Essen. HP-Viren können Krebs verursachen, Impfen im Kindesalter schützt. Neue Zahlen zeigen große Impflücken. Ärzte kennen einen Grund.
- In Deutschland gibt es große Lücken beim Schutz vor Gebärmutterhalskrebs: 40 Prozent der Mädchen sind laut aktuellem Barmer-Report trotz entsprechender Impfempfehlung mit 14 Jahren nicht oder unzureichend gegen humane Papillomviren (HPV) geimpft, die sexuell übertragbar sind und Krebs auslösen können.
- Die Ständige Impfkommission empfiehlt die Impfung für Mädchen zwischen neun und 14 Jahren. Auch Jungen wird sie geraten, um sie vor HPV-bedingten Tumorerkrankungen und zusätzlich indirekt die Mädchen zu schützen.
- Die Krankenkasse fordert ein besseres Erinnerungssystem für Versicherte, um Impflücken zu schließen.
In Deutschland sind immer weniger Kinder und Jugendliche gegen sexuell übertragbare HP-Viren geimpft. Humane Papillomviren (HPV) können bei Mädchen wie Jungen bestimmte Krebserkrankungen verursachen - eine Impfung im Kindes- und Jugendalter gehört zur Krebsvorsorge.
Trotzdem ist die Zahl der Impfungen in Deutschland nach neuesten Angaben der Barmer-Krankenkasse stark gesunken: Demnach ging die HPV-Impfrate zwischen 2021 und 2022 um 23,5 Prozent zurück, im Vergleich zum Rekordjahr 2015 waren es sogar 37 Prozent weniger.
40 Prozent der Mädchen seien mit 14 Jahren nicht gegen den häufigsten Auslöser von Gebärmutterhalskrebs geimpft, das seien pro Jahr 150.000 Mädchen, hieß es. Bei den Jungen ist nur jeder Vierte der 13-Jährigen geimpft, obwohl auch sie von der Impfung profitieren und vor HPV-bedingten Tumorerkrankungen geschützt sind.
Barmer-Chef: Krebserkrankungen sind vermeidbar
Barmer-Chef Christoph Straub mahnte, eine HPV-Impfung könne Todesfälle vermeiden. „Das humane Papillomavirus ist für die Hälfte aller virusbedingten bösartigen Tumore und für fast 100 Prozent der Fälle von Gebärmutterhalskrebs verantwortlich“, erklärte auf. Diese könnten verhindert werden.
Er forderte ein besseres Erinnerungssystem für Versicherte mit Impflücken und eine Überprüfung des Impfstatus bei der Untersuchung U10 erfolgen.
DAK-Analyse: In NRW gehen Impfungen nochmals deutlicher zurück
Die Zahlen bestätigen eine Sonderanalyse der DAK-Gesundheit, die die Krankenkasse unlängst für NRW und das Jahr 2022 herausgebracht hatte. Demnach wurden 2022 sogar 29 Prozent weniger Kinder und Jugendliche im Land gegen HP-Viren geimpft als 2021. Gemeldet wurden 122.600 Impfungen und damit 44.200 weniger als 2021. In Nordrhein-Westfalen ist die Anzahl der Impfungen laut DAK deutlicher zurückgegangen als im Bundesdurchschnitt (25 Prozent).
Besonders gravierend war der Einbruch bei Jungen: 52.300 Erstimpfungen gab es bei den Neun- bis 17-Jährigen und damit 28.800 weniger als im Vorjahr. Bei den 15- bis 17-Jährigen sieht es nochmals schlechter aus: In dieser Altersgruppe ist die Anzahl der Erstimpfungen um die Hälfte gesunken.
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Die sexuell übertragbaren HP-Viren können auch Krebs im Mund-Rachen-Raum oder im Analbereich verursachen. Eine Impfung schützt beide Geschlechter vor den potenziell krebsauslösenden Viren, betonen Fachleute.
Kinderarzt aus NRW: HPV-Impfung oft als Mädchensache abgetan
Der Kinder- und Jugendarzt Axel Gerschlauer beobachtet in seiner Praxis, dass Eltern und Jungen die HPV-Impfung häufig als „Mädchensache“ abtun. „Erst gestern hatte ich wieder eine Mutter, die meinte, die HPV-Impfung sei für ihren Sohn nicht nötig.“ Dabei schütze die Impfung auch spätere Sexualpartnerinnen vor Gebärmutterhalskrebs: „Die Jungs haben die Viren und die Mädchen bekommen den Krebs.“
Auch Kondome schützten nur unzureichend vor den sexuell übertragbaren Viren - die Impfung indes schon: „Die HPV-Impfung ist eine Erfolgsgeschichte“, sagt der Bonner Kinderarzt und Sprecher des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte in Nordrhein. Die Anzahl der erkannten Krebsvorstufen sei um 70 Prozent zurückgegangen. „Das ist die einzige Impfung gegen Krebs und sie ist sicher“, so der Fachmann.
Zudem könnten HP-Viren nicht nur Krebs verursachen, sondern auch Genitalwarzen. „Ich rate den unentschlossenen Jungs dann auch mal dazu, in der Google-Bildersuche nach HP-Viren und Genitalwarzen zu gucken. Das überzeugt die meisten“, sagt der Kinderarzt.
Empfehlung zur HPV-Impfung seit 2007 für Mädchen und seit 2018 für Jungen
Die Ständige Impfkommission empfiehlt die zweifache HPV-Impfung für Mädchen ab neun Jahren seit 2007 und seit 2018 auch für Jungen in dem Alter – idealerweise vor den ersten Intimkontakten. Nur dann, betont Gerschlauer, entfalte sie ihre volle Wirksamkeit. Die Kosten für die Impfung werden in der Regel von den meisten Krankenkassen übernommen.
Warum die Impfquoten so deutlich zurückgegangen sind und NRW besonders schlecht dasteht, darüber können Fachleute bislang nur spekulieren. Thomas Fischbach, Präsident des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzt*innen e. V. (BVKJ) vermutet als einen Grund die hohe Aufmerksamkeit für die Corona-Schutzimpfung in der Pandemie, hinter der anderes zurückgetreten ist.
„Auch kann ich eine leicht erhöhte Impfskepsis beobachten, ausgelöst durch die vielen Diskussionen um vermeintliche Folgeschäden der Corona-Schutzimpfung. Das hat ganz bestimmt auch Auswirkungen auf die HPV-Impfung“, vermutet Fischbach.
FDP-Fraktion im NRW-Landtag wirbt für freiwillige HPV-Impfungen an Schulen
Bundesweit waren 2020 laut Robert-Koch-Institut 51 Prozent der 15-jährigen Mädchen und 17 Prozent der gleichaltrigen Jungen vollständig gegen die HP-Viren geimpft. Aktuellere Angaben liegen nicht vor. Für NRW ist die Datenlage lückenhaft. Im Kassen-Bezirk Nordrhein liegt die Impfquote bei Mädchen mit 53,8 Prozent und bei Jungen mit knapp 20 Prozent über dem Durchschnitt. Aus Westfalen-Lippe fehlen aber die Angaben.
Auch im NRW-Landtag wird die Impfmüdigkeit diskutiert: Die FDP-Fraktion schlägt vor, an Schulen freiwillige HPV-Impfungen anzubieten. „Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen, dass sich viele Eltern bewusst für die Impfung ihrer Kinder entscheiden, wenn sie sich umfassend informieren“, sagt Susanne Schneider, Sprecherin für Gesundheit der FDP-Landtagsfraktion NRW.
Laut Robert Koch-Institut erkranken in Deutschland jedes Jahr rund 6.250 Frauen und 1.600 Männer an HPV-bedingtem Krebs, darunter Gebärmutterhalskrebs. Er gehört zu den häufigsten Krebserkrankung bei Frauen weltweit. Die Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein verweist auf eine schwedische Studie, nach der das Risiko für Gebärmutterhalskrebs bei Frauen, die bei der HPV-Impfung jünger als 17 Jahre alt waren, um 88 Prozent niedriger lag als bei Frauen, die keine Impfung erhalten haben. (mit kna)