Düsseldorf.

Menschenrechtler erheben schwere Vorwürfe gegen Polizisten. „Wird die Polizei selbst beschuldigt, ermittelt sie nicht so wie bei anderen Straftaten“, klagt Amnesty-Referentin Katharina Spieß. Als Beispiel nennt sie den mysteriösen Tod eines Türken in Hagen.

Nach seiner Entlassung aus der Polizeiwache war sein Kiefer gebrochen. Der Polizist, der den wegen Ladendiebstahls verdächtigten Mann verhört und geschlagen haben soll, wurde nicht verurteilt. Aus Mangel an Beweisen und wohl auch deshalb, weil die Kollegen eisern schwiegen.

Auch der Fall des Asylbewerbers Oury Jalloh, der im Dessauer Polizeigewahrsam verbrannte, oder der mysteriöse Tod des Adem Özdamar im Jahre 2008, nachdem er im Polizeirevier ins Koma gefallen war, zeigen nach Ansicht der Menschenrechtsorganisation, dass Polizisten zwar häufig ins Zwielicht geraten, aber selten angeklagt werden.

„Es sei denn, da hat jemand einen guten Anwalt”, sagt Dr. Katharina Spieß, Referentin für Polizei und Menschenrechte bei Amnesty. Sie behauptet: „Wird die Polizei selbst beschuldigt, ermittelt sie nicht so wie bei anderen Straftaten.” Kriterien, die der Europäische Menschenrechtsgerichtshof für jedes Ermittlungsverfahren bei Anzeigen wegen Körperverletzungen von Polizisten vorgibt, erfülle die Polizei nicht. Ihre Ermittlungen fielen meistens nicht unabhängig, unmittelbar, umfassend und unparteiisch aus.

„Hier kann man nicht von Überparteilichkeit sprechen“

Spieß liefert ein Beispiel: Als es zu einer Anzeige gegen einen Bundespolizisten kommt, hat der Beschuldigte persönlich einige Zeugen vernommen. Weil bei diesen Verhören nichts Belastendes herauskommt, stellt die Staatsanwaltschaft das Verfahren gegen ihn ein. „Hier kann man nicht von Überparteilichkeit sprechen”, sagt sie.

Die Rolle der Staatsanwaltschaften definiert sie so: Die Polizei arbeite als „Hilfsorganisation der Staatsanwaltschaft” eng mit ihr zusammen. „Was will man da erwarten?”

Im erwähnten Hagener Fall des Adem Özdamar habe die Staatsanwaltschaft bereits einen Tag nach dessen Tod erklärt, es sei kein Fehlverhalten der Polizei festzustellen. „Dabei”, so Spieß, „war das Ermittlungsverfahren gar nicht abgeschlossen.”

Die Menschenrechtsexpertin, die sich seit 2005 mit Fällen von Polizeigewalt beschäftigt, fordert: Ob im Streifendienst oder in der Groß-Demo, jeder Beamter müsse identifizierbar sein. Mit Name oder Nummer. Die Praxis in Großbritannien, stets unabhängige Untersuchungskommissionen einzusetzen, wenn Polizisten angezeigt werden, hält sie für nachahmenswert.

Ganz anders sieht das Frank Richter, Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei NRW: „In einem Rechtsstaat ist die Staatsanwaltschaft für die Verfolgung von Straftaten zuständig.” Die Kritik an der Polizei weist er zurück. Es gebe keinen Grund, die Polizei generell zu verdächtigen, sie vertusche Straftaten von eigenen Kollegen. „Das Bild einer gewalttätigen Polizei hat mit der Realität nichts zu tun.”

Mit Vorwürfen überhäuft

Aus Sicht der Bundesgewerkschaft der Polizei, „kann von einem in der Polizei herrschenden Corpsgeist keine Rede sein”. Es treffe nicht zu, so der Vorsitzende Konrad Freiberg, dass dieser Geist, den Kritiker unterstellten, jeden mutmaßlich straf- und disziplinarrechtlich relevanten Übergriff eines Polizeibeamten decke. „Es gehört seit langem zum Alltag von Einsatzkräften, dass sie mit Vorwürfen und Beschwerden von Straftätern überhäuft werden”, sagte Freiberg. Viele Anschuldigungen entbehrten jeglicher Grundlage, so dass die Justiz die Ermittlungen einstelle.

Nicht nur Amnesty oder das Antidiskriminierungsbüro Berlin beschäftigen sich mit Polizeigewalt. Auch Rafael Behr, Professor an der Hochschule der Polizei Hamburg, geht der Frage nach, warum es Polizisten gibt, die Gewalt eskalieren lassen. Der ehemalige Polizist sagt, dass gerade junge Polizisten hohe Ideale hätten. „Aber es gibt Dienstgruppen, in denen ein gewisser Umgangston herrscht, dem sich auch der größte Idealist nicht entziehen kann.” Bei Menschen, von denen juristisch keine Beschwerde zu erwarten sei, würden Übergriffe wahrscheinlicher, „Fremdheit begünstigt Polizeigewalt.”

Was passiert, wenn ein Beamter zuschlägt? Behr sagt, dass diese Polizisten kein Bewusstsein für falsches Handeln hätten. Die vom Staat gepredigte Haltung - „wir handeln, wenn andere wegschauen, wir sind die Guten” - habe sich verfestigt und lasse keinen selbstkritischen Gedanken zu.

Lust an Gewalt

Schwierig werde es, wenn sich die staatlich legitimierte Gewalt der Polizei zur Lust an Gewalt entwickle. „Dem reflektierten Polizisten verbietet sich der Exzess.” Doch dazu könne es kommen, weil innerhalb der Polizei das Gebot des Schweigens herrsche und die Kultur, sich gegenseitig zu schützen. „Wer aus diesem Schweigekartell ausschert, wird aus der Gruppe verstoßen”, sagt Behr. Jeder Polizist wisse, dass er selbst einen Fehler machen könne, „da möchte man auch nicht verraten werden und freut sich über die Verschwiegenheit.”

Der Grundstein für das Problem liegt nach Angaben des Wissenschaftlers in der Ausbildung. Der Leitsatz „man schlägt nicht einfach zu” bringe nichts. „Später im Dienst sagt den Männern und Frauen niemand, wie sie sich verhalten sollen, wenn sie angegriffen werden. Niemand sagt ihnen, wann es genug ist mit Schlägen und Tritten.”