Essen. Warum auch in NRW immer mehr Menschen so gerne aus einem Stanley Cup-Becher trinken. Und was ein Autounfall mit dem Hype zu tun hat.
Adele, so wird gemunkelt, hat immer einen dabei. Und Models zwischen Mailand, Paris und New York sind auch kaum noch ohne dieses Accessoires anzutreffen. Über Influencer müssen wir da gar nicht erst reden. Ohne meinen Stanley-Cup? Keine Chance.
Wobei – einmal muss es gesagt werden - hier nachfolgend nicht von der höchsten Trophäe im nordamerikanischen Eishockey die Rede ist, sondern von einem Trinkbecher, der dank seines schmalen Fußes gut in die meisten Halterungen von Auto-Mittelkonsolen passt. Bis zu sieben Stunden soll er heiße Getränke heiß halten und kalte elf Stunden kalt – mit Eiswürfeln sogar zwei bis vier Tage. Ach ja, spülmaschinenfest ist er natürlich auch.
Riesenbecher sind fast überall ausverkauft
Falls er denn überhaupt in die Spülmaschine passt. Denn der Stanley Cup ist ein sehr großer Trinkbecher. Je nach Modell bis zu 30 Zentimeter hoch, mit einem maximalen Fassungsvermögen von gut 1,2 Litern. Füllt man ihn, gibt es Fitnessgeräte, die leichter sind. Billig ist das Teil auch nicht. Im Gegenteil: 50 Euro sind schon ein Schnäppchen, 70 bis 80 Euro die Regel. Für besondere Exemplare kann es schnell mal dreistellig werden. Trotzdem ist der Becher auch in Deutschland immer wieder schwierig zu bekommen. Manchmal sogar gar nicht. „Ausverkauft“ heißt es im Internet-Kaufhaus. Oder „zurzeit nicht lieferbar“. Nicht schlecht für einen Becher, den es so oder so ähnlich eigentlich schon seit mehr als 100 Jahren gibt.
Eine erste Version hat ein gewisser William Stanley Jr., Erfinder von Beruf, bereits 1913 entwickelt. Sie ähnelt allerdings eher einer klassischen Thermosflasche als einem Becher. Aber sie ist schon damals aus fast unzerstörbarem Stahl und hält ihren Inhalt lange warm oder kalt. Erste Kunden werden Bauern und Bauarbeiter, Menschen also, die draußen arbeiten. Mit Beginn des 2. Weltkrieges hebt dann kaum ein Airforce-Pilot ab, ohne die doppelwandigen Flaschen an Bord zu haben. Später, so wird immer wieder gerne erzählt, werden Stanley-Becher gerne auch zum Transport von Organen und Bullensperma genutzt. Außerhalb der USA aber fristet die Marke lange ein Nischendasein – nur im Outdoor-Bereich ist der Name manchen Menschen ein Begriff.
Quencher: Anfangs will den Becher kaum jemand haben
2016 bringt das Unternehmen den „Quencher“ auf den Markt, also den Becher mit Trinkhalm in der Mitte des Deckels, der jetzt so begehrt ist. Anfangs hält sich die Begeisterung zuerst in Grenzen. 2019 stehen noch Tausende in den Lagern, Stanley überlegt, die Produktion einzustellen. Dann entdecken die Betreiberinnen des Online-Shopping Blogs „The Buy Guide“ den Becher, empfehlen ihn begeistert weiter und mahnen zur Eile: „Kaufen, solange es ihn noch gibt.“ Prompt schnellen die Verkaufszahlen in die Höhe.
Ob sie nicht eine Charge von 10.000 Bechern aufkaufen und selbst vertreiben wollen, fragt Stanley in der Hoffnung auf leere Lager bei den Bloggerinnen an. Die zögern zunächst. „Wir wussten ja nicht, ob wir den Rest unseres Lebens damit verbringen würden, zu versuchen, diese Becher zu verkaufen“, sagt Taylor Cannon, eine von ihnen, einer US-Zeitschrift. Doch die Sorge ist unbegründet. Die ersten 5000 Becher sind in etwa vier Tagen ausverkauft, die zweite Charge von weiteren 5000 Bechern ist sogar innerhalb einer Stunde weg.
Bei Stanley ist man beeindruckt, sucht das Gespräch mit den Buy-Guide Betreiberinnen. Und die nehmen kein Blatt vor den Mund. „Ihr vermarktet diesen Becher bei den falschen Leuten“, sagen sie den erstaunten Managern, berichten US-Medien später von dem Treffen. Handwerker und Outdoor-Fans alleine seien nicht die Zielgruppe. Sie würden die Becher schließlich nur zu besonderen Gelegenheiten nutzen. Viele interessanter sei es doch, den Quencher zu einem Artikel des täglichen Gebrauchs zu machen – besonders in den USA, in denen sich weite Teile der Bevölkerung bekanntlich ständig von Dehydrierung bedroht sehen. Frauen seien ein großer Kundenkreis – erst recht, wenn der Becher optisch zu Küche und Wohnzimmer passe, am besten auch zum gerade aktuellen Outfit. „Jede Marke auf der Welt, die sich nicht an die 25- bis 50-jährige Frau wendet, verfehlt ihr Ziel“, findet Cannon.
Frauen werden zur neuen Zielgruppe
Bei Stanley nimmt man der Rat an. Es gibt neue Farben und technische Weiterentwicklungen. Schnell geht die Rechnung auf. Via Internet wird der Riesenbecher in aller Welt bekannt. Immer mehr Influencerinnen halten auf Instagram oder TikTok einen Stanley in die Kamera. Auch vergeht bald kaum ein Tag, an dem nicht irgendein Promi mit dem Quencher in der Hand auf einem Foto zu sehen ist. Und die Kommentare überschlagen sich. „So leicht ist es mir noch nie gefallen, viel Wasser zu trinken“, berichten Nutzerinnen auf einschlägigen Foren und schwärmen: „Hält die Getränke wirklich extrem lange kalt oder warm.“ Nur ganz selten gibt es leise Kritik: „Ganz dicht ist er nicht.“
Das Geschäft läuft gut, dann aber explodiert es förmlich. Auslöser ist ein Video, das eine 37-jährige Frau namens Danielle im Herbst vergangenen Jahres bei TikTok einstellt. Es zeigt den Innenraum ihres nach einem Unfall völlig ausgebrannten Autos. Sitze, Armaturen, alles ist verkohlt. In der Mittelkonsole aber steht ein augenscheinlich fast völlig unversehrter Stanley Cup Becher. Mehr noch: Als die Frau den Becher schüttelt, stellt sich überrascht fest: „Da sind noch die Eiswürfel drin zu hören.“ Bessere Werbung gibt es nicht - zumal das kurze Video knapp 100 Millionen Mal aufgerufen wird.
Ein Unfall wird zum Marketing-Hit
Eine Gelegenheit, die Stanley-Chef Terence Reilly nicht ungenutzt lässt. Nur zwei Tage später postet er selbst ein Video: „Wir sind froh, dass es dir gut geht, Danielle“, sagt er darin. Selbstverständlich werde man ihr als Dankeschön einen neuen Becher zukommen lassen. „Aber eine Sache wäre da noch“, fährt er dann fort, „wir haben so etwas noch nie gemacht und werden es wohl auch nie wieder tun, aber wir möchten gern dein Auto ersetzen.“ Auch dieses Video – man ahnt es schon – wird millionenfach geklickt.
Überhaupt lässt sich Reilly, der zuvor schon die praktischen, aber hässlichen Plastikschuhe „Crocs“ in ein Lifestyle-Produkt verwandelte, einiges einfallen. Mittlerweile gibt es limitierte Quencher-Editionen und immer neue Sondermodelle. Die künstlich erzeugte Verknappung hat Folgen. Weihnachts- oder Valentinstags-Editionen wurden zeitweise für mehrere Hundert Dollar beziehungsweise Euro auf Auktionsportalen gehandelt. Und wenn eine neue Auflage in begrenzter Stückzahl erscheint, campen Fans schon Tage zuvor vor den Geschäften. Selbst von Prügeleien um besondere Becher berichten US-Zeitungen.
Umsatz steigt von 70 auf 750 Millionen Dollar
Der Hype schlägt sich längst auch in den Büchern von Stanley wieder. Lag der Umsatz des Unternehmens 2019 noch bei 70 Millionen Dollar, waren es im vergangenen Jahr rund 750 Millionen Dollar.
Ein Teil des Geldes wird längst auch in Deutschland umgesetzt – fast ausschließlich über das Internet. Selbst Menschen, denen der Becher eigentlich zu groß und zu schwer ist, greifen inzwischen zum Quencher. Mittlerweile gibt es nämlich nicht nur spezielle Schalen, die man über den Becher stülpen kann und in denen Platz für Erdnüsse, Schokotafeln oder sonstige Snacks ist, sondern auch maßgeschneiderte Umhängebeutel, die das Tragen erleichtern. Auf Wunsch natürlich auch mit Handyfach. „Endlich“, freut sich eine Frau in einem Internet-Chat, „muss ich nicht den ganzen Tag eine Tasche mit mir herumschleppen.“