Köln. Das Mullah-Regime in Teheran ist bei den Iranern verhasst, der Widerstand wächst. Eine Islam-Expertin sagt: Viele sehen Israel nicht als Feind.
Hass, Terror und gegenseitige Vernichtungsdrohungen kennzeichnen die Beziehungen zwischen Iran und Israel. Der Gaza-Krieg sowie der historische Luftangriff Irans auf Israel in der Nacht zum 14. April haben die Spirale der Gewalt erneut angeheizt. Unversöhnlich stehen sich Iran und seine von ihm finanzierten Milizen Hamas und Hisbollah den Kräften Israels und seinen Verbündeten gegenüber. Ein Flächenbrand droht in Nahost.
Doch es gibt zarte Hoffnung auf Versöhnung, sagt Katajun Amirpur, Islamwissenschaftlerin an der Uni Köln, im Gespräch mit Christopher Onkelbach. Die Wissenschaftlerin setzt dabei vor allem auf die Jugend.
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Irans Regime schürt den Antisemitismus und finanziert Terror gegen Israel und seine Verbündeten. Ist der Judenhass in der breiten Bevölkerung Irans ebenso groß?
Katajun Amirpur: Nein, das ist er nicht, denn weite Teile der Bevölkerung Irans denken anders als das Regime. Je mehr die Regierung gegen das „zionistische Gebilde“, wie sie es nennt, wettert, desto mehr wächst die Distanz zur Propaganda des Regimes und steigen die Sympathien für Israel. Dazu muss man wissen, dass in Iran – abgesehen von Israel - die größte jüdische Gemeinde im Nahen Osten lebt. Sie sind ein fester Teil der iranischen Gesellschaft, allein in Teheran gibt es 16 Synagogen, ein jüdisches Krankenhaus, Juden dürfen Wein herstellen und nach ihrem eigenen religiösen Kultus leben. Es gibt sogar auch jüdische Abgeordneten im iranischen Parlament, die Position ist nicht nur ein politisches Feigenblatt.
Sehen Sie Hinweise darauf, dass in Iran eine Israel-freundliche Generation heranwächst?
Ja, diese Hinweise gibt es. Zwar gab es nach dem Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 viele vom Regime organisierte Kundgebungen, bei denen die Hamas gefeiert wurde. Doch an der Basis tut sich Erstaunliches: An Universitäten liegen vor dem Eingang der Seminargebäude üblicherweise israelische Flaggen als Fußabtreter, viele Studierende springen dieser Tage darüber hinweg oder umgehen sie, damit sie nicht auf die Fahne treten müssen. Ein seit den großen Protesten 2009 immer wieder gehörter Protestruf lautet „Nicht Gaza, nicht Libanon – mein Herz gehört Iran“. Das bedeutet: Was haben wir mit dem Kampf der Palästinenser zu schaffen, was geht uns das alles an? Warum finanziert das Regime mit zig Millionen Dollar Terrormilizen wie Hamas und Hisbollah, anstatt unser Geld für uns auszugeben? Angeblich wird allein die Hamas mit 30 Millionen Dollar pro Monat unterstützt. Zugleich leben etwa 80 Prozent der iranischen Bevölkerung unter der Armutsgrenze. Sie fordern, dass iranisches Geld lieber für die eigene Bevölkerung ausgegeben wird, anstatt durch die Finanzierung der Proxies den Regime-Erhalt zu finanzieren.
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Wird das Mullah-Regime denn von der Mehrheit der Bevölkerung abgelehnt?
Das Regime ist verhasst. Umfragen zeigen, dass 70 bis 90 Prozent der Bevölkerung nicht hinter der Führung stehen. Doch der Widerstand wird mit brutaler Gewalt zu unterdrückt.
Erstmals hat der Iran Israel direkt angegriffen. Verfestigt der Konflikt die Feindschaft zu Israel wieder? Wenden sich womöglich auch oppositionelle Iraner angesichts von Gewalt und Zerstörung in Gaza wieder mehr dem eigenen Regime zu?
Natürlich gibt es in der Bevölkerung ein großes Mitgefühl mit den Menschen in Gaza, die derzeit schreckliches Leid zu ertragen haben. Das bedeutet aber nicht, dass sie die Bombardierung Israels begrüßen. In den Sozialen Medien machen sich viele Menschen über den weitgehend wirkungslosen Angriff auf Israel lustig. Das wird sehr deutlich kommuniziert. Diese Haltung könnte sich aber ändern, wenn Israel den Iran schwer attackiert. Das konnte man im ersten Golfkrieg beobachten: Als Iraks Herrscher Saddam Hussein Ende 1980 Iran angriff, führte dies dazu, dass sich die iranische Bevölkerung hinter das Regime stellte. Das könnte bei einem Krieg mit Israel erneut passieren.
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Würde die iranische Bevölkerung einen Krieg mit Israel begrüßen?
Nein, die iranische Bevölkerung will unter keinen Umständen einen Krieg mit Israel. Das will aber auch das iranische Regime nicht, denn es weiß ganz genau, dass es nur verlieren kann, denn Iran müsste nicht nur gegen Israel, sondern auch gegen die USA kämpfen. So harsch und martialisch sich die Regierung auch gibt, so weiß sie doch ganz genau, dass sie einen solchen Krieg nicht gewinnen kann. Mit dem Angriff auf Israel wollte das Regime vor allem sein Gesicht wahren. Es gibt sogar Hinweise darauf, dass der Iran mit seinen Drohnen und Raketen bewusst keinen großen Schaden anrichten wollte.
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Wie steht die iranische Jugend zum Regime?
Iran hat eine extrem junge Bevölkerung, rund 70 Prozent sind jünger als 30 Jahre. Vor allem die Proteste im Herbst 2022 zeigten, dass die junge Generation dem Regime ablehnend gegenübersteht. Ziel sind nicht mehr nur Reformen, sondern eine komplette Ablösung des islamistischen Regimes. Diese Forderung war in dieser Breite neu. Ich beobachte eine ausgesprochen rebellische Jugend, die sich auch durch Gewalt, Verhaftungen, Todesurteile und Gas in den Klassenräumen von Mädchenschulen nicht mehr einschüchtern lässt. Junge Mädchen gingen ohne Kopftuch auf die Straße mit dem Slogan, weil sie sich sagten: Wenn ihr uns nichts zum Leben gebt, dann könnt ihr uns das Leben auch gleich nehmen. Für mich ist der Mut der jungen Leute das Erstaunlichste an den jüngeren Protesten.
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Gibt es Gemeinsamkeiten zwischen der iranischen und der israelischen Jugend?
Beide wollen Frieden – daher geht von beiden Hoffnung aus. Ich sehe keine Feindschaft zu Israel in der iranischen Jugend. Israelische Influencer unterstützen den Freiheitskampf der Iranerinnen in den Sozialen Medien. Liraz Charhi, eine israelische Sängerin mit iranischen Wurzeln, schrieb den Soundtrack der Bewegung „Frauen, Leben, Freiheit“. Es ist bemerkenswert, dass sie in Iran so populär werden konnte. Das weckt in der Tat Hoffnungen. Als Gegenreaktion auf die Palästina-Politik haben viele Aktivisten in Iran schon länger eine proisraelische Haltung eingenommen. Zudem gibt es eine lange jüdische Geschichte in Iran, die bis auf den Perserkönig Kyros den Großen zurückgeht. Dieser befreite die Israeliten 538 vor Christus aus der babylonischen Gefangenschaft. Er verstand alle Religionen als gleich und als gleich frei. Als liberaler Gegenpol zur islamistischen Doktrin wurde sein Grabmal in der iranischen Provinz Fars zur Pilgerstätte. Er bekommt mehr und mehr Zulauf mit seinem Ansatz.
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Gibt es Hoffnung, dass die junge Generation Irans und Israels Frieden schafft?
Wenn die Menschen im Iran es schaffen, das Regime zu stürzen, habe ich Hoffnungen. Aber das müsste erstmal tatsächlich geschehen, und das sehe ich derzeit nicht. Das Regime in Teheran sitzt dafür noch zu fest im Sattel.
Trotz der Konflikte und der Sanktionspolitik des Westens?
Innenpolitisch ist das Regime unter Druck, doch außenpolitisch steht es alles andere als isoliert da. Seit Donald Trump das Atomabkommen aufkündigte, hat sich das Land wirtschaftlich umorientiert. Der Westen ist nicht mehr relevant, Iran hat militärische und wirtschaftliche Beziehungen zu Indien, Russland, China und auch Lateinamerika geknüpft. Das sind keine guten Nachrichten für die Protestbewegung, und das dämpft die Hoffnungen auf Freiheit und Frieden.
Zur Person: Das ist Katajun Amirpur
Katajun Amirpur, geboren 1971 in Köln, ist Professorin für Islamwissenschaft an der Universität zu Köln. Zuvor lehrte sie an den Universitäten Hamburg und Zürich. Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählen unter anderem der schiitische Islam, iranische Intellektuellengeschichte und das Reformdenken im Islam. Im August 2018 erschien die erweiterte Neuauflage ihres Buches „Reformislam. Der Kampf für Demokratie, Freiheit und Frauenrechte“. Zuletzt erschien 2023 von ihr das Buch „Iran ohne Islam. Der Aufstand gegen den Gottesstaat“.
Dies ist ein Artikel aus der Digitalen Sonntagszeitung. Die Digitale Sonntagszeitung ist für alle Zeitungsabonnenten kostenfrei. Hier können Sie sich freischalten lassen. Sie sind noch kein Abonnent? Hier geht es zu unseren Angeboten.