Essen. Tuning made im Ruhrgebiet. Ein Karosseriebauer erzählt auf der Essen Motor Show, wie er aus einem Opel-Kadett eine echte Rarität machte.
Essen Motor Show Halle 2, Freitag am späten Morgen. Einen Stand weiter stehen Mercedes, in der nächsten Reihe Porsche und ein Stück weiter hoch die Halle parken einige Ferrari. Alle schön, alle schnell, manche selten. Aber die beiden Männer in den 40ern stehen vor zwei Opel Kadett E aus den 1980-Jahren, machen Fotos und schwelgen in Erinnerungen. „Genauso einen“, sagt der eine und zeigt auf das linke Auto, „hatte ich auch mal.“
Nicht nur er, weitere 3.779.286 Menschen auch. So oft wurde das Modell – überwiegend in Bochum – nämlich gebaut. Als die ersten 1984 vom Band laufen, ist Christian Rohling noch gar nicht auf der Welt. Dennoch hat er sich vor Jahren einen Kadett E gekauft. 60 PS, GL-Ausstattung, Top Zustand. So gut, dass er ihn 2022 auf der Techno Classica in Essen präsentieren darf. Dabei lernt er Georg Lenner kennen. „Den fahre ich auch“, sagt der Recklinghäuser. Was so nicht ganz stimmt. Denn der heute 65-Jährige fährt eine von ihm umgebaute GSI-Version – genannt „Lenner Solution“.
Etwas tiefer, ein ganzes Stück breiter
Brandneu hat er ihn 1988 gekauft und in seine Werkstatt gefahren. Um ihn ein wenig tiefer, vor allem aber ein ganzes Stück breiter zu machen. Nicht aber, um ihn schneller zu machen. „Mehr Tempo hat mich nie interessiert.“ „Dafür habe ich die Flex genommen, ihn zersägt und wieder zusammengebaut. Mit Draht, Glasfaser, Styropor, Spachtelmasse. „Was gerade so da war in der Werkstatt.“ Neue Reifen und Felgen gibt es auch. 245/40 VR14 vorne, 345/35 VR15 hinten. Breitere gibt es 1988 nicht. „Ich wollte ja nicht, dass das Auto schon in der ersten scharfen Kurve umfällt.“
Das klingt jetzt alles etwas flapsiger, als es tatsächlich war. Denn Lemmer ist damals schon Karosseriebaumeister. „Ich wusste, was ich tat.“ Trotzdem muss er für seinen Umbau erst einmal eine Zulassung vom TÜV bekommen. 2000 Kilometer scheucht ihn ein Prüfer mit dem Wagen über den Hockenheimring, dann geht in die Nähe von München. „Schlechtwegstrecke fahren“. 500 Kilometer. „Das war hart.“ Aber der Wagen hält durch - auch dank Lenners spezieller Klebetechnik. Fortan darf er seine Version verkaufen. Drei tunt er selbst, für rund 15 andere Modelle liefert er den Kunden den Bausatz zum Umbau. Den Erstling verkauft er an ein Ehepaar aus Eschwege.
Tuning-Szene hat sich stark verändert
Die Nachfrage ist groß, obwohl der „Solution I“ für die Extreme-Tuning-Szene der 80er fast schon dezent daherkommt. „Ich liebe runde Formen“, sagt Lenner und streicht auch heute noch gerne über die Kotflügel des Kadetts. Mehrere Jahre wird der Glasfaser-Virtuose mit seinen Umbauten zu einer festen Größe in der Tuning-Szene. Dann kommt der Film „Manta Manta“ in die Kinos. „Der Film hat alles verändert.“ Nicht nur für Manta-Fahrer. „Über jeden, der sein Auto getunt hat, wurde gelacht“, erinnert sich Lenner, der mit seinem Solution als Statist im Film zu sehen ist. „Da waren wir auf unserer eigenen Beerdigung.“
Ganz erholt hat sich die Szene nie. „Extremtuning gibt es heute kaum noch“, sind sich Rohling und Lenner einigt. Aufpeppt werden Autos – vor allem die aus der Luxusklasse - längst ab Werk, und dann vor allem unter der Motorhaube. Lenner aber ist von seinem Erstling nach wie vor begeistert. Deshalb zögert er auch keine Sekunde, als das Ehepaar ihm den Kadett vor einigen Jahren zum Rückkauf anbietet. Technisch und optisch top in Schuss aber nach wie vor ohne Katalysator und deshalb mit Fahrverbot belegt. Lenner ist das egal. Er stellt ihn in einer Garage und wartet ab, bis der Wagen 30 Jahre und damit ein Oldtimer ist. Die dürfen auch ohne Kat fahren.
Original trifft Extreme Tuning
Genau das aber macht der Tuner im Ruhestand eher selten. Nur bei schönem Wetter und nicht mehr als 1000 Kilometer im Jahr.“ Auch Rohling fährt nicht viel, er hat ja noch ein paar andere alte Opel in der Garage stehen. So ein Kadett E aber sei schon etwas Besonderes. Deshalb hat er auch Lenner mit ins Boot geholt, als er die Einladung zur diesjährigen Motorshow bekommen hat. „Original trifft Extreme Tuning“ lautet die Devise des gemeinsamen Standes. „Das Interesse der Besucher an beiden Autos ist groß“, hat Rohling schon am ersten Tag festgestellt.
Gerne beantwortet das Duo alle Fragen der Messegäste. Nur bei einer muss selbst passen. Wie viel sein Auto wert ist, kann er nicht sagen. „Es gibt ja wahrscheinlich nur noch fünf bis zehn Solution. Was es aber nicht gibt, ist ein Markt für dieses Modell. Nachfrage groß, Angebot nicht klein, sondern gar nicht vorhanden Lenner lacht. „Wer diesen Wagen besitzt, der verkauft ihn nicht.“ Er selbst will das auch nicht machen. Vielleicht kommt irgendwann mal einer ins Museum, so selten wie er ist.“ Eines aber weiß er genau. „In der Schrottpresse landet so ein Auto auf keinem Fall mehr.“
Info für Besucher
Die Essen Motor Show umfasst 2023 neun Hallen und geht bis einschließlich 10. Dezember. Samstag und Sonntag öffnet das Festival für sportliche Autos von 9 bis 18 Uhr, Montag bis Freitag von 10 bis 18 Uhr.
Tickets gibt es unter www.essen-motorshow.de. Eine reguläre Tageskarte kostet 20 Euro (ermäßigt 16 Euro. Nachmittagstickets sind für 14 bzw. 17 Euro erhältlich.