Ruhrgebiet. Vier Jahre Arbeit umsonst, 30.000 Euro weg: Sabine Thomas wollte eine Kita gründen und scheiterte. Dabei fehlen in NRW doch 100.000 Plätze.
Sie haben Politik und Verwaltung bearbeitet, Architekten und Anwälten beschäftigt, 30.000 Euro ausgegeben, die Busgesellschaft und die Werbegemeinschaft an Bord geholt, ein pädagogisches und ein personelles Konzept erarbeiten lassen, vier Jahre einen Plan verfolgt - und es war alles umsonst. „Das ich Hürden zu überwinden hätte, damit habe ich gerechnet“, sagt Sabine Thomas: „Mit dem endgültigen Scheitern habe ich nicht gerechnet.“
In den grünen Hügeln von Witten besitzt Familie Thomas ein altes, großes Kurhaus. Gastronomie und Beherbergung haben sich schon lange verabschiedet Die frühere Konrektorin einer Förderschule wollte daraus eine Kita machen mit 70 bis 76 Plätzen. Fehlten in Witten nicht 500?
„Was würde gehen, wenn wir es wollen?“
Es ist nichts geworden wegen des Flächennutzungsplans für grüne Hügel, und inwieweit da Spielraum gewesen wäre, das ist auch hinterher noch sehr umstritten. Sabine Thomas formuliert den Vorwurf der Bürokratie an die Stadt so: „Es hat sich niemand von der Verwaltung mit einem Baurechtsexperten hingesetzt und gefragt: Was würde gehen, wenn wir es wollen?“
Gerade vor einem Jahr ist eine Elterninitiative in der Innenstadt mit einem anderen Kita-Vorhaben gescheitert wegen fehlender Außenfläche das Haus ist weiterhin ein zentraler Leerstand in der Fußgängerzone. Aber das Scheitern mit Vorlauf ist kein Wittener Problem. Auch in Essen hat im Frühjahr ein kleiner Träger nach Jahren der Vorarbeit die planerischen Segel gestrichen.
Für eine Zuwegung, der die Feuerwehr bereits zugestimmt hatte, hatte die Stadt plötzlich ein schriftliches „Nachbareinverständnis“ verlangt. Bei aller Unterstützung durch verschiedene Ämter: Die Frist verstrich darüber. „Nach vier Jahren sind wir letztlich gescheitert“, sagt Wilhelm Steitz von der gemeinnützigen GmbH „Zukunftsorientierte Kinderbetreuung“ aus Mülheim.
Große Träger beschäftigen ganze Fachabteilungen für die Kita-Gründung
Im Familienportal der NRW-Landesregierung hört es sich kinderleicht an mit Kita oder Tageseltern: „Ihr Kind ist mindestens ein Jahr alt, dann hat es einen Rechtsanspruch“, steht da tatsächlich. Das gilt seit zehn Jahren. Die wirkliche Welt ist anders: In Essen sind 1000 Kinder nicht versorgt, in Herne 736, in Gladbeck 871, in Bottrop 88 - und so weiter und so fort.
Obwohl Städte und Investoren Kitas bauen, fehlen jetzt geschätzte 100.000 Plätze in NRW. Die Folge: Mädchen und Jungen bleiben außen vor, Mütter oder Väter können nicht arbeiten - und der Wirtschaft fehlen die Leute. Die aber etwas weiterhelfen könnten, die privat Engagierten, die Elterninitiativen, die fühlen sich häufig ausmanövriert.
„Auflagen muss es geben, Kinderschutz ist zu beachten“
„Das System ist nicht darauf ausgelegt, dass Privatleute Kitas gründen“, sagt Anette Stein, Direktorin für „Bildung und Nächste Generation“ bei der Bertelsmann-Stiftung. Große Träger beschäftigen ganze Abteilungen, die die rechtlichen und finanziellen Fragen bearbeiten, die um eine Gründung entstehen. „Eltern, die arbeiten müssen und ihre Kinder betreuen, können das nicht leisten“, sagt Stein.
Auch Norbert Bender kennt diese Fälle. Er leitet die Geschäftsstelle der „Bundesarbeitsgemeinschaft Elterninitiativen“ in Berlin, wo man aus gegebenem Anlass einen Gründungsleitfaden bestellen oder herunterladen kann. Er soll, steht in der Einleitung, „den Weg durch das Gestrüpp des Bürokratie-Dschungels leichter machen“. „Auflagen muss es geben, Kinderschutz ist zu beachten“, sagt Bender: „Man kann aber oft auch kreative Lösungen finden, wenn man das möchte.“ Er kenne „Behördenmitarbeiter, die Spielräume nutzen, und leider auch die anderen.“
Gründungsphase kann sechs Monate bis sieben Jahre dauern - wenn überhaupt
Vor 30 Jahren habe er noch die Betriebsgenehmigung bekommen für eine Kita mit Ofenheizung. „Das kann man sich nicht mehr vorstellen“ - und dahin möchte auch niemand zurück. Freilich kennt er Beispiele, dass Behörden auf die Außenfläche verzichten. „Wenn ein Spielplatz um die Ecke ist, kann man da hingehen.“ Auch sehr hübsch: die Kita, deren vorgeschriebener zweiter Notausgang aus dem ersten Stock - eine Rutsche ist. Stempel drauf, genehmigt.
„Bei Gründungsberatung ist immer volle Hütte, 20 Leute alle zwei Monate, aber die gründen nicht alle“, sagt Bender. Zahlen, wie viele derartige Initiativen auch im fortgeschrittenen Stadium scheitern, gibt es nicht. Wohl aber sehr unterschiedliche Erfahrungen. In Rudolstadt in Thüringen hat die Stadt gewollt: Die Kita stand nach sechs Monaten. In Leipzig das andere Extrem: Die Kita stand nach sieben Jahre. „Da gehen die Kinder schon aufs Gymnasium.“
„Wenn ein einziger dieser Faktoren nicht gegeben ist, kippt das Projekt“
Doch zurück nach Witten. In einer Stellungnahme hat das Jugendamt kürzlich aufgeschrieben, wie es die Sache sieht: „Wir freuen uns über privates Engagement und unterstützen es gerne“, wird die Leiterin des Amtes für Jugendhilfe zitiert, Corinna Lenhardt. Es gebe aber Faktoren, die gegeben sein müssten: großes Grundstück, Außenspielgelände, gesicherte Finanzierung bezogen auf Baupreise, Zinsen und Mieten, „alle öffentlichen Belange für die Erteilung einer Baugenehmigung“, Brandschutz, Stellplätze . . . „Schon, wenn ein einziger dieser Faktoren nicht gegeben ist, kippt das Projekt.“
Sabine Thomas, die Frau mit dem Kurhaus in Witten, hat zuletzt überlegt, ob sie versuchen soll, aus dem Kurhaus ein Hospiz zu machen. Dann sagt sie aber: „Das ist eine Trotzreaktion.“ Noch immer rufen Eltern sie an, um ihr Kind in der erhofften Kita anzumelden. „Wenn ich dann sage, es gibt keine Hoffnung mehr, dann sagen die: Schreiben Sie uns trotzdem auf.“ Die Hoffnung auf einen Kita-Platz stirbt noch nicht einmal zuletzt.