Duisburg. Die Wissenschaftsjournalistin Mai Thi Nguyen-Kim ist Gastprofessorin in Duisburg. Und erklärt, wie Forscher den Populismus bekämpfen können.
Person oder Thema – womit wollen wir beginnen? Auf dem Duisburger Uni-Campus spricht Mai Thi Nguyen-Kim, die populärste Wissenschaftserklärerin seit Peter Lustig, und ihr Thema ist eben diese Eingangsfrage: Wie kann man ein Thema vor dem Populismus retten. Vor der unzulässigen Zuspitzung. Auch vor dem Hype um Personen. Das hört sich abstrakt an. Nguyen-Kim kann das menschlicher fassen, dafür ist sie bekannt: „Wenn wir den Teufel an die Wand malen, dann wird es immer schwieriger, zwischen wahren und falschen Informationen zu unterscheiden. Das bereitet mir viel Kopfzerbrechen, auch wenn ich an meine Kinder denke.“
Ihr nur wenige Monate alter Sohn sitzt im Hörsaal, auf dem Schoß des Papas, als Dr. Mai Thi Nguyen-Kim zum Pult tritt und so zu Prof. Dr. Nguyen-Kim wird. Die Rektorin Barbara Albert verleiht ihr in Duisburg die Mercator-Gastprofessur, die im Wesentlichen aus diesem Vortrag besteht. Es hatte zuletzt Ehrungen und Preise geradezu gehagelt, und tatsächlich ist dies schon die zweite Gastprofessur, die die Chemikerin und Moderatorin bekommen hat (Quarks, Terra X, Planet Wissen, Maithink X). Ihren YouTube-Kanal „maiLab“ hatten zuletzt rund 1,5 Millionen Menschen abonniert, bevor sie ihn im April stilllegte. Den Fans macht sie vage Hoffnung: „Der Kanal ist noch nicht weg.“ Duisburg ist einer ihrer ersten Auftritte nach der Babypause, im ZDF ist sie noch nicht wieder zu sehen, „aber ich bin schon wieder Vollzeit am Planen“.
Mai Thi Nguyen-Kim darf „Physiklaserheinis“ sagen
„Hallo Freunde der Sonne“, das ist der Signatur-Gruß der 36-Jährigen und tatsächlich kehrt damit gleich eine Lockerheit ein, über die die Lehrkräfte im Publikum wahrscheinlich noch länger nachdenken. Sie kann „Physiklaserheinis“ sagen, und im Kontext ist das weder abwertend noch unseriös. Es spricht ein Mensch über Wissenschaft – das ist immer ihr Ansatz und heute das Thema.
„Sind Wissenschaftler auch Menschen? Haben sie ein Leben außerhalb des Labors? Haben Sie Hobbys oder gar Freunde? Keiner weiß die Antwort.“ So beginnt der Trailer zu ihrer ersten YouTube-Sendung „Das geheime Leben der Wissenschaftler“. So hat die Medien-Karriere der Chemikerin Mai Thi Nguyen-Kim begonnen. „Niemand wusste damals, dass in der Wissenschaft auch coole Menschen arbeiten. Das hielt ich für vermittelnswert.“
Seitdem ist unter anderem Corona passiert. Und das Zeitalter der alternativen Fakten hat begonnen, Desinformation ist so billig und wirkungsvoll herzustellen wie noch nie. Damit wird ihr Thema zentral für den gesellschaftlichen Zusammenhalt: Wie vermittelt man wissenschaftliche Erkenntnisse an die Menschen. Wie macht man klar, dass es sich beim Klimawandel nicht um eine Meinung handelt? Wie erreicht man die, die abgetrieben sind im Informationsstrom?
Ihre Thesen:
- „Zahlen und Daten sagen wenig aus, wenn man nicht weiß, wie sie entstanden sind. Nur mit einem soliden Verständnis über wissenschaftliche Methoden kann man wissenschaftliche Ergebnisse auch einordnen.“
- Es gibt keine Anreize für Wissenschaftler, ihre Arbeit zu kommunizieren. „Alles was zählt, sind Publikationen und Drittmittel. Kommunikation aber bringt nur Nachteile. Man verliert Zeit, wird vielleicht Opfer von Hass. Oder zieht sich den Neid der Kollegen zu.“ Wer kommuniziert, ist Idealist oder hat ein Buch geschrieben oder genießt es im Spotlight zu stehen, sagt Nguyen-Kim. Aber das genügt nicht. Und nicht jeder will gleich ein Social-Media-Star werden. „Die Hochschulen, die Gesellschaft „müssen niederschwellige Möglichkeiten schaffen, wo man sich ausprobieren kann“. Und die Wissenschaftler müssen ihrem Publikum als Menschen begegnen, nicht nur in ihrer Rolle.
- Sie verbreitet Optimismus. Und ihr Argument ist eine Zwiebel. „Die Zwiebel der Wissenschaftskommunikation: Im Innersten finden wir die originale Veröffentlichung. Ganz außen haben wir Instagram.“ An der Oberfläche ist es, nun ja, oberflächlich. „Aber dafür erreichen wir die Menschen. Nur wenn man die Menschen auf der äußeren Schicht abholt, schafft man es, einige hineinzuziehen.“
- Allgemeinbildung ist das übergeordnetes Ziel der Wissenschaftskommunikation. „Wenn man erst in der Pandemie Viren und Methoden erklären muss, ist es eigentlich zu spät.“
- „An erster Stelle muss der Inhalt stehen, der ist relevant“, sagt sie im Vorgespräch. „Es darf nie an erster Stelle stehen: Was wollen die Leute sehen.“ Und wie entscheidet sie sich dann für ein Thema? „Es ist oft das, was ich persönlich spannend finde.
- „Ich glaube, dass die Menschen im postfaktischen Zeitalter geradezu faktenbesessen sind.“ Die Verschwörungsideologen bestätigen diese These, sagt Nguyen-Kim im Vorgespräch. Deren Videos seien oft sehr detailverliebt und lang. Verdreht und falsch, aber die Rezipienten fühlten sich von der vermeintlichen Tiefgründigkeit ernst genommen. Zu Beginn ihrer Laufbahn hat sie selbst Wissenschaft in leichtfüßigen Drei-Minuten-Videos erklärt. Als sie ab 2018 entgegen allen YouTube-Faustregeln längere und komplexere Erklärvideos produzierte, kam der Erfolg. „Schreckt nicht zurück vor Wissenschaftskommunikation, weil ihr glaubt, ihr müsstet oberflächlich sein“, ruft sie den Akademikern zu. „Traut den Menschen mehr zu.“
Hasskommentare auf dem Handy
Auch über das Ringen mit Verschwörungstheoretikern redet Nguyen-Kim im Vorgespräch und auf der Bühne. In der Pandemie stand sie in der ersten Reihe der Erklärer, die Hasskommentare hat sie sich nicht selbst angeschaut. „Hass und Hype schadet beides der Wissenschaft.“ Und ihr persönlich. „Man lässt sich leicht reinziehen“ in die Welt aus Likes und Kommentaren. „Wenn man von halb Deutschland getaggt wird, triggert das uralte Dopaminmechanismen. Aber ich habe eine gute Impulskontrolle.“ Das Handy legt sie regelmäßig weg und vergisst es.
„Man wird nicht als Verschwörungsideologe geboren. Es gibt Menschen, die werde ich nie mehr überzeugen. Aber auf die sollte ich mich nicht konzentrieren.“ Nguyen-Kim bekommt immer wieder Feedback, dass Die Gesellschaft muss in Medienkompetenz investieren. Und vielleicht muss sie Spielregeln aufstellen, um Faktenfälschung zu sanktionieren, so wie sie es mit Geldfälschung tut.
„Ich dachte naiverweise, mehr Wissenschaft würde automatisch die Debattenqualität erhöhen.“ Aber zu viel Aufmerksamkeit schade der sachlichen Vermittlung, glaubt Mai Thi Nguyen-Kim. „Plötzlich hatten wir den Nationaltrainer-Effekt: 80 Millionen Virologen.“ Dann sitzen Wissenschaftler in Talkshows und drücken sich eben wissenschaftlich aus. Und im Publikum entsteht ein falscher Eindruck, als würden Meinungen diskutiert, wo es um Evidenzen geht. „97 % der Klimaforscher sind sich einig“? Aber „wissenschaftlicher Konsens ist keine Abstimmung, keine Umfrage. Es geht nicht um die Anzahl der Studien, sondern um ihr Gewicht.“ Und darum, ob die Puzzleteile zusammenpassen.