Düsseldorf/Duisburg. Im IS-Terrorprozess um die Bluttaten von Duisburg hat der Angeklagte Maan D. alles gestanden. Warum er auch Polizisten ermorden wollte.
Ein halbes Jahr hat Maan D. eisern geschwiegen. Am zweiten Prozesstag hört der Angeklagte gar nicht mehr auf zu reden. Und gibt alles zu: dass er am Ostersonntag den 35-jährigen Duisburger Irfan bestialisch ermordet hat, dass er wenige Tage später mehrere Männer im Fitnessstudio „John Reed“ lebensgefährlich verletzte. Alles, wie er sagt, im Auftrag des IS und im Namen seines Glaubens an Allah: „Ich wollte so viele wie möglich töten. Ich wollte sie eigentlich alle töten.“
[Ein Fingerzeig als IS-Bekenntnis: Hier geht es zum ausführlichen Bericht aus dem Gerichtssaal]
Es ist der Moment, da Irfans Vater auf der Anklagebank sich nicht mehr halten kann. Die Hände fliegen, der Blick geht hilfesuchend zum Publikum, dann zur Decke des Hochsicherheitssaals im Oberlandesgericht Düsseldorf. Ali D. muss von seiner Rechtsanwältin beruhigt werden. Es ist derselbe Moment, in dem Yasin aus Oberhausen sich humpelnd zur Tür schleppt. Der 21-Jährige hat die Messerstiche im Fitnessstudio nur knapp überlebt. Zum Prozessauftakt war er mal wieder im Krankenhaus, Lungenentzündung, seine tiefen Bauchwunden sind noch längst nicht verheilt. Heute ist er gekommen, er wollte, sagt seine Mutter, „dem Täter in die Augen sehen, der ihm das angetan hat“. Tapfer hat er ausgehalten, über eine Stunde lang, nun fällt die Tür krachend hinter ihm ins Schloss.
Messerattacken von Duisburg: „Ich wollte sie eigentlich alle töten“
Yasin hört nicht die nächste Hassrede des Angeklagten auf alle „Ungläubigen“, nicht seine finsteren Drohungen: „Dieses Leben wird irgendwann zu Ende gehen, aber die Strafe Gottes wird im Jenseits noch härter sein.“ Aber er verpasst eigentlich nichts. So oft hat der 27-jährige Syrer an diesem Morgen schon finster gegrollt, ohne dabei eine Miene zu verziehen. In seiner Weltsicht ist nicht er der Verbrecher, sondern „Sie alle“: das Gericht, das Publikum im Saal, alle Deutschen, alle Menschen auf der Welt, die „an menschengemachte Gesetze glauben und nicht an das Gesetz Gottes“. Was er getan habe, sei kein Verbrechen, sondern „die Rache für alle Verbrechen, die Sie begangen haben“.
Kurz wird der bärtige, etwas strubbelige Mann hinter dem Sicherheitsglas konkret – und seine bisher leise murmelnde Stimme laut. „Sie haben Muslime in Afghanistan getötet, im Irak, nun in Palästina. Sie haben Millionen unschuldiger Menschen getötet. Sie haben Städte dem Erdboden gleichgemacht und alles zerstört.“ Der Übersetzer wiederholt mit stoischer Ruhe auch das: Der IS fordere, seine Feinde zu töten. „Ich danke meinem Gott, dass er mir die Ehre gegeben hat, meinen Beitrag zu leisten.“ Der Angeklagte ist ganz offen der Meinung, er habe eine Aufgabe erfüllt.
Zu schwach, um weiter zuzustechen: Maan D. fastet zum Tatzeitpunkt
Oder auch nicht. Denn was er gesteht am Donnerstagmorgen – nach umständlicher, minutenlanger Einleitung, in der er sich auf Allah, den Propheten und die Kalifen beruft – ist nicht, was er eigentlich vorhatte. Maan D. betont das so oft, dass Zuhörer sich gruselnd abwenden: wie er sich vornahm, „jeden zu töten“, den er traf, erst auf der Straße, dann im Fitnessstudio. Wie er nach jeder Tat schnell neue Pläne schmiedete, „so viele wie möglich, das waren meine Gedanken“. Wie er noch in ein anderes Studio wollte, und auch alle Polizisten töten, die kommen würden, um ihn zu überwältigen. „Töten, töten, töten.“
Die geballte Mordlust des Maan D. traf an jenem 9. April dieses Jahres zunächst den 35-jährigen Irfan, der mit Freunden in der Duisburger Innenstadt feierte. Der sei betrunken gewesen und habe sich von der Gruppe entfernt, sagt der Angeklagte, er selbst habe „in letzter Zeit immer ein Messer in der Tasche“ gehabt. Damit habe er mehrfach zugestochen. Wie, will der Richter wissen, man weiß aus der Anklageschrift von 28 Stichen: „Ich wollte ihn einfach töten. Das ist alles.“
Lesen Sie auch: Prozess gegen Maan D.: Eltern des toten Irfan leiden Qualen
Seine Opfer hatte er „zuvor nie gesehen“, aber viele sollten es sein – ein Wunder, dass die vier angegriffenen Männer bei „John Reed“ überlebten. Dass Maan D. seine Pläne nicht umsetzte, dass keine weiteren Menschen starben, liegt für ihn aber vor allem am Ramadan. Schwach sei er gewesen, müde, er habe gefastet. Also sei er zweimal lieber nach Hause gegangen als weiter zu morden. In die Wohnung schließlich schickte das SEK zuerst einen Hund, der den Verdächtigen biss. „Sie haben es nicht gewagt“, sagt der Angeklagte verächtlich. Im Zuschauerraum murmelt ein Ermittler erleichtert: „Alles richtig gemacht.“
Facebook-Post: „Der IS wird bleiben. Er ist nicht – wie von Lügnern erzählt – niedergekämpft“
Das findet auch der Mann auf der Anklagebank. Am Morgen des zweiten Prozesstags will er zwar erst gar nichts sagen, „bei Allah, dem Barmherzigen“, er will auch keinen Anwalt. Aber er verlangt ein größeres Publikum und Fernsehkameras, „eine Sitzung, an der das gesamte Volk teilnimmt und sieht: Ihr Gesetz ist ein verbrecherisches Gesetz“. Der Vorsitzende Richter verweist auf die Journalisten im Saal und zeigt einen Facebook-Post, den D. noch am Todestag Irfans online stellte: ein Foto von New York, im Vordergrund bewaffnete Kämpfer. Darunter steht auf Arabisch: „Der IS wird bleiben. Er ist nicht – wie von Lügnern erzählt – niedergekämpft.“ Die IS-Soldaten – wie er selbst einer sein will – erweiterten die Fronten Tag für Tag, „bis die ganze Erde zu einem einzigen Feld des Dschihad wird“.
Auch interessant
Maan D. im Terrorprozess: „In letzter Zeit immer ein Messer in der Tasche“
So radikal scheint Maan D. nicht immer gewesen zu sein. Daheim in Syrien jedenfalls habe er zwar gebetet, aber „nicht die wahre Religion erlernt, nicht viel gewusst über „Tyrannei und Ungläubige“: „Ich wusste nicht, dass das von Menschen gemachte Gesetz nicht Gottes Gesetz ist.“ Das liest er erst im Internet. Da ist der älteste Sohn aus einer sechsköpfigen Familie 2015 nach Deutschland geflohen, um dem Militärdienst zu entgehen. In Duisburg besucht der Abiturient unregelmäßig einen Sprachkurs, hat nur kurzzeitige Jobs als Lagerhelfer, weil er das anstrengend findet und uninteressant. Zwar habe er Freunde gehabt, die hätten sich von seinen offenbar immer extremer werdenden Ideen aber „nicht überzeugen“ lassen. Die Kumpel hätten sich „nur für Arbeiten, Schlafen, Essen und Trinken“ interessiert.
„Ich war allein“, und so will er auch gehandelt haben. Für den IS, aber ohne dessen Unterstützung. Weil der 27-Jährige nun schon ein halbes Jahr in Untersuchungshaft sitzt, kann er nicht, wie erhofft, „weitere Taten begehen, damit ich irgendwann als Märtyrer ende“. Wie er sich sein weiteres Leben vorstellt? „Ich werde den Dschihad so lange weiterführen, bis Sie aufhören, Muslime zu verfolgen. Als Rache für die Millionen Menschen, die Sie getötet haben und weiter töten.“
Artikel über die Messer-Angriffe von Maan D. in Duisburg:
- Messerattacke im John Reed: Yasins harter Kampf ums Leben (21.10.)
- Vor dem Terror-Prozess: Wer ist der Messerstecher Maan D.) (17.10.)
- Terrorprozess gegen Maan D. – jetzt geht es ganz schnell (10.10.)
- Mordanklage der Bundesanwaltschaft: Maan D. wollte in Duisburg „Ungläubige töten“ (14.9.)
- Messerattacke im John Reed: So geht es Yasin (21) heute (1.9.)
- Messerangriff im John Reed: So geht es dem 21-Jährigen heute (2.6.)
- John Reed öffnet nach Messerangriff – und zieht Konsequenzen (8.5.)
- Nach Messerangriff: So geht es in Duisburgs John Reed weiter (4.5.)
- Angriff im Fitnessstudio: So geht es dem Duisburger (21) (2.5.)
Berichte bis Ende April:
- Ein Duisburger Syrer: „Wir sind alle Opfer dieser Tat“ (28.4.)
- Schuh verrät den Zusammenhang (27.4.)
- Täterverhalten wirft Fragen auf (27.4.)
- Duisburgs Altstadt: Zu beiden Tatorten nur wenige Schritte (27.4.)
- Droht Syrer die Abschiebung? Rechtslage kompliziert (26.4.)
- Lamya Kaddor: So groß ist die islamistische Gefahr in Duisburg (26.4.)
- Syrischer Verdächtiger: Das sagt eine Wissenschaftlerin (25.4.)
- Brisante Dateien auf Handy des Verdächtigen entdeckt (25.4.)
- Messerangriff: Das war in der Wohnung des Verdächtigen (24.4.)
- Festnahme: Hier lebte der Messerangreifer (23.4.)
- Das berichten die vier Opfer (21.4.)
- Polizeipräsident: Hatten die Situation schnell unter Kontrolle (21.4.)
- Was zur gezielten Attacke im John Reed bislang bekannt ist (20.4.)
- Angriff bei John Reed: Comedian Abdelkarim war im Studio (19.4.)
- Was Zeugen während des Angriffs im Fitnessstudio erlebten (19.4.)
- Bluttat im John Reed: So reagieren Altstadt-Anwohner (19.4.)
- Verkommt Duisburgs Altstadt zur No-Go-Area? (19.4.)
- Newsblog zum Messer-Angriff im Duisburger Fitnesscenter John Reed (18.4.–30.4.)
Artikel, die vor dem Angriff im Fitnesscenter John Reed veröffentlicht wurden: