Herne. Seite 100 Jahren kann man kleinen Kickern auf den Kopf hauen. Ein deutscher Rock-Star macht das seit Jahren mit großer Begeisterung.
Fußball für Fingerfertige. Drei Wochen nach Ende der Bundesliga-Saison, aber fünf Tage vor Anstoß des ersten Spieles der Fußball-Europameisterschaft, wird an diesem Wochenende in Schwenningen der deutsche Meister im Tipp-Kick ermittelt. Es ist ein Jubiläumsturnier. Seit 100 Jahren kann man den kleinen Kickern auf den Kopf hauen.
Sportpark Herne, Treppe hoch, dann rechts den Gang hinunter, und da warten sie schon, die Kicker vom TKC Preußen-Waltrop. Denn mittwochs ist Training. Arnold Gotzhein, Dirk Clement, Olaf Ruscheweyh und Martin Weichmann sind gekommen. Und natürlich Holger Wölk, aktiv seit 1981 und Präsident des Clubs. Keine Stollenschuhe haben sie geschnürt, kein Trikot übergezogen. Aber zwei Tische mit Platten darauf haben sie aufgebaut, kleine Stadien sozusagen. Denn hier wird Tipp-Kick praktiziert – auf höchstem Niveau.
Der Erfinder ist Möbelfabrikant
Für seinen Erfinder, den Stuttgarter Möbelfabrikanten Karl Mayer ist es 1921 ein „Fußballbrettspiel mit Aufstellfiguren, deren Füße Stoßbewegungen ausführen können“. Vor allem aber ist es ein Flop. Die Aufstellfiguren sind aus Blech und damit viel zu leicht, um mit ihnen vernünftig spielen zu können. Deshalb zögert Mayer auch nicht lange, als der schwäbische Kaufmann Edwin Mieg ihm drei Jahre später ein Angebot macht und das Patent abkauft.
Mieg hat gemerkt, dass nicht nur der echte Fußball immer beliebter wird, sondern Spiele rund um das Spiel. In Großbritannien gibt es erste Tisch-Kicker, auch feiert Subbuteo dort große Erfolge. Tipp-Kick aber wird zu einer deutschen Erfolgsgeschichte. „In den meisten anderen Ländern war das nie ein großes Thema“, weiß TKC Preußen-Waltrop-Präsident Wölk.
Mini Kicker waren ursprünglich aus Blei
Als erstes macht Mieg damals die Kicker schwerer, indem er die Rohlinge in Fürth gießen lässt. Zunächst sind die Spieler aus Blei, das sich wunderbar ver- und bearbeiten lässt, aber leider hochgiftig ist. Seit 1939 entstehen die Mini-Kicker deshalb aus Zinn.
Um sie bekannt zu machen, fährt der Pfarrerssohn zur Spielzeugmesse nach Leipzig. Für einen Stand in der Halle reicht sein Geld nicht, deshalb bietet er Tipp-Kick auf den Treppen des Messe-Eingangs an. Mit Erfolg: Das Spiel kommt quer durch alle Generationen gut an. Einfach aufzubauen ist es, schnell erklärt sind die Regeln.
Das Spiel besteht aus einer Unterlage, meist grün und aus Filz, zwei Toren, zwei Torhütern und zwei Feldspielern. Letztere sind Stürmer und Verteidiger in Personalunion und dürfen deshalb überall – stehend und sogar liegend – auf dem Spielfeld positioniert werden, nur nicht im eigenen Strafraum. Sie kicken den Ball mit dem rechten, beweglichen Bein, wenn ihr Besitzer den Knopf auf dem Kopf drückt. Der Spielball ist nicht rund, sondern hat zwölf Ecken, die hälftig schwarz oder weiß sind. Am Schuss ist der Spieler, dessen zuvor gewählte Farbe oben zu liegen kommt. Ein Spiel dauert keine 90, sondern nur zehn Minuten.
100.000 Spielfiguren werden jedes Jahr gekauft
„Aber wie im echten Fußball hat am Ende gewonnen, wer die meisten Tore erzielt hat“, sagt Clement. Der endgültige Durchbruch kommt 1954 mit dem Wunder von Bern. Nachdem die deutsche Nationalmannschaft als Überraschungsweltmeister aus der Schweiz zurückgekehrt ist, verkauft sich Tipp-Kick rund 180.000 Mal. Vielleicht auch, weil der Torwart im Spiel „Toni“ heißt – wie der echte Toni Turek im WM-Finale. In den 1960er-Jahren verpflichtet Mieg einen jungen, aufstrebenden, aber anfangs völlig unbekannten Fußballer als Werbegesicht. Der Mann heißt Müller. Gerd Müller. Ein Glücksgriff. Mit jedem seiner Tore schnellen die Verkaufszahlen in die Höhe.
In Jahren ohne großes internationales Turnier vertreibt das mittlerweile von Gründerenkel Mathias Mieg und seinem Cousin Jochen geleitete Unternehmen derzeit etwa 30.000 Spiele (ab 39,90 Euro) und circa 100.000 Spielfiguren (12,50 Euro) im Jahr. Regelmäßig gibt es Sondereditionen. Für die anstehende Fußball-Europameisterschaft wurde das „Tipp-Kick DFB Classic“ entworfen.
Eine besonders begehrte Edition aber ist die der Band „Die Toten Hosen“ aus dem Jahr 2007. Frontmann Campino gilt übrigens nicht nur als begeisterter, sondern auch sehr guter Tipp-Kicker.
Im „normalen“ Programm sind Spieler von vielen National- und noch mehr Clubmannschaften. Für Wölk und die anderen Waltroper Spieler sind solche Äußerlichkeiten uninteressant. Sie spielen im einzigen NRW-Verein der deutschen Tipp-Kick Bundesliga, zu der bundesweit neun Mannschaften gehören. Deutscher Mannschaftsmeister waren sie, deutscher Pokalsieger zwei Mal, und Einzelmeister haben sie im Laufe der Zeit immer wieder gestellt.
Für Profis zählt nur das Schussbein
Und auf diesem Niveau zählt vor allem das Schussbein eines Zinn-Kickers. Manche Spieler haben für jede Situation eine spezielle Figur. Je nachdem, ob sie den Ball heben, anschneiden oder frontal auf das Tor schießen wollen. Längst hat Mieg je nach Aufgabe unterschiedliche Schussbeine im Programm, aber den letzten Schliff wollen Profis ihren Spielern oft immer noch selber geben. Da wird gefeilt, geschraubt und immer wieder ausprobiert. „Das ist schon eine Wissenschaft für sich“, sagt Martin Weichmann.
Auf keinen Fall aber ist Tipp Kick für die Waltroper nur ein Spiel. „Das ist Sport“, sagt Wölk. Und Olaf Ruscheweyh ergänzt. „Nach einem Turnier weiß man, was man gemacht hat.“ Stundenlang mit höchster Konzentration gespielt nämlich. Und Hunderte Entscheidungen über die richtige Platzierung seiner Figuren getroffen – meist im Bruchteil von Sekunden. Glück und Zufall haben die Spieler dabei weitgehend ausgeschaltet. Könner spielen den Ball ein Dutzend Mal, und fast immer zeigt dabei „ihre“ Farbe nach oben. Einsteigern kann der Präsident dann auch wenig Hoffnung machen bei einer Partie gegen Profis. „Keine Chance.“ Wer aber länger dabei bleibe, sagt Wölk, der könne an der Platte alles erleben. „Stress, Jubel, Trauer, es ist immer wieder faszinierend.“
Spiel ist im Fernsehen schwierig zu vermarkten
Was einen guten Spieler ausmacht? Wölk muss nicht lange überlegen. „Vor allem Erfahrung.“ Und sonst? Taktisches Verständnis, Vielseitigkeit beim Schuss und gutes Torwartspiel zählt Wölk dann auf. „Ja, ein guter Torwart ist das A und O.“
Aber selbst mit dem lässt sich kein Geld verdienen. Denn Tipp-Kick ist schwierig zu vermarkten. Vor allem optisch. Mehrere TV-Sender haben es versucht und aufgegeben. Die Waltroper wissen auch, warum. Das Spiel ist einfach zu schnell. „Selbst mit Superzeitlupe sieht man von einem richtig hart geschossenen Ball im Fernsehen fast gar nichts.“
Kontakt zum TKC Preußen-Waltrop können Interessierte unter woelkholger@arcor.de aufnehmen