Ruhrgebiet. .
Im gesamten Ruhrgebiet streikten am Donnerstag Busfahrer, Müllmänner, und Verwaltungsangestellte. Die Verdi hatte ihre Mitglieder zum Arbeitskampf aufgerufen. Gewerkschafts-Chef Frank Bsirske sprach in Dortmund zu 12 000 Streikenden.
Irgendwie ist das Stadthaus in Dortmund an diesem Morgen auf Abwehr gebürstet: Wo die ganzen Ämter sitzen, steht „Warnstreik“ auf Plakaten, „Hier keine Informationen“, und selbst „Achtung, Rutschgefahr“ passt halbwegs dazu. Auskunftstheken sind verwaist, Vorhänge zugezogen, heute keine Termine, keine Formulare, keine Besuche, herzukommen war umsonst — da landet aller Zorn von Besuchern über die verlorene Zeit bei der einzigen amtierenden Pförtnerin, bei Mira Beste, die momentan auch als Prellbock beschäftigt wird. „Die meisten sind ja nett, aber manche sind einfach unglaublich“, sagt die 55-Jährige: „Gerade hätte mir einer fast die Scheibe kaputt gemacht.“
Man findet die meisten, die hier fehlen in den Büros, indes direkt ums Eck, auf dem Friedensplatz, bei der größten Kundgebung von Verdi und Beamtenbund an diesem Tag. Busse brachten weitere aus Castrop-Rauxel, Gelsenkirchen, Unna, Hamm und aus dem Sauerland her; in mehreren Kolonnen sind sie dann durch die Stadt gezogen, haben den Verkehr ein bisschen gestaut und mit Trillerpfeifen, Tröten und Rasseln angemessenen Lärm gemacht. Bunte Haufen, Straßenwärter in Grün, Müllmänner in Orange, Gelbe-Warnjacken-Männer, andere in Komba-Magenta - oder die rot bemützten Verdi-Kohorten in regenfestem Räuberzivil! Sie suchen Streik.
12 000 sollen es sein, die sich da drängen, Verdi ist glücklich, und vorne vom offenen Laster herunter heizt Frank Bsirske gerade ein: „Man würde sich wünschen, dass manche von der Arbeitgeber-Seite mal eine Woche Müll verladen, jeden Tag acht Stunden, zehn Jahre lang“, ruft der Verdi-Vorsitzende: „Ob sie dann immer noch für die Rente mit 67 und gegen Altersteilzeit sind?“ Großer Beifall für Bsirske.
Im ganzen NRW sollen es 42 000 Menschen sein, Beschäftigte von Kommunen und des Bundes, die an diesem Tag im Warnstreik sind. Viele denken wie Busfahrer Manfred Rostek aus Castrop-Rauxel: „Die Stimmung ist schlecht, die Arbeitgeber wollen nichts raustun, und dabei werden die Banken mit Milliarden gestützt.“ Und ein anderer meint: „Wir sehen die Haushaltslage einer Krankenschwester oder eines Busfahrers mit 2200 Euro brutto monatlich genauso kritisch wie die Haushaltskrise der Städte.“
Warnstreik überall ein bisschen anders
Es ist ein Warnstreik-Donnerstag, der in jeder Stadt ein bisschen anders ist. Hier sind Kindertagesstätten geöffnet, dort geschlossen, mit und ohne Notgruppen; dort kommt die Müllabfuhr, hier nicht, da dafür morgen – oder eine Woche später; in Recklinghausen arbeiten die Politessen, in Bochum die Mitarbeiter der Arge für die Hartz-4-Empfänger, jedenfalls, sofern die einen Termin hatten – in Dortmund freilich gar nicht. Es ist eine Art unberechenbarer Partisanentaktik, bei einer Ausnahme: Busse und Straßenbahnen bestreiken sie praktisch im ganzen Ruhrgebiet.
Nur vereinzelt sind Busse unterwegs, und dann halbleer - – es erwartet sie ja auch niemand. Ausnahmen gibt es freilich immer, sie wenden sich an Helfer wie den Bogestra-Mann Jörg Eilebrecht am Bochumer Hauptbahnhof, der noch eine funktionierende Verbindung (über Langendreer) zur Ruhr-Uni kennt. „Bis jetzt waren nur zwei da, die sich aufgeregt haben“, sagt Eilebrecht: „Einer hat gesagt, dass er schon 68 Minuten auf den Bus gewartet hat.“
Unten in den U-Bahnen ist es da vollends menschenleer, die Zugänge sind kurzerhand abgesperrt mit Flatterband oder Rollgittern, damit niemand herumirrt im Bauch der Stadt; auf den Sichttafeln steht dennoch: „Heute kein Fahrtenangebot. Wir bitten um Verständnis.“ Dafür sind Autobahnen und die Einfallstraßen in die Innenstädte am Morgen deutlich überfüllt, ganz augenfällig wird einmal, welche Menschenmassen der Nahverkehr sonst wegschafft.
Von dem Chaos freilich, dass der Deutsche gern hinter jeder kleinen Unregelmäßigkeit vermutet, ist keine Spur zu finden: Viele Menschen haben sich organisiert, sie laufen oder telefonieren ihre Fahrgemeinschaft zusammen („Bin im Bahnhof, wo steht ihr jetzt?“ - „Gegenüber links“). Andere steigen in Taxis: „Heute ist Goldregen-Tag, ich hoffe, das geht noch so weiter“, sagt die Taxifahrerin Dorit Kaczorowski.
Taxis kann natürlich nicht jeder bezahlen – oder in Abwandlung eines alten Gewerkschafterspruchs: Alle Armen stehen still.