Washington/Essen. .
92000 Geheimberichte der Nato-Truppen in Afghanistan kann man im Internet nachlesen.
Die US-Regierung dagegen hat die Veröffentlichung heftig kritisiert. „Unverantwortlich“, empörte sich der nationale Sicherheitsberater James Jones: Die Enthüllungen könnten „das Leben von Amerikanern und unserer Partner gefährden und bedrohen unsere nationale Sicherheit.“
Detailliert beschrieben wird in den Frontberichten ein oft chaotischer, unübersichtlicher Kriegsalltag: Es geht um Gefechte mit Aufständischen, um Frust über korrupte afghanische Behörden, um vergebliche Versuche, mit Geschenken Sympathien misstrauischer Afghanen zu gewinnen. Brisant sind etwa Depeschen über hunderte zivile Opfer bei der Taliban-Jagd des US-Geheimkommandos 373, Pannen beim Einsatz unbemannter Drohnen, Hinweise auf Verbindungen pakistanischer Geheimdienste zu den Taliban und El Kaida. Für Letzteres wurde allerdings kein eindeutiger Beweis gefunden.
Dokumente aus der Bush-Ära
Das Weiße Haus spielte die Bedeutung der Dokumente herunter, weil sie zumeist aus der Amtszeit von Ex-Präsident George W. Bush stammten, bevor Obama im Dezember 2009 die neue Afghanistan-Strategie verkündet habe – als hätte sich die Lage am Hindukusch seitdem gebessert.
Im Gegenteil: Bereits am 31. Mai 2007 haben Militäranalytiker der Bundeswehr in einer „Einschätzung der Bedrohungslage“ geschrieben, dass „entgegen den Erwartungen (...) die Attacken der Aufständischen anhalten“ und „weitere Anschläge sicher zu erwarten“ seien. Aussagen, die bis heute gültig sind. Von 2007 bis 2009 ist die Zahl der Anschläge auf die Bundeswehr von 21 auf 77 kontinuierlich angestiegen. Für 2010 wurden bisher 56 Attacken mit Sprengfallen, Raketen und Selbstmordattentätern ge-zählt. Mittlerweile sind 43 deutsche Soldaten gefallen.
„Die Anspannung ist groß“
„Wir haben immer gesagt, dass der Einsatz im Norden nicht weniger gefährlich ist als anderswo in Afghanistan“, fühlt sich Wilfried Stolze, Sprecher des Bundeswehrverbandes, bestätigt. Anders als der damalige Verteidigungsminister Franz-Josef Jung (CDU), der es stets scheute, den Begriff „Krieg“ in den Mund zu nehmen, klingen die Berichte der Soldaten von Monat zu Monat dramatischer. „Die Anspannung ist groß. Jeden Tag liegen sie unter Beschuss und sind in der Gefahr, in eine Sprengfalle zu geraten“, so Stolze.
Neu ist außerdem, dass die Taliban die Bundeswehr immer wieder in militärisch geführte Gefechte verwickeln und in der Lage sind, Nachschub und Verstärkung zu organisieren – und deutschen Soldaten fehlt es an Übungsmunition.
Im Netz „nichts Neues“
Während Verteidigungsminister zu Guttenberg (CSU) die Sparmaßnahmen bei der Übungsmunition einräumte, schweigt die Bundesregierung zu Vorkommnissen, die deutsche Soldaten nicht unmittelbar betreffen – ihren Verantwortungsbereich aber wohl. Posten der afghanischen Polizei und Armee werden überfallen, Straßenbomben explodieren, ihre Patrouillen geraten in tödliche Hinterhalte.
Trotz dieser instabilen Situation werde das Außenministerium an den Plänen festhalten, im Jahr 2014 Region für Region nach und nach den afghanischen Sicherheitsbehörden zu übergeben und die Bundeswehr abzuziehen, sagte ein Sprecher dieser Zeitung.
Außenminister Guido Westerwelle (FDP) erklärte dazu, die Berichte auf neue Erkenntnisse über die Lage im Land hin genau prüfen zu lassen. Für einen Sprecher des Verteidigungsministeriums enthalten die WikiLeaks-Informationen „nichts Neues“.