Essen. Klaus-Peter Hufer gibt Kurse, wie man im Gespräch mit Extremisten nicht verzweifelt. Wir haben ihn gefragt, mit wem man reden muss – und mit wem nicht.
Hunderttausende Menschen protestierten in den letzten Tagen in vielen Städten gegen Rechtsextremismus. Die Spannungen entladen sich derzeit auf der Straße, doch oft geht der ideologische Riss quer durch Familien oder Freundeskreise. Mit Populisten diskutieren – geht das überhaupt? Kann man sie überzeugen? Christopher Onkelbach fragte Prof. Klaus-Peter Hufer von der Uni Duisburg-Essen. Der Bildungswissenschaftler und Extremismus-Experte hat Hunderte Kurse als Argumentationstrainer geleitet und kennt die richtigen Strategien.
Viele Menschen erleben gerade, dass sich das gesellschaftliche Klima aufheizt und politische Debatten unversöhnlicher werden. Stimmt dieser Eindruck?
Klaus-Peter Hufer: Extreme Einstellungen sind inzwischen in der Mitte der Gesellschaft verbreitet, das haben zahlreiche Studien gezeigt. Jeder kann es sein! Freunde, Familienmitglieder, Kolleginnen oder Kollegen, die plötzlich mit populistischen Sprüchen oder Parolen kommen. Man fühlt sich dann oft überrumpelt und machtlos. Ich bekomme derzeit viele Anfragen für unsere Argumentationskurse, der Bedarf ist offenbar groß.
Gibt es bestimmte Merkmale, an denen man populistische Argumente erkennt?
Es gibt Signalwörter. Zum Beispiel: Das wird man doch mal sagen dürfen… Damit wird der Anschein erweckt, man gehöre zu einer unterdrückten Minderheit. Oder: Ich habe ja nichts gegen XY, aber… Und dann geht es los. Die Palette solcher Sprüche ist groß. Das zentrale Thema dabei ist immer die Aufteilung der Welt in Wir und Die. Die, das sind die anderen, gegen die man sich wehren muss, die uns angeblich etwas wegnehmen, uns überfremden und so fort. Je nach Situation sind es die Ausländer, die Muslime, die Politiker, die Lügenpresse, die Asylbewerber, die Juden und so weiter.
Wie kann man darauf reagieren?
In den Seminaren üben wir das in Rollenspielen. Dabei fällt auf, dass die Position der Populisten immer wuchtiger, stärker und dominanter ist und die andere Seite hilflos ist und irgendwann schweigt. Obwohl auch diejenigen, die die Rolle der Populisten übernehmen, gar keine sind. Daran erkennt man, wie verbreitet und leicht abrufbar solches Denken ist. Wir suchen nach Strategien und Argumenten, um sich im Alltag nicht überrumpeln zu lassen und mit Selbstachtung aus solchen Situationen herauszugehen.
Was raten Sie konkret?
Es gibt einige grundlegende Strategien. Erstens: Die Spaltung in Die und Wir auflösen. Wer sind denn die Politiker? Die Ausländer? Wer ist damit konkret gemeint? Auch der syrische Arzt? Der griechische Koch? Zweitens: Man darf sich nicht dazu treiben lassen, von einer Parole zur nächsten zu springen. Von Ausländern, zu Politikern, zu Kopftuch, zu Überfremdung, zu Kriminalität und so fort. Dann ist man immer im Verteidigungsmodus. Man sollte das Spiel umdrehen.
Unser Schwerpunkt zum „Kampf um die Demokratie“
- Zeitzeugin zur AfD (93): „Das war damals in der Nazizeit auch so“
- Anti-AfD-Demos: Wie argumentiert man gegen Populisten?
- Populismus: Wie die AfD unsere Sprache verändert
- Wissenschaftler hat untersucht: So sehen AfD-Wähler die Welt
- Streit um AfD beendet Freundschaft: “Ich saß als heulendes Elend zuhause“
- SPD-Mitglied: „Fast alle um mich herum sind unzufrieden“
- Stammtischparolen im Sportverein: „Der Abend macht keinen Spaß mehr“
- Diskutieren mit AfD-Anhängern: „Ich habe ein halbes Dutzend Kontakte abgebrochen“
- Anti-AfD-Demos: Wir können stolz auf uns sein
Wie meinen Sie das?
Also man sollte nicht permanent auf Behauptungen und Parolen eingehen und sich selbst rechtfertigen, sondern mein Gegenüber fragen und zu Antworten zwingen. Was meinst du mit Sozialtourismus? Wie würdest du das Problem der Zuwanderung lösen? Wenn man weiter fragt, kommen oft Antworten heraus, die weder mit den Menschenrechten noch dem Grundgesetz vereinbar sind. Man kann auch mit Ironie arbeiten. Ausländer nehmen uns die Arbeitsplätze weg? In einem Seminar hat darauf mal jemand geantwortet: Ich wusste gar nicht, dass du früher eine Dönerbude hattest.
Die Strategie scheint darauf hinauszulaufen, den Gesprächspartner bloßzustellen, aber vielleicht stehen hinter den populistischen Parolen reale Sorgen – wie schafft man es, den Diskussionspartner trotz unterschiedlicher Haltungen ernst zu nehmen und auch eigene Lernbereitschaft zu signalisieren?
Es ist die Frage, ob er ein Diskussionspartner sein will oder ob er jemand ist, der provozieren möchte. Wenn jemand ernsthaft an einem Austausch von Argumenten und Meinungen interessiert ist, lohnt sich das Gespräch. Das ist die Brücke zur Verständigung und eventuell zur Einsicht. Wenn aber jemand nur proklamieren und provozieren will, dann wird es schwierig.
Wenn man erlebt, wie ein Freund oder Verwandter immer weiter in Populismus oder Verschwörungstheorien abdriftet - wie geht man damit um?
Das ist besonders schwierig, weil hier die emotionale Verbundenheit eine große Rolle spielt. Ich habe von mehreren Teilnehmern meiner Veranstaltungen gehört, dass sie Beziehungen beendet hatten. Sie konnten den Widerspruch zwischen emotionaler Nähe und kognitiver Distanz nicht aushalten. Manche versuchen, das Problem zu lösen, indem sie es umgehen. Etwa dadurch, dass sie Regeln aufstellen, worüber man nicht sprechen will. Ich halte das für eine schlechte Alternative. Aber wir wissen auch, dass es immer wirkungsvoll ist zu zeigen, dass man seinen Gesprächspartner als Person ernst nimmt und respektiert, aber dennoch seine Position ablehnt.
Kann man mit jemandem diskutieren, der eine grundlegend andere Position vertritt?
Wer schweigt, stimmt zu! Daran sollte man immer denken. Und: Ein Gespräch ist nicht vorbei, wenn es beendet ist. Eine Diskussion kann lange nachwirken, auch wenn man am Ende keine Veränderung der Einstellung bemerkt. Aus der Vorurteilsforschung wissen wir: Vorurteile werden erlernt – aber sie können auch wieder verlernt werden. Niemand wird als Nazi geboren.
An welchem Punkt ist eine Debatte ausweglos?
Manche kommen aus ihrem ideologischen Gehäuse nicht mehr heraus. Wenn das eigene Weltbild abgeschottet und geschlossen ist, kann man auch mit Fakten nichts mehr ausrichten. Einen etablierten AfD-Funktionär wird man nicht überzeugen. Aber es gibt viele Menschen, die zweifeln und noch zuhören. Hier lohnt der Einsatz, auch wenn man sie nicht sofort überzeugen kann. Wenn wir diesen Optimismus nicht hätten, dann wäre eine Grundlage der Demokratie verloren.
Viele haben jedoch Angst vor solchen Auseinandersetzungen…
Ja, aber man sollte trotzdem Haltung, Zivilcourage und sozialen Mut beweisen. Zeigen, dass es unverzichtbare demokratische Werte gibt. Jeder kann das tun, in der Familie, am Stammtisch oder im Kollegenkreis. Man hat ja nichts zu verlieren. Ich empfehle immer die drei Regeln für Prediger von Martin Luther: Machs Maul auf! Sprich geradeaus! Hör bald auf!
Wann muss ich eine Diskussion abbrechen?
Wenn jemand zum Beispiel den Holocaust leugnet oder üble antisemitische Parolen äußert, dann hat es keinen Sinn mehr zu reden. Wenn man sich darauf einließe, würde man demjenigen nur eine Bühne für seine menschenverachtenden Sprüche bieten. Und man sollte sich nicht in Gefahr begeben.
In der öffentlichen Debatte wird oft wenig differenziert zwischen Nazis, AfD-Wählern, Populisten und Hetzern – wie vorsichtig sollte man mit diesen Begriffen umgehen?
Mit diesen Begriffen sollte man sehr behutsam umgehen. Die AfD ist definitiv eine rechtsextreme Partei, zumindest in großen Teilen. Aber die 22 Prozent potenzielle Wähler kann man nicht einfach unter diesen Generalverdacht stellen. Es gibt in Deutschland etwa acht Prozent manifest rechtsextrem eingestellte Menschen, dazu 20 bis 25 Prozent, die rechtspopulistischen Meinungen zustimmen. Aber Rechtspopulisten sind keine Nazis, wohl aber ist die Anfälligkeit zur Radikalisierung groß. Daher braucht es politische und zivilgesellschaftliche Maßnahmen, um das zu verhindern. Ich lehne den Nazi-Vergleich ab, weil der den Nationalsozialismus relativiert und die Einsicht in die Ursachen versperrt.
Wie reagiert man auf die Forderung, alle Ausländer und nicht assimilierte Menschen müssten abgeschoben werden, die jüngst bekannt wurde?
Das wäre rassistische Selektion. Darüber kann man nicht diskutieren.
Seit vielen Jahren beobachten Sie Populismus und Rechtsextremismus – wie frustrierend ist die aktuelle Debatte für Sie?
Wir müssen weiter machen, sonst wird es noch schlimmer. Unsere Arbeit ist nicht vergebens, wir können etwas verändern. Deshalb bin ich auch nach vielen Jahren nicht frustriert. 30 Prozent sind vielleicht gegen Demokratie, Freiheit und Vielfalt. Aber 70 Prozent sind es nicht. Das bedeutet Demokratie.
>>>> Zur Person:
Klaus-Peter Hufer, Jahrgang 1949, ist außerplanmäßiger Professor an der Fakultät für Bildungswissenschaften der Universität Duisburg-Essen. Er hat zahlreiche Schriften zur politischen Bildung verfasst. Unter anderem: „Argumentationstraining gegen Stammtischparolen“ (2008) oder: „Argumente am Stammtisch - Erfolgreich gegen Parolen, Palaver und Populismus“ (2014).
Seine Arbeits- und Forschungsschwerpunkte sind Politische Erwachsenenbildung, Politikdidaktik, Politische Bildung gegen Rechtsextremismus sowie Bildungstheorie und Bildungspolitik. Seit Ende der 1990er-Jahre hat er Hunderte Veranstaltungen zum Argumentationstraining für verschiedene Träger geleitet.