? Nicht einmal, mehrfach wird die Frage an diesem Tag angesprochen. Oberstaatsanwalt Maaß tut es in seinem Plädoyer, die Anwälte der Nebenkläger ebenso.
Und ihre Antwort fällt eindeutig aus. Zu viele Lebensjahre habe die deutsche Justiz ihm bereits geschenkt, indem sie seine Taten nicht verfolgte. Der Prozess kam spät, aber er war, er ist nötig. Wegen der schweren Schuld Boeres, wegen seiner Opfer und ihrer Familien.
Es ist der späte Abend des 14. Juli 1944. Fritz Bicknese, der Apotheker aus Breda, steht noch in seinem Geschäft, als die beiden Männer die Apotheke betreten. Heinrich Boere und Petrus Bestemann. Die Männer, Angehörige der SS in den Niederlanden und des berüchtigten Sonderkommandos Feldmejer fragen, ob er der Apotheker sei. Als er dies bejaht, schießen sie sofort. Bickneses Frau, die die Schüsse gehört hat, stürmt in den Laden, findet ihren Mann tot hinter dem Tresen.
Heinrich Boere soll auf diese Art und Weise drei von mindestens 54 Morden begangen haben, die das Sonderkommando Feldmejer verübt hat. Allesamt Racheakte an Zivilisten, mit denen Attentate von Widerstandskämpfern beantwortet wurden. Boere und seine Mittäter hatten die Namen der zu Tötenden kurz zuvor in einem Briefumschlag überreicht bekommen.
Fritz Bicknese, er sollte der erste sein. Es folgten am Morgen des 3. September 1944 Teunis de Groot, der Leiter einer Kunsthonigfarbrik, und der Prokurist Frans Willem Kusters. De Groot entschuldigt sich noch, dass er zu dieser Zeit nicht ganz angekleidet ist. Kusters, dessen Frau ihn nicht allein lässt, bitten die Männer des Sonderkommandos sie zur Ausweiskontrolle zu begleiten. Unterwegs, nahe Wassenaar, täuschen sie eine Autopanne vor. Kusters versucht vergeblich zu flüchten.
Drei Morde, heimtückisch begangen. Ihre Opfer, so Oberstaatsanwalt Maaß, seien arg- und wehrlos gewesen. Boere, der Sohn eines Deutschen und einer Niederländerin, sei ein überzeugter Nazi gewesen, der sich von seiner Arbeit in der SS materielle Vorteile, die deutsche Staatsbürgerschaft und – nach dem Krieg -- eine Stelle bei der Polizei erhofft habe. Das Denken habe er ausgeschaltet.
Eindrucksvoll ist auch, was die Nebenkläger-Anwälte vortragen. „Fritz Bicknese hatte zwölf Kinder. Die Familie geriet durch seinen Tod in existenzielle Not, war zutiefst geschockt. Aus dem Schock wurde ein Trauma, weil nach dem Krieg nichts geschah, Boere zur Rechenschaft zu ziehen.“ Und Anwalt Detlef Hartmann berichtet, wie er „zutiefst erschüttert“ von den Gesprächen mit Teun de Groot, dem Sohn des ermordeten Teunis de Groot zurückkehrte. Der war elf, als der Vater starb. Den „Geruch des Blutes“ kann er nicht vergessen. Hartmann: „Er kann nicht vergessen, seine Familie kann es nicht und auch die holländische Bevölkerung nicht!“