Essen.

Am 18. Januar 1985 gab es den ersten Smog-Alarm der höchsten Stufe im Ruhrgebiet. Er bewirkte ein Umdenken, dessen Folgen noch heute zu spüren sind.

18. Januar 1985: Im „Morgenmagazin“ auf WDR 2 ist an diesem Freitag ungewöhnlich wenig Musik zu hören. Dafür gibt es minutenlange Verkehrshinweise und vor allem immer wieder Mitteilungen des NRW-Gesundheitsministeriums. In vielen Teilen des Ruhrgebiets dürfen keine Autos fahren, heißt es da, und die Schwerindustrie muss ihre Produktion einstellen. Die jahrzehntelangen Klagen über die verdreckte Luft im Ruhrgebiet führen erstmals zum Ausnahmezustand: Smog-Alarm der höchsten Stufe! Ein Ereignis, das bis heute nachwirkt.

Der vor genau 25 Jahren verordnete Stillstand im Revier fällt nicht vom Himmel. Der Smog, dieser Luft-Cocktail aus Rauch (englisch: smoke) und Nebel (fog), hat sich seit Tagen zusammengebraut. Die gefährlichen Stoffe aus den Abgasen von Fabriken, Hochöfen, Kokereien, Kraftwerken, Autos und Haushaltsheizungen sind während einer langen Kälteperiode mit Windstille zu einem atemberaubenden Gemisch geworden. Doch richtig gefährlich wird es erst, als sich Mitte Januar wärmere Luftschichten wie eine Käseglocke über die ätzende, schwefelhaltige Bodenat­mosphäre legen.

Besonders in Bottrop, Duisburg, Essen, Mülheim und Oberhausen -- später auch im mittleren und östlichen Ruhrgebiet -- ist der Umwelt-Horror, ist die schlechte Luft zu sehen, zu riechen, zu schmecken. Beispiel Bottrop: Die Szene am Hauptverkehrsplatz Pferdemarkt ist gespenstisch. Durch den wabernden Nebelmief tönen immer wieder Lautsprecherdurchsagen der Polizei mit den neuesten Anweisungen zum Smog-Alarm. Das drückt die Stimmung der oft nur schemenhaft zu erkennenden Menschen an diesem Tag zusätzlich.

Am Rand der autofreien Straßen warten Massen an Haltestellen auf Busse. Autofahrer, die ganz offensichtlich seit Jahren nichts mit dem Nahverkehr am Hut hatten, versuchen, sich im Dickicht der VRR-Tariftafeln zurechtzufinden. Das gelingt nur mäßig. In den überfüllten Bussen und Bahnen sind an diesem Tag viele Schwarzfahrer wider Willen unterwegs. Die Verkehrsbetriebe freuen sich dennoch über höhere Einnahmen. Sie zählen ebenso zu den Gewinnern der dicken Luft wie die Schüler, die ein neues Wort lernen: Sie haben „smogfrei“.

Für Menschen mit Atemwegserkankungen ist das hingegen keine gute Zeit. Doch die Notdienste, die mit dieser Situation noch keine Erfahrungen haben, sind -- so gut es geht -- auf den ersten umfassenden Smog-Alarm vorbereitet. Sauerstoffvorräte seien genug vorhanden, heißt es. Die Ordnungsämter der Städte haben ganz andere Sorgen. Bei ihnen stehen viele Menschen Schlange, die angeblich unbedingt eine Sonderfahrerlaubnis brauchen. Doch die Regeln sind streng. Ganz eigene Probleme hat man beim Kommunalverband Ruhrgebiet. Für viele Millionen hat man mal wieder eine Image-Werbung für die Region erstellen lassen. Ausgerechnet als das Bild vom verdreckten Kohlenpott durch die dramatischen Smog-Schlagzeilen in vielen bayrischen oder niedersächsischen Köpfen erneut eingebrannt wird, soll die Kampagne vorgestellt werden. Ihr Motto abseits des Alltags: „Jenseits von Rauch, Ruß und Hochöfen“.

Als am 20. Januar endlich Wind aufkommt und den Dreck weg bläst, bricht denn auch ein politischer Sturm der Empörung los. NRW-Gesundheitsminister Friedhelm Farth­mann (SPD), der sich bundesweit als Vorreiter für die Smog-Verordnung und deren Durchführung eingesetzt hat, gerät unter Beschuss. Er habe, so schimpfen einige Oberbürgermeister und Industrie- und Handelskammern, dem Revier eine „beträchtliche Rufschädigung“ sowie wirtschaftlichen Schaden zugefügt. Die Landesregierung argumentiert hingegen: Erst durch ihr Vorgehen sei das Schlimmste verhindert worden.