Ruhrgebiet. Zwei geänderte Vorschriften führen dazu, dass man an Ampeln mehr Geduld braucht. Welche Verkehrsteilnehmer das vor allem betrifft.
Rot dauert am längsten, wenn man selbst davorsteht. Und so sieht man dem Auto an der großen Kreuzung in Bochum-Langendreer gerade an, wie sein Fahrer die Geduld mit der Ampel verliert. Er steht ganz vorne in der Warteschlange, fährt an, auf die Haltelinie zu, als würde dadurch die Ampel auf Grün springen, was sie natürlich nicht tut; hält wieder an, guckt ärgerlich und genervt. Diese Statistik würde den Mann wahrscheinlich auch nicht beruhigen: Fahrer und Fahrerinnen in Deutschland warten vor roten Ampeln zwei Wochen. Insgesamt, versteht sich, im Laufe ihres Lebens. Aber das wird jetzt noch mehr.
„Rotphasen werden länger, das ist eine Tatsache“, sagt André Friedrich vom Tiefbauamt der Stadt Bochum. Und zwar in ganz Deutschland und schon seit ein paar Jahren, an allen neu- oder umzubauenden Ampelkreuzungen und Ampelanlagen. Der Grund sind zwei Änderungen in der Straßenverkehrsordnung und der „Richtlinie Lichtsignalanlagen (RiLSA“) aus den späten 10er-Jahren: Sie kommen den Bedürfnissen von Radfahrern und Fußgängern etwas entgegen zu Lasten des motorisierten Verkehrs. „Wir sind sukzessive dabei, das umzusetzen“, sagt der Verkehrstechniker Friedrich.
Die „Forschungsanstalt für Straßen- und Verkehrswesen“ (FGSV) widerspricht allerdings: „Die pauschale Aussage ist nicht zutreffend ist, dass der motorisierte Individualverkehr nun länger warten muss“. Die Abwägung könne auch anders ausgehen, „zum Beispiel bei der Realisierung von Grünen Wellen“. Die sind allerdings gerade stark aus der Mode gekommen.
„Das bedeutet, das insgesamt weniger Grün zur Verfügung steht“
Die erste Änderung hat den Radverkehr von den Fußgängerampeln weggenommen und den Fahrbahn-Ampeln zugeordnet. Dadurch werden die Sicherheitszeiten länger. Das sind die Sekunden, an denen alle vier Ampeln einer Kreuzung Rot zeigen, damit die, die bei Dunkelgrün einfuhren, noch sicher über die Kreuzung kommen. Da Radfahrer und Radfahrerinnen tendenziell langsamer sind als motorisierter Verkehr, warten die anderen länger. Denn „das bedeutet, dass im gleichen Zeitraum insgesamt weniger Grün zur Verfügung steht“, sagt ein Sprecher der Stadt Düsseldorf.
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Und so kommt es etwa, dass an besagter, sehr großer Kreuzung in Langendreer die Autos 80 bis 100 Sekunden stehen, bis sie wieder fahren dürfen. Ihre Fahrer und Fahrerinnen empfinden das als extrem lang. Freilich muss man dazu sagen: Die noch relativ neue Straßenbahn an dieser Kreuzung hat auch noch Vorrang, wenn sie kommt. Die 80 bis 100 Sekunden wartet man aber auch ohne Straßenbahn. Denn an einer großen Kreuzung müssen die Sicherheitszeiten ja länger sein, weil es länger dauert, sie zu räumen. „An kleinen Kreuzungen werden Sie die Verlängerung manchmal gar nicht merken“, sagt André Friedrich.
Die Städte haben keinen Entscheidungsspielraum
Die zweite Richtlinie ist etwas komplexer. Wenn eine neue Kreuzung geplant wird, gibt es zuvor Verkehrszählungen für Autos, Radfahrer und Fußgänger. Die Programmierung der Ampeln richtet sich nach deren Aufkommen. Je schneller alle wegkommen, desto besser ist die sogenannte „Qualitätsstufe des Verkehrsablaufs“, die man sich analog zu Schulnoten vorstellen kann. Auch hier ist die Richtlinie der FGSV so verändert worden, dass die Wartezeiten für Fußgänger und Radfahrer kürzer ausfallen müssen, damit die Kreuzung mindestens eine 4 bekommt - ausreichend. Auch hier ist die logische Folge, dass der motorisierte Verkehr länger wartet.
Nach und nach betroffen sind allein in Bochum 330 Ampelkreuzungen. Essen hat davon 630, Duisburg 520, Gelsenkirchen 280 und Mülheim um die 200. Insgesamt sind es nach groben Schätzungen ungefähr 5000 im Ruhrgebiet. Sie alle werden bei einer entsprechenden Erneuerung die neuen Ampelphasen bekommen. Die Städte haben keine Entscheidungsgewalt, die Richtlinien gelten bundesweit. „Bei einem Unfall würde man uns fragen, warum wir uns nicht daran gehalten haben.“