Bochum. 167.000 Staus mit einer Gesamtlänge von 255.000 Kilometern gab es 2022 in NRW. Warum es in den kommenden Jahren noch schlimmer wird.

Zu manchen Uhrzeiten sind die Verkehrsdurchsagen länger als die Nachrichten. Überall im Revier kommt es derzeit jeden Tag – vor allem morgens und am späten Nachmittag - zu langen Staus. Tausende Stunden stehen die Menschen im Ruhrgebiet im Stau. Wird das absehbar besser?

Kann man sagen, wie sich der Verkehr in Deutschland entwickelt?

Er wird auf jeden Fall zunehmen. Laut einer Analyse, die das Bundesverkehrsministerium in Auftrag gegeben hat, wird der Personenverkehr bis 2051 „nur“ noch um sieben Prozent steigen, der Güterverkehr auf den Straßen aber um gut 50 Prozent. Was Bundesverkehrsminister Voler Wissing (FDP) zu dem Schluss kommen lässt: „Wir brauchen auch den beschleunigten Ausbau der Straße.“

Würde das tatsächlich etwas bringen?

Kurzfristig natürlich nicht. Schließlich baut sich eine Straße nicht von heute auf morgen. Aber sogar auf lange Sicht ist das angeblich keine Lösung. Schon in den 1960er-Jahren wies der Ökonom Anthony Downs darauf hin, dass mehr Straßen mit der Zeit mehr Verkehr nach sich ziehen – und damit auch mehr Stau. Eine These, die mittlerweile in mehreren Studien bestätigt wurde.

Gerade in den frühen Morgenstunden und am Abend staut sich der Verkehr im Ruhrgebiet.
Gerade in den frühen Morgenstunden und am Abend staut sich der Verkehr im Ruhrgebiet. © AFP | Ina Fassbender

Würde ein Tempolimit von den oft gewünschten 130 Kilometern helfen, Staus zu vermeiden?

Nein, sagt der ADAC. Die Kapazität einer Autobahn sei bei Tempo 80 am höchsten. Deshalb hätte ein generelles Tempolimit von 130 km/h auf allen Autobahnen wohl keinen nennenswerten Effekt auf deren Leistungsfähigkeit oder den Verkehrsfluss. „Optimal ist es, für verschiedene Verkehrsdichten verschiedene Geschwindigkeiten als Tempolimit vorzugeben, um die Staugefahr zu verringern“, ist der Verband Deutscher Ingenieure überzeugt.

Was könnte der Umstieg auf den ÖPNV bewirken?

„Ein attraktiver ÖPNV trägt dazu bei, dass das Straßennetz entlastet wird“, sagt Justin Geistefeldt, Professor für Verkehrswesen an der Ruhr-Universität Bochum. „Das Hauptproblem ist, dass die Qualität, die wir im ÖPNV derzeit haben, nicht ausreicht, um in nennenswertem Maße noch mehr Autofahrerinnen und Autofahrer zum Umsteigen zu bewegen.“ Dabei geht es nicht nur um Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit, sondern auch um das Angebot. Bei dem Versuch, selbst den letzten Winkel in dichtem Takt zu verbinden, stoße der ÖPNV allerdings wirtschaftlich irgendwann an seine Grenzen. Auch der Mangel an Fahrerinnen und Fahrern werde für den ÖPNV zunehmend zum Problem.

Wie wichtig ist der Ticketpreis im ÖPNV?

Zwar hat das Neun-Euro-Ticket in Deutschland eine Menge Menschen von der Straße auf die Schiene gelockt. Doch ein billiger Nahverkehr alleine reicht offenbar auf Dauer nicht. In Tallinn, der Hauptstadt Estlands, ist der öffentliche Nahverkehr seit einem Jahrzehnt für Einwohnerinnen und Einwohner kostenfrei. Auf den Straßen fahren aber nach Berichten der estnischen Nachrichtenplattform „ERR News“ immer noch beinahe so viele Autos wie zuvor.

Also bleibt nur, das Autofahren durch Maut- und hohe Parkgebühren unattraktiv zu machen?

Prof. Justin Geistefeldt vom  Lehrstuhl für Verkehrswesen, Planung und Management.
Prof. Justin Geistefeldt vom Lehrstuhl für Verkehrswesen, Planung und Management. © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

Das würde sicherlich dafür sorgen, dass weniger Autoverkehr in die Innenstädte fließt, sagt Geistefeldt. Wenn am Ende dort aber niemand mehr hinfahren wolle, könne das zu einem Problem vor allem für den Einzelhandel und Dienstleistungsbetriebe werden. „Besser wäre es, den ÖPNV und die Radverkehrsinfrastruktur so zu verbessern, dass man gar nicht auf die Idee kommt, mit dem Auto in die Stadt zu fahren.“

Wann wird die Situation auf den Straßen denn besser?

Erst mal wird sie wohl eher noch schlechter werden, bevor sie besser wird. Baustellen für die Sanierung oder den Ersatzneubau von Brücken seien die großen Herausforderungen in den nächsten zehn bis 15 Jahren, erwartet der Professor. Erst dann werde sich die Lage wahrscheinlich entspannen.

Was kann ich als Autofahrer denn machen, um Staus zu verhindern?

„Keine hektischen Fahrmanöver“, sagt Professor Justin Geistefeldt. Dann löst sich ein Stau oft schneller auf.
„Keine hektischen Fahrmanöver“, sagt Professor Justin Geistefeldt. Dann löst sich ein Stau oft schneller auf. © Duisburg | STEFAN AREND

Ganz verhindern lassen sie sich nicht. „Wenn ein Autobahnabschnitt für 6000 Fahrzeuge pro Stunde ausgelegt ist, aber dort plötzlich 7000 Fahrzeuge pro Stunde durch wollen, passt das nicht mehr – und der Verkehr staut sich“, sagt Geistefeldt. Jeder Einzelne könne aber dazu beitragen, dass der Stau möglichst spät entsteht. „Möglichst alle hektischen Fahrmanöver unterlassen, damit der Verkehr im Fluss bleibt“, rät der Experte.

Ähnliches gilt auch, wenn man bereits in einem Stau steht. Sehr große Abstände oder abruptes Bremsen sorgen nur dafür, dass sich die Schlangen langsamer auflösen. Häufige Fahrstreifenwechsel tun das auch. Außerdem bringen sie nichts. „Am Ende“, sagt Geistefeldt, „kommt man im Stau meist auf allen Fahrstreifen ähnlich schnell voran.“

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