Ruhrgebiet. Hier ein neuer Haltepunkt, dort ein Stückchen Gleis: Die Reaktivierung alter Bahnstrecken läuft langsam. Nun hat sich ein neues Problem aufgetan.

Die Verspätung eines Zuges um 13 Monate würde heute auch niemanden mehr überraschen, aber in diesem Fall waren tatsächlich Planung und Ausschreibung Schuld: Am 7. Januar 2024 um 7.10 Uhr soll der erste neue RE41 von Bochum über Recklinghausen nach Haltern abfahren, sein Gegenstück sechs Minuten später. Damit wird nicht nur eine frühere Direktverbindung wiederhergestellt, sondern es wurden dafür in der Nähe des Autobahnkreuzes Herne auch drei Kilometer Gleis reaktiviert. So stark wächst das Gleisnetz in NRW im Jahr 2023: drei Kilometer.

Bahnstrecken wiederzubeleben, ist politisch gewollt, das Klima sagt danke, und Pläne gibt es zuhauf. Nur die Wirklichkeit bockt mal wieder gegen die Idealvorstellung. „Wir haben bald 100 Machbarkeitsstudien mit positivem Tenor, aber dennoch nur ein Schneckentempo bei den Reaktivierungen“, sagt Dirk Flege, Geschäftsführer der „Allianz pro Schiene“. Die Allianz hält 4500 Kilometer Strecke für „reaktivierungswürdig“, die Bahn will sich davon 1300 Kilometer näher anschauen. Flege wünscht sich da etwas mehr Eifer. Siehe die drei Kilometer.

„Ich komme mit der Bahn. Wie komme ich zu Ihnen?“ - „Gar nicht“

Die Bahntrasse der ehemaligen Bergwerks West soll zur Anbindung von Kamp-Lintfort an den Schienenverkehr genutzt werden.
Die Bahntrasse der ehemaligen Bergwerks West soll zur Anbindung von Kamp-Lintfort an den Schienenverkehr genutzt werden. © FUNKE Foto Services | Kai Kitschenberg

Hinzu kommt: Reaktivierung ist teuer. Und jetzt ist da dieses neue Finanzloch. Aber bei 1300 wünschbaren Kilometern in Deutschland sind natürlich auch etliche Kilometer im Ruhrgebiet und im nahen Umkreis darunter. Die letzte größere Reaktivierung war freilich keine Strecke, sondern ein Haltepunkt: Herten wird nach über 40 Jahren seit Ende 2022 überhaupt erst wieder angefahren. Abgesehen davon, dass die Bahn die 60.000 Hertener jetzt wieder bedient, waren sie es auch leid, als Bewohner eines abgelegenen Kaffs vorgeführt zu werden: „Deutschlands größte Stadt ohne Bahnanschluss“ ist jetzt wieder „Herten/Westf.“

Einmal dabei, wird auch wenige Kilometer weiter an einem neuen alten Haltepunkt bereits gebaut: „Herten-Westerholt.“ Und schließlich haben ganz im Westen des Ruhrgebiets zwei Kleinstädte gute Chancen, wieder angeschlossen zu werden: Neukirchen-Vluyn und Kamp-Lintfort, eventuell von 2026 an.

Die Pläne sind weit fortgeschritten, und nach Kamp-Lintfort führen sogar noch alte, mild überwucherte Gleise: Das damalige Bergwerk West hat dort seine Kohlen abgefahren. Bürgermeister Christoph Landscheidt hat die bahnhofslose Zeit immer als „peinlich“ empfunden. Der fiktive Dialog - Auswärtiger: „Ich komme mit der Bahn. Wie komme ich zu Ihnen?“ Landscheidt: „Gar nicht.“ Das ist natürlich stark übertrieben, es gibt ja noch den Schnellbus aus Duisburg. Er braucht nur 49 Minuten.

Die „Walsumbahn“ soll in Oberhausen und Duisburg zurückkehren

Doch weiter: Die „Walsumbahn“ steht zwar in der ehrgeizigen „Zielnetzkonzeption“ des Landesverkehrsministeriums. Doch ihr Beispiel zeigt auch, welche Unwägbarkeiten Projekte bedrohen, die noch nicht so lange konkret vorangetrieben werden. Die Walsumbahn hat von den 1910er-Jahren bis in die 80er Oberhausen und den Norden Duisburgs mit Voerde, Dinslaken und Wesel verbunden - und das soll sie von den frühen 30er-Jahren an wieder tun.

Das Potenzial an Fahrgästen sei hoch, besagt ein Gutachten, mit 12.000 Menschen könne man rechnen. Und der Verkehrsverbund Rhein-Ruhr hat sogar festgehalten, die Strecke sei auch bei weiteren Kostensteigerungen wirtschaftlich. Das Problem: Die Baukosten liegen schon jetzt bei geschätzten 275 Millionen Euro, von denen niemand wirklich weiß, ob und woher sie einmal kommen, welche Fördertopfe es dann noch gibt - das große schwarze Finanzloch, das sich gerade aufgetan hat, wird noch viele ehrgeizige Projekte an sich ziehen und verschlucken. Die „Allianz pro Schiene“ geht zunächst davon aus, dass die Finanzierung solcher Vorhaben zumindest für die nächsten Jahre gesichert ist.

In Hattingen ist eine alte Trasse heute Rad- und Wanderweg

Stillgelegte Strecken wachsen zu, wie diese zwischen Haltern und Venlo, die seit 1974 nicht mehr befahren wird.
Stillgelegte Strecken wachsen zu, wie diese zwischen Haltern und Venlo, die seit 1974 nicht mehr befahren wird. © FUNKE Foto Services | Thorsten Lindekamp

Ihr Geschäftsführer Dirk Flege warnt allerdings vor Hoffnungen auf schnelle Erfolge: Selbst im Idealfall, wenn die Infrastruktur komplett vorhanden sei, müsse man mit zwei Jahren Vorlauf rechnen. Müssten Strecken neu errichtet werden, könnten auch bis zu zehn Jahre nötig sein. Problematisch sei auch, dass manche alte Trasse zu einem Radweg geworden ist oder einer Draisinenstrecke.

Das gilt zum Beispiel für die alte Verbindung zwischen Hattingen und Wuppertal-Oberbarmen. Sie wird als Kandidat für eine Wiederbelebung gehandelt, ist aber im wirklichen Leben heute die Rad- und Wandertrasse nach Sprockhövel. Der Konflikt ist programmiert, aber es ist ja nicht die einzige ins Auge gefasste Trasse im Ennepe-Ruhr-Kreis.

Eine Machbarkeitsstudie erwartet auch für die Verlängerung der Strecke Oberhausen-Essen-Hattingen nach Wetter und Hagen, dass sie wirtschaftlich sei. Diese S-Bahn durch’s Ruhrtal wäre gewiss eine Attraktion, doch die Sache hat einen größeren Haken. Eine beliebte Museumsbahn fährt hier bisher, und genau so ist die 17 Kilometer lange Strecke: eingleisig und nicht elektrifiziert. Elektrifizierung kostet zwei bis drei Millionen Euro. Pro Kilometer,