Ruhrgebiet. .

Drei Mitarbeiter des Kampfmittelräumdienstes sind in Göttingen bei einer Bombenentschärfung ums Leben gekommen waren. Was viele vergessen: Arbeit mit Bomben ist gefährlich. Am Montag soll eine Bombe auf einer A40-Baustelle entschäft werden.

20. April, Hamm. 21. April, Duisburg. 18. Mai Remscheid. 28. Mai, Leverkusen. 31. Mai, Mönchengladbach. München, Kiel, Merseburg, Böblingen, Berlin, Bremen: Bomben, überall Bomben im Boden! „Man findet täglich eine“, sagt Volker Scherff. Die meisten übrigens in Nordrhein-Westfalen und noch mehr im Ruhrgebiet, weiß der Geschäftsführer des Bundes Deutscher Feuerwerker (BDFWT): „Da wurde ja mehr bombardiert als etwa in der Lüneburger Heide.“

Auch deshalb hat sich das Land fast daran gewöhnt: Ein Blindgänger baumelt in der Baggerschaufel, ein Stadtteil wird evakuiert, der Kampfmittelräumdienst zieht den Zünder – und die Bombe findet ein unaufgeregtes Ende im Munitionszerlegebetrieb Hünxe. Routine? „Für uns Männer nie“, sagt Volker Scherff. „Dann wär’s gefährlich.“

Es ist gefährlich. „Und wenn was passiert, ist es meistens tödlich“, sagt Hans Frenken. Der Feuerwerker untersucht gerade einen Verdachtsfall auf einem Bahngelände in Frankfurt, als er von Göttingen hört: Drei Kollegen sterben, weil eine Zehn-Zentner-Bombe explodiert. Frenken hat sie gekannt, sie arbeiten für dieselbe Firma, „mit einem von ihnen habe ich am Freitag noch gesprochen“. 55, 52, 38 Jahre wurden sie alt, sie galten als erfahren; die beiden älteren sollen mehr als 600 Bomben unschädlich gemacht haben. Bis sie diese eine fanden, die ihr Tod sein sollte: Meter nur neben einer anderen, die sie erst vor Tagen entschärften.

„Respekt vor der Bombe“

„Munition ist unberechenbar“, sagt Frenken. Feuerwerker wissen das, sie dürfen es nie vergessen. Es ist keine Angst, mit der sie ihr begegnen, sie sprechen vom „Respekt vor der Bombe“. Er ist ihre Lebensversicherung, die auf dem Markt fast unbezahlbar wäre. „Man weiß nie, was passiert“, sagt Scherff. „Man hat immer im Hinterkopf, was sein könnte“, sagt Frenken. Weil jede Bombe anders ist und mit ihr die Situation. „Ich kann nie sagen: Die habe ich gestern schon gehabt“, erklärt Volker Scherff. Und sein Kollege Frenken ergänzt: „Ich kann den Zünder kennen, aber nicht reingucken.“

Der in Göttingen, das ist inzwischen bekannt, war kein gewöhnlicher, er war das, was man einen „Säurezünder“ nennt: „Das Gefährlichste“, so Frenken, „was rumliegt.“ Und es liegt eben viel herum im Land. Immer noch werden jährlich rund 1000 Bomben entdeckt, allein in Nordrhein-Westfalen. Zwischen 1995 und 2005 entschärften die Feuerwerker noch 17 000 Bomben an Rhein und Ruhr, im Jahr 2008 zählten sie 1143 – gegenüber 38 in Niedersachsen, wo nun das Unglück geschah. Dazu über 16 000 Granaten, insgesamt fast 30 Tonnen reinen Sprengstoff. Für den menschlichen Körper, wissen Experten, ist schon ein Gramm zu viel.

Undetoniert im Boden

Historiker schätzen, dass während des Zweiten Weltkrieges anderthalb Millionen Tonnen Sprengstoff über Deutschland niedergegangen sind, die Hälfte der Luftangriffe galt dem Raum NRW. Wie viel der tödlichen Ladung noch undetoniert und mit zunehmend verrotteten Zündern in der Erde liegt, weiß niemand. Als einer der Lieblingssätze der Düsseldorfer Feuerwerker gilt jedenfalls dieser: „Die letzte Bombe finden wir nie.“

Derzeit allerdings sagen sie nicht viel: Nach der Explosion von Göttingen beschlossen die Bezirksregierungen, unter deren Dach in NRW die Kampfmittelräumdienste organisiert sind, zum Thema zu schweigen. Ohnehin aber gelten viele Feuerwerker, die ihr Handwerk meist bei der Bundeswehr und in der Sprengschule Dresden gelernt haben, als eher stille Arbeiter. Ihr Verband erklärt das so: „Sich selbst zu exponieren oder gar der Hang zur Selbstdarstellung sind ihnen fremd. Für den Entschärfer ist Erfolg, wenn es ihm gelungen ist, Leben zu retten und Schaden fernzuhalten.“

Immer von der größtmöglichen Gefahr ausgehen

Wie groß das Risiko dabei ist, hat Göttingen gezeigt. „Man muss immer von der größtmöglichen Gefahr ausgehen“, sagt Hans Frenken. Vor allem aber dürfe man „niemals den Helden spielen“. Obwohl der Bürger, heil zurück in den eigenen vier Wänden, den Entschärfer gern als solchen feiert.

„Kampfmittelräum-Experten“, so erklärte Manfred Stahl, Sprecher des Hamburger Dienstes, am Morgen nach der Detonation, „setzen letztendlich immer ihr Leben ein.“ Die Ehefrau des inzwischen pensionierten Verbands-Geschäftsführers Scherff jedenfalls „war immer froh, wenn ich zu Hause war“.

A 40 wird am Montag gesperrt

Die A40 wird am Montag, 7. Juni, zwischen Huttrop und dem Dreieck Essen-Ost am Vormittag zwishen 10.30 und 11.30 Uhr kurzfristig in beiden Fahrtrichtungen gesperrt. Auf einer Baustelle am Huttroper Ellingradeweg ist eine Fünf-Zentner-Bombe im Erdreich gefunden worden. Sie muss entschärft werden.

Anwohner im Umkreis von 250 Metern der Fundstelle müssen ab zehn Uhr ihre Wohnungen verlassen. Das gilt auch für Mitarbeiter in Bürobetrieben. Auch Autos sollten weggefahren werden. Das Ende der Entschärfung wird durch Lautsprecherwagen und bei „Radio Essen“ durchgesagt.

NebenderSperrung der A40 ist mit weiteren Verkehrsbehinderungen, vor allem auf der Oberschlesienstraße, zu rechnen. In diesem Bereich sind auch die Buslinien der Evag betroffen.