Ruhrgebiet. .

Jede Menge Touristen wollen im Kulturhauptstadtjahr das Ruhrgebiet sehen- und dessen Bewohner. Diese kommen sich manchmal vor „wie im Zoo.“

Drei Wochen etwa muss das jetzt her sein, dass Rosemarie Emmerich in ihrer eigenen Wohnung überrannt wurde von einem Herrn Koch. Den hatte sie schon draußen mit einem Stativ hantieren sehen, dann hatte er geschellt und sich mit den Worten „Ich habe hier mal gewohnt“ an ihr vorbeigeschoben – und so waren sie auf der forschen Suche nach seiner wohnlichen Vergangenheit schnell im Schlafzimmer gelandet. „Mein Mann kommt gleich und wundert sich, wenn wir im Schlafzimmer stehen“, sagte Rosemarie Emmerich an dieser kitzligen Stelle. „Naja, solange wir noch stehen“, sagte Herr Koch. Und: „Hier war ein Spülstein.“

Epizentrum in Essen

Herr Koch aus Baden-Württemberg war vielleicht ein wenig kess in seiner raumgreifenden Art, doch es gibt sie verstärkt jetzt im Kulturhauptstadtjahr: Touris, die auf Ruhris starren. Eines der Epizentren dafür ist die Essener Margarethenhöhe, die alte Kruppsche Siedlung, die Gar- tenstadt, wo die Straßen „Schöngelegen“ heißen, „Im Stillen Winkel“ oder „Trautes Heim“. Nur von „Glück allein“ kann man jetzt nicht mehr reden: „Besucher gab es hier immer, aber jetzt merkt man es massiv“, sagt Peter Emmerich. Und so kommt es, dass in der Straße „Waldlehne“ neben gut gelaunten Schildern wie „Herzlich Willkommen“ oder „Home sweet home“ eine Zeit lang auch geschrieben stand: „Füttern verboten!“ Denn „wir kommen uns manchmal vor wie im Zoo“, sagt eine Nachbarin.

Man sieht es schon, die Margarethenhöhe empfängt die blauen Stadtrundfahrtbusse, die vielen geführten Gruppen und die Menschen mit Stadtplan unterm Arm mit gemischten Gefühlen. „Wenn Sie mit dem Hund rausgehen, werden Sie ständig gefragt: Wo ist dies, wo ist jenes?“, sagt der Rentner Emmerich: „Manche stehen mitten in der Margarethenhöhe und fragen, wo sie ist.“ Dabei macht es ihn „stolz, die gute Stube zu zeigen“. Und seine Frau flicht an dieser Stelle auch noch eine Anekdote ein: „Neulich komm’ ich vom Markt, links ne Tasche, rechts ne Tasche, da steht so eine Touristengruppe auf der Straße, und ein Mann sagt: Macht mal Platz, da kommt eine Eingeborene!“

Ein Zuwachs von 5,4 Prozent an Übernachtungsgästen im ersten Vierteljahr, ein erwartetes Plus von 10 bis 15 Prozent für den weiteren Verlauf von 2010 – so schmeckt der Sommer. 40 Kilometer ostwärts von der Margarethenhöhe, ganz am Rande des Dortmunder Kreuzviertels, steht nun der Stadtplaner Harry Lausch im umtosten Zentrum des auswärtigen Interesses, und man kann nicht einmal sagen, dass Lausch daran völlig unschuldig wäre. „Hier sind von Anfang an Leute stehengeblieben und haben gerätselt, was das wird“, sagt der 52-Jährige: „Und wenn sie gesagt haben, das wird doch eine Kirche, dann habe ich gesagt: Ja, und ich bin der Pfarrer!“

Route der Wohnkultur

Tatsächlich sind nach einer Idee von Lausch an dieser Stelle zwischen 2003 und 2007 drei völlig unterschiedliche Nachbarhäuser entstanden, die aber auch als hoch interessantes Ensemble funktionieren: „Sie liegen wie auf dem Präsentierteller, die Leute kommen um die Kurve und denken, boah, was ist das denn?“, sagt Lausch. Doch nun, da die Häuser auch noch zur „Route der Wohnkultur“ zählen, die interessante Wohnformen verbindet, ist das stete Vorfahren gut besetzter Reisebusse zum festen Bestandteil in Harry Lauschs Leben geworden: „Jetzt kommen ständig irgendwelche Leute.“

Dabei ist der 52-Jährige locker drauf, ein extrovertierter Typ: „Ich habe schon öfter die Tür aufgemacht oder stell’ mich draußen dazu und rede.“ Über diese sehr typische Ecke Ruhrgebiet: vor den Häusern ein kleiner idyllischer Park, dahinter nichts als Gleise, Gleise, Gleise.

„Die Fragen sind immer dieselben: Ist das nicht zu laut, wie ist das mit der Bahn?“, zitiert Lausch. Und wenn ihm der Auflauf auch nicht immer passt, ist ihm eigentlich klar, dass „das alles eine große Bestätigung ist für mich als Nicht-Architekt“.

Alles gut also. Ach, Herr Lausch, wissen Sie denn schon, dass wegen der großen Nachfrage die „Route der Wohnkultur“ über 2010 hinaus verlängert werden soll?

„Oha“, sagt Harry Lausch.