Dortmund. Manche Sneaker werden gehandelt wie Aktien. In Dortmund hat jetzt ein Laden aufgemacht, in dem es nur hochwertige Modelle gibt.

Keine Kartons. Also bitte. Solche Schuhe stellt man doch nicht in Kartons in den Verkaufsraum. Geschickt ausgeleuchtet stehen sie im Regal, luftdicht verpackt in Klarsichtfolie, manche auch in einer Vitrine. Nicht, dass jemand dran packt mit dreckigen Fingern. Ein kleiner Fleck nur und der Wert sinkt. Rapide. „Da sind die Leute ganz empfindlich“, sagt Max Ebbe. Mit Recht. Denn in dem Laden mit dem Namen „Generation Sneaker“, den er vor einigen Wochen in Dortmund eröffnet hat, kosten die meisten Paare einen mittleren dreistelligen Betrag. Mindestens. „Wie Gold“, seien die Schuhe, schwärmt Ebbe. Früher hätte man ihn ausgelacht für solch einen Satz. Aber früher ist lange her.

In Dortmund hat das Schuhgeschäft „Generation Sneaker“ „Generation Sneaker“ am 06.06.2023 in Dortmund. Die Verkäuferin Synthia Raduci,28, steht in der Filiale und hält ein Sneaker in der Hand Foto: Andreas Buck / FUNKE Foto Services
In Dortmund hat das Schuhgeschäft „Generation Sneaker“ „Generation Sneaker“ am 06.06.2023 in Dortmund. Die Verkäuferin Synthia Raduci,28, steht in der Filiale und hält ein Sneaker in der Hand Foto: Andreas Buck / FUNKE Foto Services © FUNKE Foto Services | Andreas Buck

Den Namen „Sneaker“ gibt es nämlich schon mehr als 100 Jahre. Elizabeth Semmelhack, Kuratorin des Bata Shoe Museum in Toronto, hat ihn nach eigenen Angaben zum ersten Mal für das Jahr 1870 belegen können. Da ist er amerikanischer Slang. Kinder nennen Schuhe mit Gummisohlen so, weil sie sich mit ihnen leise anschleichen (engl. „to sneak“) können. 1917 greift der Werbeprofi Henry Nelson McKinney den Begriff auf und macht ihn landesweit bekannt.

Sandschuhe der Viktorianer

Die ersten Sportschuhe sind allerdings noch älter. Sie wurden von der Liverpool Rubber Company entwickelt, die in den 1830er Jahren von John Boyd Dunlop gegründet wurde. Dunlop hatte nämlich – heute selbstverständlich, damals eine Sensation – entdeckt, wie er Obermaterial aus Segeltuch mit einer Gummisohle verbinden konnte. Diese Schuhe wurden in den ­1860ern als Sandschuhe verkauft und von Viktorianern gerne bei ihren Strandausflügen getragen. „Lovely, isn’t it?“

Zum Massenprodukt wird der Sneaker – zumindest in den USA – Anfang des 20. Jahrhunderts. Da eröffnet Marquis Mills Converse 1908 einen Laden für Gummischuhe. Vulkanisierte Sohlen und knöchelhohen Schaft aus Leinen haben sie, Converse All Star heißen sie.

„Ich habe da ein paar Ideen“

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Und vielleicht wären sie längst vergessen, wenn nicht ein junger Mann namens Charles Hollis Taylor, besser bekannt als Chuck Taylor, eines Tages im Sommer 1921 in ein Converse-Verkaufsbüro in Chicago gehumpelt wäre, um über schmerzende Füße zu klagen. „Ich habe da ein paar Ideen, um Sportschuhe zu verbessern“, sagt Taylor, zu jener Zeit einer der Stars der College-Basketball-Szene und mit exzellenten Kontakten zu vielen Vereinen. Converse macht ihn zum Basketball-Botschafter und fügt seinem Markenzeichen, dem Schuh mit dem fünfzackigen Stern, Taylors Unterschrift hinzu. Die Chucks werden zum meistverkauften Basketballschuh der Geschichte.

White, Converse, Chuck Taylor, hi-top, sneakers
White, Converse, Chuck Taylor, hi-top, sneakers © mauritius images / David Ibinson / Alamy / Alamy Stock Photos | All mauritius images

Trotz des Erfolges aber bleibt der Chuck lange Zeit, wofür er erdacht wurde. Ein Schuh für den Sport. Und zwar einer, der nach Einschätzung vieler heutiger Mediziner eigentlich ein Flop hätte sein müssen. Ein echtes Fußbett gibt es damals nicht und die Füße, die drin stecken, werden entweder zu kalt oder zu warm. Wobei letzteres zu – vorsichtig ausgedrückt – recht unangenehmen Ausdünstungen führt. Und quietschen tut er – zumindest in der Halle – auch noch fürchterlich. Aber das ist egal. Nahezu jeder Basketballer in den USA trägt sie in den 1930ern beim Sport, auch das Team, das bei den Olympischen Spielen in Berlin die Goldmedaille holt. Aber Converse will mehr. „From the court, to the field, to the street“ lautet der Plan. „Vom Basketballplatz, ins Stadion, auf die Straße“. Und er geht auf.

Zeichen des Protests

Immer öfter nutzen Kinder und Jugendliche den lange Zeit nur in den Farben Schwarz und Weiß erhältlichen Schuh auch in ihrer Freizeit. Vor allem, seit sich James Dean mit dem Modell „Jack Purcells“ an den Füßen fotografieren lässt und die Beach Boys den „Oxford“ zu ihrem Lieblingsschuh erklären. Ende der 1960er verzieren Hippies ihre Chucks mit Peace-Zeichen und stecken Blumen in die Schuhband­ösen.

Mehr als zehn Jahre später bemalen Punks ihre oft nur noch durch Sicherheitsnadeln zusammengehaltenen Modelle mit gängigen Anarchie-Symbolen. Sneaker sind ein Zeichen des Protestes für viele Jugendliche und ein Symbol für „Ich mache, was ich will, interessiere mich nicht für gängige Konventionen“.

Chucks sind viele Jahre überall

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Da passt es, dass Mick Jagger bei seiner Hochzeit 1971 mit Bianca ein Paar ausgelatschte Chucks zum grünen Anzug trägt. Kurt Cobain – aber das nur am Rande – soll sich mit seinem Lieblingspaar an den Füßen erschossen haben. Chucks sind überall und bis in die 1980er-Jahre hinein ohne echte Konkurrenz. Dann kommt Nike.

Von Basketball-Star Michael Jordan getragene Sportschuhe
Von Basketball-Star Michael Jordan getragene Sportschuhe "Air Jordan 1 High "Chicago" von Nike wechselten 2020 für 615 000 Dollar (519 000 Euro) den Besitzer.. © dpa | Christies-

Man schreibt das Jahr 1984 und die Firma liegt in den USA weit hinter Converse und Adidas zurück. Immer wieder sind Versuche gescheitert, einen Star aus der dort unglaublich populären NBA als Werbeträger zu verpflichten. In einem letzten Versuch treten sie an Michael Jordan heran. Er ist damals noch eher Talent als Superstar, hat aber viel von dem, was Nike sich selbst gerne auf die Fahnen schreibt. „Break The Rules“ – Brich die Regeln. Nach langen, harten Verhandlungen – großartig erzählt in dem jüngst erschienenen Film „Air“ – unterschreibt der damals 21-Jährige für fünf Jahre und 2,5 Millionen Dollar. Aus heutiger Sicht eher ein Trinkgeld.

Auch die Rapper entdecken die coolen Schuhe

Die Air Jordans, die in den kräftigen Farben Weiß, Schwarz und Rot auf den Markt kommen, lassen den Verantwortlichen die Haare zu Berge stehen. Schreiben die NBA-Richtlinien doch vor, dass die Schuhe zu 51 Prozent weiß sein müssen. Das kommt Nike gerade recht: Ohne mit der Wimper zu zucken, übernimmt die Firma die 5.000 Dollar Strafe, die jeder Spieler zahlen muss, wenn er mit diesen Schuhen auf dem Platz steht. Auch dieser Plan geht auf: Als Jordan zu einem der größten Basketballspieler aller Zeiten wird, explodieren die Umsätze.

Nahezu zeitgleich beginnt die Sneaker-Kultur auch außerhalb des Basketballplatzes zu wachsen. In den ärmsten Vierteln der US-Großstädte entsteht in den 80ern eine ganz eigene Subkultur. Die dort ansässigen Jugendlichen beginnen typische Hip-Hop-Kleidung zu tragen: Baggy-Jeans, weite Shirts und Sneakers. Es ist die Zeit von Break Dance und Rap. Und Run-D.M.C., eine der erfolgreichsten Bands der Szene, veröffentlicht einen Song, der einem deutschen Sportartikelhersteller jenseits des Atlantiks einen ungeheuren Popularitätsschub verpasst: „My Adidas“.

„Turnschuhminister“ sorgt für Diskussionen

Zwischen Alpen und Nordsee ändert sich dadurch nicht viel. Zwar sind alle begeistert von dem Paar selbstschließender Sneaker, die Michael J. Fox in „Zurück in die Zukunft 2“ trägt, aber noch 1985 sorgt Joschka Fischer für eine Diskussion über die Kleiderordnung in Parlamenten, als er mit seinen Nike-Tretern in den hessischen Landtag marschiert, um zum ersten grünen Minister vereidigt zu werden. „Turnschuh-Minister“ nennt man ihn und schon das zeigt, wie weit die Deutschen noch davon weg sind, den Turnschuh als Sneaker zu sehen. Er hat mit Turnen zu tun, nicht mit Lifestyle.

In Amsterdam findet regelmäßig einer der größten Sneaker-Messen statt.
In Amsterdam findet regelmäßig einer der größten Sneaker-Messen statt. © Sneakerness | Handout

Aber aufhalten lässt sich der Erfolg nicht. Spätestens seit jeder MTV empfangen kann und das Internet zum Massenmedium geworden ist, werden auch die Deutschen Fans. Laut einer Studie des Marktforschungsinstitutes Yougov tragen mittlerweile fast drei Viertel aller Menschen hierzulande am liebsten Sneaker. Und ob auf Hochzeiten, bei der Konfirmation, im Theater oder dem Büro – ein Aufreger ist das nicht mehr. Aus dem Casual Friday ist längst die Casual Week geworden.

„Manche kaufen sie aber auch nur und tragen sie nie“, weiß der Dortmunder Händler Max Ebbe. Vor allem die limitierten und von Prominenten entwickelten Editionen werden gesammelt und gehandelt wie Wertpapiere und bleiben deshalb original verpackt in den Kellern und Zimmern von Sammlern, die aus Angst vor Einbrüchen nur ungern über ihre Leidenschaft sprechen.

Ausnahme ist der US-Rapper Drake, der freimütig bekannt gab, Besitzer der mit Abstand teuersten Sneaker der Welt zu sein. Die „Solid Gold OVO x Air Jordans“ sind ein Einzelstück und rund zwei Millionen Dollar wert. Denn sie sind tatsächlich aus purem Gold. Sie haben allerdings auch einen Nachteil. Das Edelmetall macht sie mit 50 Pfund pro Schuh so schwer. Damit laufen?

Unmöglich.