Ruhrgebiet. Ändert sich das Gleis des einfahrenden Zuges, wird das oft spät angesagt. Leute müssen rennen. Wie sie den Zug kriegen – und was die Bahn sagt.

Das Problem am schwarzen Wochenende des Zugverkehrs in Essen ist, dass die große Anzeigetafel im Hauptbahnhof funktioniert. Sie zeigt an jenem Samstag und Sonntag letzter Woche genau diejenigen Züge für Gleis 1 und Gleis 2 an, die nach Fahrplan gleich eintreffen. Doch herrscht dort in Wirklichkeit „eingeschränkte Gleisverfügbarkeit“ (Bahn-Deutsch): Wegen einer Baustelle, die länger dauert als geplant, fährt dort gar nichts. Niemand hat es der Anzeigetafel gesagt, niemand sie umprogrammiert. Zwei Tage nicht. Die Folge: Viele Menschen warten am toten Bahnsteig auf ihren Zug - und verpassen ihn, weil er an einem anderen Bahnsteig einfährt.

Ärgernis Gleiswechsel. Der prinzipiell erst ganz kurz vorher angesagt wird - wenn überhaupt. Der Fall aus Essen ist extrem, aber keine Seltenheit. Lothar Ebbers, NRW-Sprecher von „pro Bahn“, hat es auf seinem Heimatbahnhof Oberhausen-Sterkrade kürzlich ganz ähnlich erlebt: „Der Zug wurde eine Woche lang falsch angesagt. Erst wenn er in Sichtweite war, kam die Meldung, dass er woanders einfährt. Ich habe Leute über die Gleise laufen sehen.“ Das Problem sei größer geworden, meint Ebbers: „Wir haben solche Fälle im Übermaß.“

„Sogar das Bistro-Personal ist nicht mitgekommen“

Oft fehlen die personellen Kapazitäten, um Anzeigetafeln mit Änderungen zu füttern.
Oft fehlen die personellen Kapazitäten, um Anzeigetafeln mit Änderungen zu füttern. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Und so finden sich im Internet aus der jüngeren Vergangenheit viele Einträge wie dieser. Ihre Richtigkeit können wir nicht garantieren, aber sie sind einfach zu hübsch. „Letzte Woche hat sich bei meinem Zug das Gleis in zwei Minuten gleich zweimal geändert. Erst von 5 auf 6 und dann von 6 auf 11. So schnell kam der Navigator (die Bahn-App, die eigentlich Gleiswechsel anzeigt) nicht hinterher.“

Oder: „Heimtückisch finde ich allerdings, wenn eine Gleisänderung durchgesagt wird, aber tatsächlich nicht erfolgt. Man wird von Gleis X zu Gleis Y geschickt und sieht von dort, dass der gewünschte Zug pünktlich von Gleis X abfährt.“ Und als letztes: „Der ICE 943 war in Duisburg gerade auf Gleis 12 angekündigt, fuhr dann aber ohne Durchsage und Anzeige pünktlich von Gleis 11 ab.“ 11 und 12 liegen in Duisburg tatsächlich nicht an dem gleichen Bahnsteig. „Der Hammer: Sogar das Bistro-Personal ist nicht mitgekommen.“

Mehr Baustellen führen zu mehr Gleisänderungen

Zahlen zu Gleisänderungen, die schlecht, spät oder gar nicht kommuniziert wurden, die gibt es nicht. Wohl aber Erklärungen. Stark vereinfacht kann man sagen: Mehr Baustellen im Netz der Bahn führen zu mehr Gleiswechseln, und die Zahl der Baustellen sei in NRW gerade „besonders hoch, weil viele Jahrzehnte zu wenig investiert wurde“, so Bahnsprecher Dirk Pohlmann. Gerade Baustellen im Bahnhof oder in seiner Nähe führen zu solchen Wechseln, wie etwa beim laufenden Großumbau des Hauptbahnhofs Duisburg: „Da springen Züge hin und her“, sagt Lothar Ebbers von pro Bahn.

Schwierig wird es auch bei Zwischenfällen. Bei einer Weichenstörung etwa, oder wenn das vorgesehene Gleis noch unplanmäßig besetzt von einem Zug mit „Verspätung aus vorheriger Fahrt“ (Bahn-Deutsch). „Was im Minutenbereich liegt, ist schwierig noch in Apps einzugeben“, sagt Pohlmann. Und automatisch wird die Gleisänderung erst dann eingespeist in die Anzeigen, wenn der Zug über eine bestimmte Weiche fährt - die oft nur kurz vor dem Bahnsteig liegt.

„Durchsagen durch Menschen wären manchmal näher am Geschehen“

Lothar Ebbers auf dem Bahnsteig in Oberhausen-Sterkrade. Der Sprecher von „pro Bahn“ hat hier eine Woche lang falsche Ansagen gehört.
Lothar Ebbers auf dem Bahnsteig in Oberhausen-Sterkrade. Der Sprecher von „pro Bahn“ hat hier eine Woche lang falsche Ansagen gehört. © Funke Foto Services GmbH | Lars Fröhlich

Ein Teil des Problemes ist damit also hausgemacht: Die Umstellung auf automatisierte Ansagen führt kurioserweise zu sehr kurzfristigen Ansagen. „Wenn Durchsagen durch Menschen erfolgen können, wären sie manchmal näher am Geschehen“, sagt Bahnsprecher Pohlmann. Aber wie kann es sein, dass falsche Ansagen wie in Essen oder Oberhausen über mehrere Tage unverändert falsch bleiben? „Wir haben die Kapazität nicht mehr“, sagt Pohlmann. Sprich: zu wenig Personal. Niemand kann sich kümmern.

In Essen hat sich die Bahn am jenem schwarzen Wochenende beholfen mit beschrifteten und ausgehängten DIN-A4-Blättern am Aufgang. „Gleise 1 und 2 sind aktuell für den Zugverkehr gesperrt“ hing dort für Leute, die Sekunden zuvor auf der Anzeigetafel gesehen hatten, dass ihr Zug auf Gleis 1 oder 2 gleich kommt. Viele haben die Zettel erst gar nicht wahrgenommen an diesem Wuselsamstag mit Deutschlandticket-Kunden und reisenden Fußballfans. Man rechnet ja auch nicht mit aktuellen Informationen in Aushängen - im Jahr 2023.

Der Tipp: Wer nah bei den Treppen steht, ist eher am neuen Gleis

Lothar Ebbers von pro Bahn ist natürlich ein äußerst routinierter Zugreisender. Er weiß: „Wer nicht am Abgang steht, hat häufig keine Chance.“ Also wäre der Tipp tatsächlich: Bahnfahrer sollten möglichst nah bei den Treppen bleiben, um bei einer Gleisänderung schnell dorthin zu kommen. Oder bei den Aufzügen. Naja, Aufzüge in Bahnhöfen - Thema für sich.

Doch jetzt der versöhnliche Schluss. Behinderte haben es bei Gleiswechsel noch viel schwerer, den Zug zu erreichen. „Plötzlich wird ein Gleiswechsel angesagt“, so eine Rollstuhlfahrerin aus Kamen: „Dann noch schnell hinunter in die Unterführung und hinauf auf das neue Gleis? Das schaffe ich so schnell nicht.“ Relativ oft aber erlebt sie dann, dass Menschen ihr helfen und sie im Rollstuhl hinauftragen. „Die Menschen“, sagt sie, „sind besser als ihr Ruf“.