Essen. „Das hatte ich so nicht erwartet“, sagt der Landeschef der Barmer zu den jüngsten Daten des Zahnreports. Was hinter den Zahlen steckt.
Die Menschen in NRW, insbesondere die Kinder, gehen viel zu selten zum Zahnarzt, jedenfalls nicht zur Vorsorge. Das belegen Daten des aktuellen Barmer-Zahnreports. Nur 68,1 Prozent fanden 2021 überhaupt den Weg in eine Praxis – jeder Dritte also sah ein ganzes Jahr lang keinen Zahnarzt. Die wichtigen Prophylaxe-Untersuchungen für die ganz Kleinen (0-4 Jahre) wurden sogar nur von 34,7 Prozent in Anspruch genommen. „Das hatte ich so nicht erwartet“, kommentiert Heiner Beckmann, Landesgeschäftsführer er Krankenkasse, die Zahlen: „Da wünscht man sich deutlich mehr.“
Auch interessant
Die Barmer hat für den Report Daten ihrer bundesweit 8,8 Millionen Versicherten ausgewertet, darunter die der 2,2 Millionen in NRW. Im Vergleich zu anderen Bundesländern steht NRW demzufolge schlechter da als andere. Denn im Schnitt sahen 2021 genau 70 Prozent der Menschen mindestens einmal ihren Zahnarzt, in Sachsen waren es sogar 75 Prozent. Spitzenreiter bei den Vorsorgeuntersuchungen für die Jüngsten ist Bayern, da nahmen sie in der Altersgruppe 0-4 Jahre über 40 Prozent wahr.
„Mit dem ersten Milchzahn muss der Zahnarztbesuch zur Routine werden“
Beckmann ist bestürzt darüber, dass so viele kleine Kinder in NRW die Früherkennungsuntersuchungen (FU) versäumen. „Bei zwei von drei Kleinkindern fand keine statt!“ Seit 2019 sind sie inklusive der lokalen Fluoridierung (Verhärtung des Zahnschmelzes) Regelleistung aller Krankenkassen ab dem sechsten Lebensmonat, die Barmer bietet sie schon seit 2014 für die ganz Kleinen an, andere Kassen zahlten die Vorsorge bis 2019 erst ab zweieinhalb Jahren. „Um Karies und Zahnerkrankungen konsequent zu verhindern, muss der Besuch in der Zahnarztpraxis mit dem ersten Milchzahn zur Routine werden“, beteuert der Barmer-Landeschef. „Da passiert jede Menge in dem Alter…, Stichwort Kreidezähne!“.
Auch interessant
Bei der FU sollen dieser Zahnschmelzdefekt und andere Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten frühzeitig erkannt werden. Denn bereits mit zwei Jahren ist das Milchgebiss in der Regel komplett, schon der erste Zahn indes ist anfällig für Karies und Zahnfäule. Gesunde bleibende Zähne können sich aber nur aus gesunden Milchzähnen entwickeln, belegen Untersuchungen. Gesunde Milchzähne verringern demnach auch das Risiko von Zahn- und Kieferfehlstellungen. Doch die ersten Besuche beim Zahnarzt – gerne auf dem Schoß von Mama oder Papa – sieht Beckmann auch als „vertrauensbildende Maßnahme“. Eltern erhielten dabei zudem praktische Anleitungen zur Mundhygiene, zum Zähneputzen und zu gesunder Ernährung.
Zusammenhang zwischen Bildung und Mundgesundheit
Im Großen und Ganzen ist es um die Zahngesundheit im Land indes gut bestellt, im Report ist von einer „vergleichsweise stabilen Mundgesundheit“ die Rede. Der Anteil der bis zu 19 Jahre alten Menschen, denen kaputte Zähne gefüllt oder gar gezogen werden mussten, sank etwa von 32,8 Prozent im Jahr 2013 auf 26,2 Prozent. Selbst bei den kleinsten Kindern ist der Anteil derjenigen, die zur Vorsorge gehen, zwar vielleicht noch immer zu gering – aber doppelt so hoch wie noch vor zehn Jahren. „Doch wir müssen dran bleiben“, sagt Beckmann.
Denn der Barmer-Report bestätigt auch frühere Studien, die einen Zusammenhang zwischen Zahngesundheit und Bildungsstatus nachwiesen: Je höher der Ausbildungsabschluss desto seltener benötigen Menschen Zahnersatz. Versicherte mit Diplom, Master oder Magister etwa liegen in der Statistik in Sachen „Vielinanspruchnahme von Zahnersatz“ um 35 Prozent unter dem Durchschnitt. Das weise auf „deutlich weniger ausgeprägte Gebissschäden“ hin. Ein Teil der Menschen werde offenbar von präventiven Maßnahmen und nachhaltiger Versorgung noch immer nicht erreicht, so Beckmann.
Flächendeckende Gruppen-Prophylaxe an Schulen wichtig
Für extrem wichtig hält die Barmer darum auch flächendeckende Gruppen-Prophylaxe-Maßnahmen in Kitas und Schulen. „Und wir sollten damit vermehrt in Schulen gehen, in denen der sogenannte Kariesindex hoch ist, in die Real-, Haupt- und Förderschulen“, denkt Beckmann. In Gymnasien ist er den Studien zufolge am niedrigsten, in Förderschulen am höchsten.
Dass schon bald alle Kinder unter fünf ihre Vorsorge-Untersuchungen wahrnehmen, glaubt Beckmann nicht. Sich zu das wünschen, nennt er „vermessen“. „Aber zwei Drittel statt nur einem Drittel - das wäre schon schön!“
>>>> INFO: Was zahlen die Krankenkassen?
Kinder zwischen dem sechsten Lebensmonat und dem vollendeten 6. Lebensjahr haben Anspruch auf insgesamt sechs zahnärztliche Früherkennungsuntersuchungen. Bis zum 33. Lebensmonat zählt auch das Auftragen von Fluoridlack „zweimal pro Kalenderhalbjahr“ zu den Regelleistungen der Krankenkassen.