Essen/Dortmund/Hagen. Vor 50 Jahren siegte Abba mit Waterloo beim Grand Prix. Anders als oft erzählt, war das zunächst nicht der Beginn einer Weltkarriere.
Der 6. April 1974. Ein Samstag. 500 Millionen Menschen sitzen weltweit vor den TV-Geräten, als kurz nach 22 Uhr deutscher Zeit zwei Männer und zwei Frauen die Bühne des „Dome“ im englischen Seebad Brighton betreten. Sie heißen Agnetha, Björn, Benny, und Ani-Frid, nennen sich aber ABBA und vertreten an diesem Abend ihre Heimat Schweden beim 19. Grand Prix Eurovision de la Chanson – jüngeren Menschen besser bekannt als Eurovision Song Contest (ESC).
Noch nie zuvor hatte Schweden gesiegt
Abba zählt anfangs nicht zu den Favoriten. Deutschland, für das Cindy & Bert zum Mikro greifen, auch nicht. Olivia Newton-John wird hoch gehandelt, die mit dem Song „Long Live Love“ für die Gastgeber antritt. Aber auch Gigliola Cinquetti, die schon 1964 für Italien gewonnen hat, werden mit „Sì“ gute Chancen eingeräumt. Oder dem niederländischen Duo Mouth & McNeal. Aber Schweden? Noch nie hat das Land diesen Wettbewerb gewonnen. Und niemand glaubt, dass sich das ändern wird.
Vor allem nicht durch diese Band, deren männliche Mitglieder aussehen, als würden sie die abgelegten Klamotten eines englischen Glam-Rock-Sängers auftragen. Stiefel mit Plateausohlen tragen sie, die so hoch sind, dass sie kaum drauf laufen können. Dazu samtene Hosen, die jeden Versuch des Trägers sich zu setzen, mit einem Riss bestrafen würden. Ein Outfit, das für den damals noch sehr seriös daherkommenden Wettbewerb in etwa so passend ist, wie ein Jogging Anzug auf dem Wiener Opernball. Dass ihr Dirigent Sven-Olof Walldoff das Pult als Napoleon verkleidet besteigt, macht die Sache auch nicht besser.
„One, two, three“, zählt Walldoff, dann tönt es von der Bühne. „My, my, at Waterloo Napoleon did surrender…“ 2:45 Minuten dauert der Song, weitere 90 Minuten beträgt die Wartezeit, bis Abba als Gewinner des Grand Prix feststehen. Die Siegerehrung verzögert sich allerdings kurz. Ein Ordner will Björn in seinem Glitzer-Outfit nicht auf die Bühne lassen: „Du bist doch kein Songwriter.“ Selbst für Björn irgendwie nachvollziehbar: Niemand ist jemals so hässlich, so schlecht angezogen auf die Bühne gestiegen wie wir“, hat er später eingeräumt.
Zwei Nachfolgesingles floppten erst einmal
Überhaupt startet die Weltkarriere längst nicht so schnell, wie oft und gerne erzählt wird. Zwar stürmt „Waterloo“ in Windeseile die Charts, wird unter anderem in Deutschland und England Nummer eins und verkauft sich weltweit gut fünf Millionen Mal. Dann aber passiert zunächst nichts mehr. Abba will die Welt, aber die Welt will Abba nicht.
Die schon vor dem Grand Prix eingespielten Nachfolge-Singles „Honey Honey“ und „Ring Ring“ floppen zunächst, bei der Europatournee im Herbst müssen mehrere Konzerte mangels Nachfrage mit Freikarten aufgefüllt oder gleich ganz abgesagt werden. „Sie wollten im Londoner Palladium spielen“, wie ein Mitarbeiter von Abba englischer Plattenfirma damals zitiert, „aber ich war mir nicht einmal sicher, ob sie einen Bus hätten füllen können.“ In ihrer Heimat ist es noch schlimmer. Für die schwedische Linke ist die Gruppe kommerziell und viel zu unpolitisch und deshalb „verabscheuungswürdig“.
1975 kehrt der Erfolg zurück, erst langsam, dann ganz gewaltig. SOS und Mamma Mia heißen die Songs, die Abba wieder in die Hitparaden bringen – nicht nur, aber vor allem, weil es zu beiden Videos in Farbe gibt. Besonders Australien ist anschließend von einer „Abbamania“ befallen, deren Ausläufer bald auch Europa befallen. Das Jahr 1976 wird zum Triumphzug für die Band. Ob „Fernando“, „Dancing Queen“, „Knowing Me, Knowing You“ oder das Album „Arrival“ – Hit folgt auf Hit.
Björn und Benny können keine Noten lesen
Ganz leicht scheinen Björn und Benny, die beide Noten weder lesen noch schreiben können, immer neue grandiose Melodien aus dem Hut zu zaubern. In Wirklichkeit ist es harte Arbeit, sind es unzählige Stunden – meist in den Sommerhäusern der beiden auf der Insel Viggsö - , in denen die beiden an neuen Songs arbeiten – „zwanghaft perfektionistisch“, wie sie später zugegeben haben. Von morgens bis abends und oft auch in der Nacht. Erst kommen Musik und Arrangement, dann folgt der Text, den Anni-Frid und Agnetha mit ihren Stimmen, die so großartig miteinander harmonieren, einsingen. So entstehen Lieder, die perfekt in die Zeit passen und dennoch zeitlos sind. „Du hörst ein Lied von Abba ein paar Mal und vergisst es nie wieder“ , hat Musikproduzent Giorgio Moroder das Geheimnis von Abbas Musik mal erklärt.
In den späten 1970er-Jahren kommt das Geld schneller herein als ihr Manager Stig Anderson es zählen kann. In Australien werden die vier auf Schritt und Tritt von wahren Menschenmassen verfolgt, Mütter halten ihnen kleine Kinder entgegen, die sie berühren sollen. Der Manager eines Hotels, in dem sie übernachtet haben, zerschneidet anschließend die Bettlaken und verkauft die Fetzen an Fans. Und als Abba später im Jahr zwei Konzerte in London ankündigen, gibt es für die 11.000 Plätze 3,5 Millionen Kartenanfragen.
Die ganze Welt will Abba, doch jetzt will Abba die Welt nicht mehr. Vor allem Agnetha fühlt sich zermürbt. Sie will nicht mehr touren, will nicht mehr reisen. Die Ehe zwischen Björn und ihr wird geschieden, auch Benny und Anni-Frid trennen sich 1980. Die Stimmung im Studio wird immer frostiger, dennoch entsteht mit „The Winner Takes It all“ ein sehr ernster, extrem gefühlvoller und einer der bis heute erfolgreichsten Songs der Gruppe. Das Ende aber ist nicht mehr aufzuhalten. „The Day Before you Came“ wird zwei Jahre später die letzte Single. Dann kündigen die vier „eine Pause“ an, die sie erst fast 40 Jahre später mit neuen Songs und dem Album „Voyage“ beenden werden.
Musical und Museum halten die Erinnerung wach
Gut zehn Jahre wird es zwischenzeitlich ruhig um Abba und ihre Musik. Dann erobert das britische Duo Erasure Anfang der 1990er mit vier gecoverten Songs der Schweden die Hitparaden. Abbas Schallplattenfirma reagiert schnell und bringt „Abba Gold“ auf den Markt, eine CD mit den größten Erfolgen der Band. Sie verkauft sich mehr als 30 Millionen Mal und bringt Abba einer ganz neuen Generation nahe. Und als 1999 das mit Liedern der Gruppe gespickte Musical „Mamma Mia“ auf die Bühne kommt, und Jahre später auch verfilmt wird Premiere, sind die vier wieder in aller Munde. 2013 öffnet das Abba-Museum in Stockholm und in Brighton, wo alles begann, kann man seitdem keine Hundert Meter mehr über die Promenade schlendern, ohne dass einem aus einem der zahlreichen Restaurants „Waterloo“ oder ein anderer Hit entgegenklingt.
Auf die Bühne kehrt Abba trotzdem nicht zurück. Selbst als man ihnen eine Milliarde Euro für eine Tour bietet, lehnen sie ab. Dafür gibt es seit gut zwei Jahren in London eine 100-minütige Konzertshow mit „Abbataren“, also mit voll animierten, digital verjüngte Versionen des Quartetts im 70er-Jahre-Look, die von einer zehnköpfigen Liveband begleitet werden. Angeblich haben die Produktionskosten 175 Millionen Dollar betragen. Dafür soll die Show aber auch zwei Millionen Dollar pro Woche einspielen.
Das scheint es dann auch gewesen zu sein in Sachen Abba. Noch einmal gemeinsam auf der Bühne? Björn Ulvaeus lächelt gerne, wenn man ihm diese Frage stellt. Dann schüttelt er den Kopf und sagt: „Ein Konzert t von uns wird es nicht mehr geben. Nie wieder.“ In diesem Sinne: Thank you For The Music.
10 Dinge, die Sie über Abba noch nicht wussten
- Vor ihrem Sieg mit „Waterloo“ hatte sich Abba in Schweden ein Jahr zuvor schon einmal um die Teilnahme am Grand Prix beworben. „Ring Ring“ landete aber nur aus Platz drei.
- Kurz nach dem Sieg wurde Vorwürfe laut, Waterloo sei ein Plagiat des Songs „Build Me Up Buttercup” von der Band „The Foundations”. Tatsächlich klingen beide Lieder ähnlich. Zahlen musste Abba aber nichts.
- Im „Grand Hotel“ von Brighton bewohnte Abba ausgerechnet die „Napoleon-Suite“. Und die Feuerlöscher in der Herberge stammten von einer Firma namens Waterloo
- Abba gewann 1974 für Schweden mit 24 Punkten – vor Italien mit 18 Punkten.
- Für Deutschland sangen Cindy und Bert die „Sommermelodie“ – und landeten auf dem letzten Platz, zusammen mit Norwegen, Portugal und der Schweiz.
- Zero Points – null Punkte für „Waterloo“ gab es aus Griechenland, Monaco, Belgien, Italien und Großbritannien.
- Wer siegen will, muss leiden. Agnetha war für ihren Auftritt in Brighton in ihre blaue Hose eingenäht worden. Die saß nun so eng, dass sie sich nicht mehr setzen und auch nicht richtig tanzen konnte.
- Die schrillen Kleidungsstücke, die die vier ABBA-Mitglieder trugen, waren nicht nur Zeitgeist. Sie halfen der Band auch, Steuern zu sparen. Nach schwedischem Recht konnte man die Ausgaben für Bekleidung, die nicht für den täglichen Gebrauch geeignet war, von der Steuer absetzen.
- Für den Rest der Welt setzt sich der Name Abba aus den Anfangsbuchstaben der vier Mitglieder zusammen. In Schweden hieß damals allerdings die größte Fischfabrik des Landes so. Erst nach zähen Verhandlungen mit den Firmenchefs durfte die Band den Namen nutzen. Was dafür gezahlt, blieb ein Geheimnis.
- Das verkehrt herum stehende B im Bandnamen, das später auf Covern und Postern zum Markenzeichen werden sollte, entstand aus Zufall. Benny hatte „seinen“ Buchstaben bei einer Fotosession versehentlich falsch aufgestellt. Erst als die Fotos schon im Kasten waren, fiel das auf.